Aktienhandel:Macht die Börse dicht

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Manche Börsianer würden jetzt lieber Pause machen. (Foto: Boris Roessler/dpa)

Weltweit brechen täglich die Aktienkurse ein. Der Handel brauche einen Zwangsstopp, fordern erste Experten. Hilft das wirklich?

Von Victor Gojdka und Jan Willmroth, Frankfurt

Es war am vergangenen Mittwoch, als die Händler am Frankfurter Börsenparkett plötzlich in große Aufregung gerieten. Die Börse hatte die althergebrachte Präsenzpflicht für die Händler über Nacht kurzerhand aufgehoben. Handeln und Kurse stellen? Das sollte in Zeiten von Corona nun auch außerhalb des Parketts möglich sein, falls ein Corona-Fall offenbar würde. Schnell suchten die Händler Ausweichquartiere, Bildschirme in der Börse wurden abgeschraubt, spezielle Internetzugänge anderswo aufgebaut. Dass der Parketthandel wegen Corona brachliegen könnte? Für die Händler, die am Parkett Kurse stellen, eine Horrorvision.

"Psychologisch wäre eine Ruhephase für Anleger ein großer Vorteil."

Über das Wochenende ist aus dieser apokalyptischen Vorstellung zumindest für einige Marktbeobachter eine Verheißung geworden: Nachdem der deutsche Leitindex Dax auch am Montag zwischenzeitlich um knapp zehn Prozent in die Tiefe sackte, fordern immer mehr Kapitalmarktstrategen die Börsenoberen ganz unverdrossen auf: Macht endlich die Börsen dicht! Der einflussreiche Finanzanalytiker Jim Bianco gab in den USA via Twitter zu Protokoll: "Die Märkte zu schließen, ist die nächste und einzige Option, die wir noch haben." Und auch in Deutschland forderte der langjährige Börsenkenner Joachim Goldberg: "Schickt die Märkte in den Urlaub!"

Manche hoffen, dass sich mit einem solchen Handels-Halt die Dinge an den Börsen normalisieren, dass die Panik abebbt und überschießende Emotionen sich beruhigen. "Psychologisch wäre eine Ruhephase für Anleger ein großer Vorteil", sagt Goldberg, der sich intensiv mit der Gemütslage der Anleger auseinandersetzt.

Eine Handelspause von zwei Wochen stellt er zur Diskussion, damit Anleger die Möglichkeit bekommen, wieder einen ruhigen Gedanken zu fassen. "In einer Börsenpause hätten alle Zeit, sich anzupassen - und sich auch ein Stück an die Situation zu gewöhnen", sagt Goldberg.

Dass in Deutschland die Börsen einmal dicht waren, daran können sich selbst altgediente Händler jedoch kaum erinnern. Eingang in die Geschichtsbücher fand lediglich, dass der Handel in Frankfurt nach dem Zweiten Weltkrieg 1945 für ein halbes Jahr ruhte.

An der New Yorker Börse wiederum kommen Handelspausen öfter vor: Nach den Terroranschlägen am Dienstag, den 11. September 2001, schloss die New Yorker Börse sofort - und machte erst nach dem Wochenende am folgenden Montag wieder auf. Viele Händler erwarteten einen Kurskollaps von mehr als zehn Prozent. Doch an jenem Montag schloss der amerikanische S&P 500 lediglich rund fünf Prozent im Minus. "Der totale Crash an den Börsen bleibt aus", titelte damals die SZ.

Doch 9/11 mit dem Coronavirus gleichzusetzen, ist schwierig. Denn damals gingen Börsenlegenden wie Warren Buffett mit Durchhalteparolen an die Öffentlichkeit: Sie würden keine Aktien verkaufen und im Zweifel sogar zugreifen. Anders als damals ist heute außerdem unklar, ob die Folgen des Coronavirus für die Wirtschaft in zwei Wochen deutlich besser abzusehen sind als im Moment. Und selbst wenn: Die wirtschaftliche Bilanz könnte trotzdem schrecklich ausfallen.

Dass drohende Handelsstopps am Markt gar zusätzliche Panik schüren können, zeigte sich 2016 am wirren chinesischen Aktienmarkt. Dort hatte die Pekinger Führung zwei Wellenbrecher installiert: Sollten die Aktien um fünf Prozent fallen, würde der Handel für eine Viertelstunde ausgesetzt. Fallen sie um sieben Prozent, würde die Börse für den gesamten Tag geschlossen. Das Ergebnis: Direkt nach Handelseröffnung schossen die Aktien um fünf Prozent in die Tiefe. Doch nach der viertelstündigen Atempause brauchten die Händler nur etwa zwei Minuten, um den Aktienmarkt um weitere zwei Prozentpunkte runterzuprügeln - sodass die Börse sofort die Tore für den ganzen Tag schloss. Die Lehre aus den Ereignissen: Wenn Händler eine Börsenpause wittern, ist die Gefahr groß, dass sie vorher ihre Aktien umso heftiger verkaufen. Doch auch ohne zweiwöchige Börsen-Pause gibt es bereits jetzt Regeln, die allzu heftige Kurskapriolen verhindern sollen. Schießen die Kurse einzelner Aktien zu wild rauf und runter, greift bei der Deutschen Börse eine Volatilitätsbremse.

Zu Beginn jedes Handelstages definiert die Xetra-Handelssoftware der Börse für jedes frei handelbare Wertpapier zwei Preiskorridore, wobei deren genaue Größe niemand kennt. Durchschlägt ein Preis den ersten Preiskorridor, stoppen die Systeme automatisch den Handel und ermitteln den nächsten Preis per Auktion.

Diese dauert zwei bis zweieinhalb Minuten und endet zufällig. Die Marktteilnehmer können weiter ihre Orders platzieren und sehen den jeweils aktuellen Preis. In der vergangenen Woche seien diese Volatilitätsunterbrechungen mehrere Tausend Mal ausgelöst worden, sagt ein Sprecher.

Verlässt ein Preis auch den zweiten, breiter gefassten Korridor, schaltet sich die Abteilung Market Operations ein. Deren Mitarbeiter überwachen dann die Auktion und beenden sie manuell, wenn die Preisfeststellung wieder funktioniert.

Die Deutsche Börse fürchtet, dass eine Pause die Unsicherheit erhöhen würde

Wobei das deutsche Börsengesetz als Ultima Ratio sogar erlaubt, den gesamten Handel zu stoppen: nämlich dann, wenn "ein ordnungsgemäßer Börsenhandel nicht mehr gewährleistet erscheint", wie es in dem Normenkatalog heißt. Davon aber kann in diesen Tagen keine Rede sein. Und von einer zweiwöchigen Börsen-Pause hält die Deutsche Börse sowieso nichts. Den Gesamtmarkt vom Handel auszusetzen, verstärke die Unsicherheit sogar eher, Anleger wären dann im Blindflug unterwegs: "Die Tatsache, dass es aktuell starke Kursbewegungen gibt und Unsicherheit an den Märkten vorherrscht, ist kein Grund für eine Aussetzung des Handels", sagte ein Börsensprecher. "Es erfordert gerade eine transparente und faire Preisbildung, wie sie an Börsen stattfindet." Dass die Börse in Deutschland dichtmacht, ist also kaum zu erwarten. Auch die Parketthändler haben ihre Ausweichquartiere für den Corona-Ernstfall inzwischen übrigens längst aufgebaut.

© SZ vom 17.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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