Alte Konkurrenten:Ausgebucht

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Noch nie waren Boeing und Airbus in einer so komfortablen Position. Nach den Rekordbestellungen der letzten Jahre sind ihre Kapazitäten ausgelastet.

Von Jens Flottau, Paris

Der Montagmorgen war ein guter für die Verkaufsabteilung von Airbus. Erst bestellte Saudi Arabian Airlines am Eröffnungstag der Paris Air Show in Le Bourget 20 Maschinen der derzeit etwas schwächelnden A330-Baureihe und füllte damit etliche noch offene Produktionskapazitäten. Dann kaufte die Leasingtochter von General Electric (GE) 60 Maschinen der A320neo-Familie. Und schließlich präsentierte Airbus-Verkaufschef John Leahy die neue Marktprognose für die nächsten 20 Jahre: Mehr als 32 000 Flugzeuge werden die Fluggesellschaften demnach in der Zeit insgesamt bestellen und Airbus hofft, rund die Hälfte der Orders zu ergattern.

Die vielen neuen Aufträge sollten aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die goldenen Zeiten der Mega-Orders erst einmal vorbei sind für Boeing und Airbus. Nach den Rekordjahren 2013 und 2014, in denen die beiden Rivalen jeweils mehr als doppelt so viele Flugzeuge verkauft als gebaut haben, wird es nun etwas ruhiger werden. Beunruhigend ist das nicht: Die beiden größten zivilen Flugzeughersteller haben ihre Produktion für mindestens die nächsten sieben Jahre bereits verkauft, noch nie zuvor befanden sie sich in einer so komfortablen Situation. Und viele Airlines halten sich derzeit schon deshalb mit weiteren Bestellungen zurück, weil es keinen Sinn hat. Wer jetzt kauft, bekommt sein Flugzeug möglicherweise erst in acht Jahren, doch so lange im voraus zu planen ist unmöglich.

Airbus lässt prüfen, ob die Firma die Produktion weiter hochfährt

Die Flugzeughersteller stehen damit vor einem Dilemma. Sie müssen jetzt entscheiden, ob sie die Produktion der Kurz- und Mittelstreckenmaschinen wie der Boeing 737 und des Airbus A320 wegen der vielen Aufträge schneller hochfahren sollen, als ursprünglich geplant. Doch können sie sich auf alle Aufträge, die sie in den letzten Jahren verbucht haben, auch verlassen? Ein gewisser Prozentsatz an Absagen ist immer einkalkuliert, weil einzelne Airlines pleitegehen oder aus anderen Gründen abspringen. Doch darum geht es nicht. Eher darum, herauszufinden, wie viele Fluggesellschaften nur deshalb bestellt haben, weil die Konkurrenz dies auch getan hat und die Gefahr bestand, abgehängt zu werden im Kampf um Marktanteile.

Auf dem Bild startet ein Airbus durch. Wirtschaftlich tun das Airbus und Boeing gleichermaßen - wenn es nun auch bei beiden etwas ruhiger werden wird. (Foto: Eric Piermont/AFP)

Die Antwort auf die Frage ist deswegen so wichtig, weil sie die Basis für die Produktionsplanung ist. Airbus baut derzeit jeden Monat 44 Maschinen der A320-Familie, so viele wie nie zuvor. Schon jetzt ist beschlossen, die Zahl weiter zu erhöhen, und zwar zunächst auf 50 pro Monat im Jahr 2017. Doch Verkaufschef John Leahy drängelt, weil er sieht, dass er noch mehr Jets absetzen könnte. Geprüft wird bei Airbus nun, die Produktion auf bis zu 63 Flugzeuge pro Monat auszuweiten. Käme es dazu, würde vor allem das Werk Hamburg-Finkenwerder profitieren, denn dort befindet sich schon heute der größte Standort für die Kurz- und Mittelstreckenflugzeuge.

Auch das neue Langstreckenmodell A350 befindet sich im Hochlauf. Bis 2018 sollen zehn Maschinen pro Monat gebaut werden, derzeit sind es zwei. Produktionschef Tom Williams hat sich Zeit bis Ende des Jahres ausbedungen, dann soll entschieden werden, ob es mehr werden.

Airbus hat ein strategisches Interesse daran, die A350 möglichst schnell breit einzuführen. Denn von der konkurrierenden Boeing 787 fliegen mittlerweile etwa 200 Maschinen weltweit. Und die Nachfrage für das langjährige Erfolgsmodell A330, das etwas kleiner ist und weniger Reichweite hat, ist derzeit schwach. Airbus hat zwar beschlossen, die A330neo zu bauen, die unter anderem mit deutlich besseren Motoren ausgestattet wird, doch kommt die Variante erst Ende 2017 auf den Markt und bis dahin gibt es noch offene Produktionskapazitäten, die gefüllt werden müssen. Bis zuletzt verhandelte Airbus daher mit China über einen großen Auftrag für die A330-Baureihe - bislang noch ohne konkretes Ergebnis. Nun hilft stattdessen der Auftrag aus Saudi-Arabien, die Lücken zu füllen, mit China wird weiterverhandelt. Airbus hat angeboten, ein Werk für den Innenausbau des Jets in Tianjin zu eröffnen, falls die Volksrepublik eine größere Zahl der Flugzeuge bestellen würde. In Tianjin lässt Airbus schon seit Jahren Jets der A320-Baureihe montieren, vor allem, um den Zugang zum lukrativen Markt China zu verbessern. Bis jetzt ist die Rechnung offenbar aufgegangen.

In Toulouse stehen zwei Jumbos herum - der Käufer ist insolvent

Das größte Problem im zivilen Geschäft ist aber noch immer der Superjumbo A380. Dass Airbus sich auf die Runderneuerung des 550-Sitzers festlegen könnte, hat Konzernchef Tom Enders vorerst kategorisch ausgeschlossen. Nur 317 Flugzeuge hat Airbus seit Programmstart im Jahr 2000 verkaufen können, also im Durchschnitt gut 20 pro Jahr. Die Produktion liegt derzeit bei etwa 30 Maschinen und Airbus bemüht sich, wenigstens die laufenden Kosten wieder hereinzuholen. Doch es sieht weiterhin nicht gut aus, denn einige Aufträge wackeln. Die russische Transaero etwa hatte vier Maschinen fest bestellt, die erste sollte Ende 2015 ausgeliefert werden. Auch bei Airbus glaubt kaum jemand daran, dass Transaero die Jets pünktlich abnimmt, zu groß ist die Krise der russischen Luftfahrt angesichts des Ukraine-Konflikts, der Rubelabwertung und der internationalen Wirtschaftssanktionen.

Wie das aussieht, wenn Aufträge plötzlich wegbrechen, können die Airbus-Mitarbeiter in Toulouse jeden Tag auf dem Werksvorfeld betrachten. Dort stehen zwei A380 mit abgeklebten Fenstern und ohne Motoren. Sie waren einst für die japanische Airline Skymark bestimmt, doch das Unternehmen musste Insolvenz anmelden, nun wird erbittert um Entschädigungen gestritten. Und ob Virgin Atlantic, Air Austral und das Leasingunternehmen Amedeo die insgesamt 28 bestellten A380 wirklich übernehmen werden und, wenn ja, wann, steht in den Sternen.

So bleibt Airbus bei der A380 vor allem abhängig von Emirates. Die Fluggesellschaft aus Dubai kontrolliert mit 140 Bestellungen (von 317) einen guten Teil des A380-Markts und fordert vom Hersteller Nachbesserungen: Wenn Airbus sich zu einer A380neo mit neuen Triebwerken durchringen könnte, wäre Emirates mit einem Mega-Auftrag von bis zu 200 Maschinen dabei, hat Emirates Airline-Chef Tim Clark jüngst durchblicken lassen. Doch selbst das lockt Enders und Airbus Commercial-Chef Fabrice Brégier nicht aus der Reserve. "Meine größte Aufgabe ist es, mehr A380 zu verkaufen", sagte Brégier vor wenigen Tagen. Gleichwohl gibt es Bewegung: Verkaufschef Leahy sagte in Paris, dass er mit rund einem halben Dutzend Airlines über die A380neo verhandle. Dabei gehe es auch darum, den Rumpf leicht zu strecken, um mehr Sitze unterbringen zu können. Damit würden auch die Kosten pro Sitz noch einmal sinken - der große Vorteil des Jumbos. Man darf also weiter gespannt bleiben.

© SZ vom 16.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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