Holger Müller hatte genug von seiner Lebensversicherung. Und das obwohl seine Police noch zu den gut verzinsten Altverträgen gehört. Eine Verzinsung von vier Prozent hatte der Versicherer Debeka bei Vertragsschluss garantiert. Jetzt sollte Müller, der in Wirklichkeit anders heißt, allerdings mehr Prämie zahlen. Bis dahin musste er nur rabattierte monatliche Beiträge entrichten, eine Vertragskonstruktion, die einige Versicherer früher angeboten haben. Der Rabatt war eigentlich ein Vorschuss auf die Überschussbeteiligung. Da diese aber nicht garantiert und aufgrund der Niedrigzinsen stark geschrumpft ist, strich der Versicherer den Rabatt.
Die schlechten Nachrichten rund um die Lebensversicherung taten ihr Übriges: Müller zog die Reißleine. "Bei der schlechten Rendite und den Zukunftsaussichten wollte ich nicht noch 15 Jahre weiter zahlen", sagt er. Allerdings kündigte er seine Police nicht, sondern verkaufte sie auf dem sogenannten Zweitmarkt an das Unternehmen Partner in Life. Dort übernehmen spezialisierte Aufkäufer Verträge, die Kunden nicht mehr weiterführen wollen. Dafür zahlen sie dem Besitzer der Police etwas mehr als dieser bei einer Kündigung als Rückkaufswert vom Versicherer bekommen würde. "In der Regel zahlen wir drei bis fünf Prozent über dem Rückkaufswert", sagt Dean Goff, Geschäftsführer von Partner in Life. In Einzelfällen könne der Preis bis zu 15 Prozent höher liegen.
Die Unternehmen übernehmen die Police und zahlen die Beiträge weiter. Wird die Police fällig, streichen sie die Versicherungssumme ein. Hinter den Aufkäufern stehen Investoren wie Hedgefonds, die angesichts niedriger Zinsen händeringend nach Anlagemöglichkeiten suchen. Für den Kunden hat der Verkauf Vorteile gegenüber der Kündigung - so besteht der Todesfallschutz während der Laufzeit der Police in der Regel weiter. In den vergangenen beiden Jahren war es allerdings schwer für Kunden, ihre Verträge an die Aufkäufer loszuwerden.
Die Diskussion um die Bewertungsreserven auf festverzinsliche Wertpapiere, von denen ausscheidenden Kunden bis dahin die Hälfte zustand, verunsicherte die Zweitverwerter. Sie konnten nicht mehr verlässlich kalkulieren, was sie am Ende aus einem Vertrag herausbekommen werden. Seit dem Inkrafttreten des Lebensversicherungsreformgesetzes Mitte 2014 gibt es Klarheit. "Die Ankaufswahrscheinlichkeit ist mittlerweile wieder deutlich höher", sagt Ingo Wichelhaus, Vorstand beim Bundesverband Vermögensanlagen im Zweitmarkt Lebensversicherungen (BVZL), die Lobby der Zweitmarktunternehmen. Laut Wichelhaus wird zurzeit mehr als die Hälfte der angebotenen Policen gekauft, in den vergangenen Jahren war es nur jede dritte.
Es gibt zwielichtige Unternehmen. Am Ende landet das Geld dann auf dem grauen Kapitalmarkt
Allerdings eignen sich nicht alle Policen für den Zweitmarkt. Staatlich geförderte Verträge wie Riester- oder Rürup-Versicherungen können nicht verkauft werden, Betriebsrenten auch nicht. Fondsgebundene Policen finden auf dem Zweitmarkt nur in Ausnahmefällen einen Käufer. Dazu kommt: Die Police darf nicht zu knapp vor dem Vertragsende stehen, aber auch nicht zu jung sein. Auch wenn nur eine kleine Summe angespart wurde, sind die Aufkäufer meist nicht interessiert. "Das aktuelle Guthaben der Police sollte mindestens 10 000 Euro betragen", sagt Goff von Partner in Life.
Müllers Police ist bei Aufkäufern begehrt. Der Vertrag läuft seit deutlich mehr als zehn Jahren, die angesparte Summe ist beträchtlich, auch wenn er den Betrag nicht nennen will. Und die Police stammt noch aus den guten Jahren der Lebensversicherung - sie hat einen Garantiezins von vier Prozent. Momentan beträgt er für neu abgeschlossene Verträge nur noch 1,25 Prozent. Der in der IT-Branche tätige Kaufmann, der sich als in Finanzdingen versiert beschreibt, will sein Geld jetzt lieber in Aktien und Devisen stecken.
Verbraucherschützer würden Müller raten, den Vertrag fortzuführen, denn er leidet nicht unter einem finanziellen Engpass. "Grundsätzlich ist der Zweitmarkt eine Möglichkeit für den Verbraucher, mehr Geld als bei einer Kündigung herauszuholen, wenn er den Vertrag auflösen muss", sagt Kerstin Becker-Eiselen von der Verbraucherzentrale Hamburg. Kunden sollten sich aber nur in Notsituationen von einem gut verzinsten Vertrag trennen, wie ihn Müller besaß. "Wer keinen Schuldendruck hat, sollte einen solchen Vertrag am besten weiterlaufen lassen", rät die Verbraucherschützerin. Auch wenn die Lebensversicherung mit einer Berufsunfähigkeitspolice gekoppelt ist, sollten Kunden sich einen Verkauf oder eine Kündigung gut überlegen, sagt Goff von Partner in Life.
Es gebe einige zwielichtige Unternehmen am Markt, die versuchten, Kunden ohne Not gute Altverträge abzuschwatzen, erklärt Becker-Eiselen. So warnt die Verbraucherzentrale davor, mit dem Verein "Ratgeber für Finanzen e.V." Geschäfte zu machen. Ihr liegen Fälle von Kunden vor, die von angeblich ehrenamtlichen Mitarbeitern dieses Vereins angerufen worden sind - mit dem Angebot, ihre Lebens- und Rentenversicherungen kostenlos überprüfen zu lassen. Den Verbrauchern wurde dann empfohlen, ihre Policen zu verkaufen - allerdings zu denkbar schlechten Konditionen.
Die Ankaufpreise unterscheiden sich deutlich. Es lohnt immer, mehrere Angebote einzuholen
So wollte der empfohlene Aufkäufer Treuk AG in Köln den Kunden den Kaufpreis nicht auf einen Schlag auszahlen, sondern erst nach zehn Jahren. Die ebenfalls empfohlene Actuar AG versprach zwar sofortige Zahlung des Rückkaufswerts - allerdings abzüglich einer Servicegebühr von 2,5 Prozent und einer Vermittlerprovision von 1,2 Prozent des Rückkaufwerts. So erhielten die Versicherten weniger, als wenn sie den Vertrag direkt gekündigt hätten. In einigen Fällen wurden Kunden zusätzlich noch alternative, hochriskante Geldanlagen für die Neuinvestition des Geldes angeboten. "Man sollte immer stutzig werden, wenn Policenaufkäufer das Geld in Raten auszahlen wollen oder mit Alternativanlagen mit hohen Renditen locken", sagt Becker-Eiselen. "Im Zweifelsfall landet das Geld dann irgendwo im grauen Kapitalmarkt."
Um zu garantieren, dass sie an seriöse Aufkäufer geraten, sollten Verbraucher Policen nur an Unternehmen abgeben, die das Geld in einer Summe auszahlen und den Todesfallschutz für den Kunden erhalten. "Kunden sollten zudem nur mit Anbietern Geschäfte machen, die Mitglied im Zweitmarkt-Verband BVLZ sind", sagt Becker-Eiselen. Auch Goff von Partner in Life verweist auf den Verband. "Die seriösen Anbieter sind alle im BVZL organisiert", sagt er. Kunden könnten seriöse Aufkäufer außerdem daran erkennen, dass sie die Police selbst fortführen. "Sonst kann der Aufkäufer auch gar nicht mehr auszahlen als den Rückkaufwert."
Müller, der seine Police verkauft hat, empfiehlt aus eigener Erfahrung, unbedingt bei mehreren Aufkäufern anzufragen. Er selbst hat sich von sechs Unternehmen ein Angebot machen lassen. "Die gebotenen Ankaufpreise unterschieden sich deutlich", sagt er. "Ich kann nur raten, bei möglichst vielen Gesellschaften anzufragen."