Alternative Textilien:Weintrauben, die zu Leder werden

Lesezeit: 4 Min.

Die Modeindustrie experimentiert mit Materialien aus dem Labor - auch, weil die Kunden es wollen. Es sind vor allem junge Unternehmen, die nachhaltigere Stoffe entwickeln.

Von Kathrin Werner, Austin

"Spinnen kommen dabei nicht zu Schaden", sagt Dan Widmaier und zeigt seine Mütze vor: Sie ist warm, flauschig und hat drei Streifen in Rot, Gelb und Grau. "Sieht einfach aus, aber in dieser Mütze stecken Jahre Arbeit", sagt Widmaier, der Gründer von Bolt Threads, einem Start-up für synthetische Spinnenseide. "Wir nehmen die DNA der Natur und spinnen sie zu einem neuen Material. Dabei können eine Million Dinge schiefgehen."

198 Dollar kostet eine Spinnenseiden-Mütze, sie war trotzdem sofort ausverkauft, es gab erst einmal nur 100 Stück zu kaufen. Die kalifornische Firma bringt die Informationen aus dem Genmaterial von Spinnennetzen in Hefezellen ein, die dann das Spinnenseiden-Eiweiß wachsen lassen. Spinnenseide ist weich, flexibel und enorm reißfest. Bolt Threads arbeitet mit der Outdoor-Marke Patagonia zusammen und seit vergangenem Sommer auch mit der Designerin Stella McCartney, die bereits ein Kleid und eine Hose aus Spinnenseide entworfen hat. "Die Industrie hat so ein großes Erbe", sagt McCartney. "Aber manchmal schadet sie der Umwelt und kann sehr rückwärtsgerichtet sein."

Die Modebranche gilt als der zweitgrößte Umweltverschmutzer nach der Ölindustrie, wobei die These der amerikanischen Modedesignerin Eileen Fisher schwer zu bestätigen ist, weil es keine globale Erhebung zu den Schäden gibt, welche die Textilherstellung wirklich verursacht. Fest steht aber, dass die Industrie Unmengen Schadstoffe ausstößt, Müll verursacht und Wasser verbraucht. Für die Produktion der Baumwolle eines einzigen T-Shirts fließen mehr als 20 000 Liter Wasser. Rund um die Welt kaufen Menschen jedes Jahr etwa 80 Milliarden Kleidungsstücke, Tendenz steigend. Trotzdem hat sich über die Jahre hinweg wenig getan in der Branche, vor allem was neue, nachhaltigere Stoffe angeht.

Es sind nicht die großen Konzerne, die sie erfinden, sondern Start-ups. Die H&M-Stiftung hat einen Preis für neue Materialien ausgelobt, um die Entwicklung nachhaltigerer Textilien anzutreiben - und die Branche auf neue Optionen zu stoßen. Neun von zehn der mehr als 8000 Bewerber pro Jahr sind Erfinder, die vorher nie etwas mit der Modebranche zu tun hatten.

"Die müssen dann erst einmal die Industrie kennenlernen", sagt Erik Bang, der Innovationschef der Stiftung, die unabhängig von dem schwedischen Klamottenhersteller arbeitet. "Es ist eine Industrie, die keinerlei Tradition der Forschung und Entwicklung oder der Veränderungsbereitschaft hat." Es gebe in der Branche noch nicht einmal genug Leute, die einschätzen können, ob sich eine neue Technik für sie lohnt. In den Modefirmen arbeiten vor allem Marketingfachleute und Designer, Chemiker und Biologen fehlen.

Den Preis der Stiftung haben in diesem Jahr Erfinder gewonnen, die mit Ernteabfällen, Algen oder Pilzwurzeln Materialien herstellen. "Die Finanzierung ist oft das Problem für die Start-ups", sagt Bang. Die Verfahren sind aufwendig, die Gründer brauchen Labore, Maschinen und teures Material. Wagniskapitalgeber investieren jedoch seit Jahren lieber in Software-Start-ups, die außer einem Computer nicht viel benötigen. Langsam sehe die Modebranche jedoch ein, dass sie sich ändern müsse, weil ihre Umweltverschmutzung zum Geschäftsproblem werde, das die Kunden beschäftige, sagt Bang. "Die Industrie investiert inzwischen mehr. Aber der Weg ist noch weit."

Zu den erfolgreichsten Stoff-Erfindern zählen das italienische Start-up Orange Fiber, das aus Orangenschalen, dem Abfall der Saftindustrie, ein seidiges Zellulose-Garn herstellt. Der erste Käufer war der Modedesigner Salvatore Ferragamo, der aus dem Orangenstoff unter anderem eine groß bedruckte, leichte Strickjacke wob. Die Firma Vegea macht aus Abfällen der Weinindustrie Kunstleder. Sie entzieht den Häuten, Stielen und Kernen, die nach dem Pressen der Weintrauben übrig bleiben, Öle und Zellulose und macht daraus ein Biopolymer, das der Designer Tiziano Guardini unter anderem zu einer schicken, kleinen Handtasche verarbeitete. MycoWorks aus San Francisco stellt künstliches Wildleder aus Pilzen her. Inzwischen gibt es zudem etliche Start-ups, die Fasern aus Holz produzieren.

Natürliche Ressourcen werden knapper, da bieten sich synthetische Stoffe an

Die Mütze von Bolt Threads besteht zu 40 Prozent aus der synthetischen Spinnenseide und zu 60 Prozent aus Wolle von amerikanischen Rambouillet-Schafen. Die kalifornische Firma hat Konkurrenz, etwa von Spiber aus Japan oder Amsilk im Süden Münchens. Adidas hat 2016 ein paar Schuhe aus Amsilks Alternativ-Seide in New York vorgestellt. Das Ziel der Firmen ist, die Herstellung so zu optimieren, dass jeder sich bald Spinnen-Klamotten kaufen kann. "Es ist keine Frage des Ob, sondern des Wann", sagt Bolt-Threads-Gründer Widmaier. "Natürliche Ressourcen werden knapper, die Menschheit wächst, es wird einfach nicht anders gehen." Seine Firma hat schon 213 Millionen Dollar an Wagniskapital eingesammelt, unter anderem von dem deutschstämmigen Milliardär Peter Thiel.

Das Unternehmen Modern Meadows züchtet Leder ohne Tiere. In der Anfangsphase ist das Material flüssig. Man könnte das Leder also sogar auf einen anderen Stoff aufsprühen, man muss nicht kleben oder nähen. "Es gibt riesige Möglichkeiten, mit denen man experimentieren kann", sagt Suzanne Lee, die Kreativchefin der Firma aus New Jersey. Seit Kurzem arbeitet Modern Meadows mit dem deutschen Chemiekonzern Evonik zusammen, der bei der Fermentation hilft - in Prinzip wird das Leder gebraut wie Bier, mit Hilfe von Hefe. "Es geht uns nicht darum, genau das zu kopieren, was die Natur macht", sagt Lee. Das Material soll an Leder erinnern: weich, warm und robust, sich aber nicht unbedingt so anfühlen wie Tierhaut. "Wir wollen etwas Neues herstellen - und das deutlich nachhaltiger", sagt die Modedesignerin.

Lee trägt für öffentliche Auftritte bereits eines der Fake-Leder-Shirts, das sie für eine Zusammenarbeit mit dem New Yorker Museum of Modern Art entworfen hat. Über den schwarzen Stoff ziehen sich geschwungene, schwarze Streifen glänzenden Leders, das wirkt, als würde es über dem T-Shirt schweben. Wann man Kleidung aus dem Material kaufen kann, will die Firma noch nicht sagen. "Niemand ist ungeduldiger als wir", sagt Lee. "Wir wissen ja, dass die Leute diese Produkte wirklich haben wollen." Nachdem sich jahrelang nichts getan habe und die Branche sich nicht für neue Stoffe interessiert habe, sei nun ein Wendepunkt erreicht, hofft sie. "Die Modebranche muss sich endlich der Wissenschaft öffnen, damit sie überhaupt verstehen kann, was alles möglich ist."

© SZ vom 05.04.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: