Alleinerziehende:Angst vor der Halbschwester

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Die Regierung will die Steuern senken — doch ein Teil der allein erziehenden Mütter und Väter wird davon vielleicht nichts haben. Und so fürchtet man im Kanzleramt insgeheim wohl schon wieder die streitbare Halbschwester Schröders.

Ulrich Schäfer

(SZ vom 08.07.2003) — Hauptsache, Ilse Brücke taucht nicht auf. Hauptsache, die allein erziehende Mutter aus Paderborn macht nicht wieder Ärger. Das hoffen sie im Berliner Kanzleramt.

Im Februar 2002 war die streitbare Frau aus dem Ostwestfälischen vor das Bundesverfassungsgericht gezogen und hatte ihren Halbbruder verklagt - den Kanzler. "Ich bin stinksauer, dass die Regierung Alleinerziehende schlechter stellt als bisher", schimpfte sie.

Zweite Wutwelle

Denn Bruder Gerhard hatte damals ein Gesetz erlassen, das zutiefst ungerecht erschien: Das "Zweite Familienförderungsgesetz" sah vor, eine spezielle Steuervergünstigung für allein erziehende Mütter und Väter Stück für Stück abzuschaffen.

Die Regierung wollte den Haushaltsfreibetrag von einst 2871 Euro auf 2340 Euro im Jahr 2002 senken, auf 1188 Euro in den Jahren 2003 und 2004. Und zum 1. Januar 2005 sollte er ganz verschwinden.

Ein entsprechendes Urteil des Bundesverfassungsgerichts zwang den Kanzler dazu: Die Karlsruher Richter hatten 1998 geurteilt, der Erziehungsbedarf eines Kindes hänge nicht davon ab, ob es nur von Mutter oder Vater oder aber von beiden Eltern erzogen werde.

Eine besondere Bevorzugung der Alleinerziehenden sei mithin nicht gerechtfertigt. 200.000 Mütter und Väter schrieben deswegen Briefe an Kanzler und Finanzminister, doch die blieben hart.

Nun rollt, nachdem der Protest zeitweise verebbt war, die zweite "Wutwelle", so die Bild-Zeitung, auf die Regierung zu. Und dieses Mal, obwohl Gerhard Schröder eigentlich etwas Gutes tun wollte: Alle, wirklich alle Bürger wollte er entlasten und die dritte Stufe der Steuerreform auf 2004 vorziehen.

Doch bei genauerem Hinsehen zeigt sich: Ausgerechnet rund 300.000 Alleinerziehende (von insgesamt zwei Millionen) würden nicht profitieren.

Denn der Logik des Finanzministers zufolge müsste auch der Haushaltsfreibetrag ein Jahr eher auf Null sinken.

"Es geht nicht darum, wer Recht hat"

Für Alleinerziehende, die zwischen 20.000 und 40.000 Euro brutto verdienen, hieße dies: Sie zahlen im nächsten Jahr nicht weniger, sondern mehr Steuern. "Ausgerechnet Verkäuferinnen oder Kassierinnen sind vom Vorziehen der Steuerreform negativ betroffen", kritisiert Ekin Deligöz, die familienpolitische Sprecherin der Grünen. Familienministerin Renate Schmidt hat das Problem ebenfalls erkannt.

Unterstützt vom Kanzleramt suchte sie gestern das Gespräch mit Eichel. Am Rande der Sitzung des SPD-Parteivorstandes einigten sich beide grundsätzlich darauf, dass die Regierung etwas tun müsse. Was und wie, sollen die beiden Ministerien in den nächsten Tagen in einem neuen Konzept erarbeiten.

Denkbar wäre es etwa, das Kindergeld für Alleinerziehende per Zuschlag zu erhöhen. Möglich wäre auch, dass der Haushaltsfreibetrag erst 2005 gesenkt wird, ein Jahr später als die Steuertarife.

Die Beamten im Finanzministerium sehen jedenfalls, anders als Eichel, "keinen Automatismus", der die Regierung zu einer derartigen Senkung schon 2004 zwingt - schließlich handelt es sich bei Steuerreform und Familienförderung um zwei formal von einander getrennte Gesetze.

Eichels Ministerium verweist aber darauf, dass die Grenzen, die das Verfassungsgericht gesetzt hat, sehr eng seien. Petra Liebisch, Geschäftsführerin des Verbandes allein erziehender Mütter und Väter, hält das für vorgeschoben: "Es geht nicht darum, wer Recht hat, sondern nur noch darum, wie viel Geld Eichel rüberrückt."

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