Ärztestreik versinkt im Chaos:Der Widerspenstigen Lähmung

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Es ist ein mächtiger Streik um Geld, Arbeitsbedingungen und Macht - doch am Ende steht womöglich nur eine schnöde Erkenntnis.

Hans von der Hagen

Seit acht Wochen streiken die Ärzte. Erst mit Lust, mittlerweile mit Verdruss.

Ein Tarifabschluss liegt schon vor. Doch die Ärzte akzeptieren ihn nicht. (Foto: Foto: dpa)

Und es ist ein merkwürdiger Streik, der in seinem Durcheinander auf eindrückliche Weise das Chaos im deutschen Gesundheitssystem widerspiegelt.

Da gibt es unterschiedliche Interessengruppen, Machtkämpfe zwischen den Gewerkschaften, wachsenden Unmut in der Bevölkerung, Verzweiflung bei den Klinikverwaltungen und Gewissensbisse bei den Ärzten, die - eingezwängt zwischen ihren Ansprüchen und denen der Patienten - die Arbeit ruhen lassen.

Schmerzensgeld

Und dann gesellen sich zu den streikenden Krankenhausmedizinern, um die es geht, mitunter auch noch die niedergelassenen Ärzte. Weniger aus diffuser Solidarität, sondern weil auch sie Probleme haben und darauf aufmerksam machen wollen.

Doch für was wird eigentlich gestreikt? Die Lage ist verworren und die Kommunikation schwach. Zunächst geht es ums Geld. Aber eigentlich um die Arbeitsbedingungen. Weil die sich aber nicht in die gewünschte Richtung drehen lassen, dann doch wieder ums Geld - um eine Genugtuung in Euro.

30 Prozent mehr Gehalt werden gefordert. So viel wollten auch die Piloten seinerzeit haben. Doch selbst wenn für manche Ärzte der erfolgreiche Fliegerstreik Ansporn ist - viele Mediziner scheuen diesen Vergleich.

Vielleicht, weil in ihren 30 Prozent weniger Chuzpe und dafür mehr Empörung über die bereits erfolgten und drohenden Lohneinbußen stecken:

Weihnachts- und Urlaubsgeld sind bereits gestrichen worden und die Zusatzvergütungen aus den an sich verhassten überlangen Bereitschaftsdiensten werden wegfallen.

Doch halt: Mit welchem Recht fordern die Ärzte, dass ausgerechnet bei ihnen die Einkommensverluste wettgemacht werden? Die treffen schließlich den gesamten Öffentlichen Dienst.

Ist der Gehaltsunterschied zum ewigen Vergleichsmaßstab, der Krankenschwester, wirklich so bedrohlich gering geworden, dass es eines wochenlangen Streiks bedarf?

Vielleicht sollten die Ärzte diesen ebenso häufig bemühten wie unseligen Vergleich einmal beiseite lassen.

Überbordende Bürokratie

Sie haben doch bessere Argumente zur Hand: Die Arbeit der Krankenhausärzte hat sich in den letzten Jahren drastisch gewandelt und hätte es verdient, besser belohnt zu werden: Aus den gut bezahlten, manchmal arg frei schwebenden Stethoskopträgern sind Arbeiter geworden, von denen für vergleichsweise wenig Geld viel verlangt wird. Auch viel Verantwortung.

Versorgte früher der Assistenzarzt seine Patienten und schrieb begleitend noch den Arztbrief, wartet heute daneben die überbordende Bürokratie:

Jeder Patient muss erfasst und codiert werden - das macht im Zeitalter der Fallpauschalen der Doktor selbst. Geschieht das nicht, bekommen die Krankenhäuser kein Geld. Jeder Assistenzarzt schreibt also ein Stück an der Bilanz des Hospitals mit. Weil das so ist, gibt es Druck von der Verwaltung, wenn er das vergisst oder vergessen will.

Hinzu kommen in den Universitätskliniken die Lehrtätigkeiten. Waren diese früher den Professoren und Dozenten vorbehalten, müssen auch hier mittlerweile die Assistenten ran. Überdies soll eifrig geforscht und publiziert werden.

Daneben das ständige Kommen und Gehen der Patienten: Deren Klinikaufenthalte sind kurz geworden - nicht aber deren Ansprüche. Und ganz nebenbei hat die Laufkundschaft die Ambulanzen als Alternative zur Praxis entdeckt, vor allem wegen der langen Öffnungszeiten.

Weil die Anforderungen gerade an die jungen Ärzte so groß sind, stellen sich in diesen Tagen selbst die Chefs auf die Seite ihrer Assistenten - trotz des Wissens, dass in den Kliniken aufgrund des Streiks derzeit unhaltbare Zustände herrschen.

Machtkampf zwischen den Gewerkschaften

Doch wie soll alles weitergehen? Ein Tarifabschluss liegt bereits auf dem Tisch: 16,5 Prozent mehr Gehalt bieten die Länder - das hört sich gut an, doch verbleibt manchem Arzt - je nach Tarifbereich - damit noch immer weniger als vor der Streichung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes. Dass zugleich die Wochenarbeitszeit auf 42 Stunden heraufgesetzt wurde, ist da kaum noch der Rede wert.

Ohnehin ist dieser Vertrag strittig, zumindest auf Seiten der Ärzte. Denn er wurde von der Gewerkschaft Verdi abgeschlossen. Doch die vertritt nur noch eine Minderheit der Ärzte.

Früher wäre das kein Problem gewesen, doch mittlerweile will der Marburger Bund für die Mediziner zuständig sein - und die Ärzte wünschen sich das auch. Verdi habe sie in der Vergangenheit schlecht vertreten, heißt es. Darum müssen jetzt die Richter entscheiden, ob dieser Abschluss bereits Gültigkeit besitzt.

Bis ein Urteil gefällt ist, wird weiter gestreikt. Und danach möglicherweise erst recht. Vielleicht müssen die Ärzte das auch, weil sie jetzt schon so lange streiken und so wenig erreicht haben.

Ob der Marburger Bund am Ende freilich mehr bewirken kann als Verdi, ist fraglich.

Das Chaos geht weiter

Eines ist indes jetzt schon klar: Das Chaos wird weitergehen - auch nach dem Streik: Der Arbeitskampf kostet die Kliniken viel Geld und der Tarifabschluss - wie auch immer er aussehen wird - sowie die erforderliche Neuordnung der Bereitschaftsdienste, werden es ebenfalls tun.

Doch für die Stellen, die die Krankenhäuser zur Erfüllung der neuen Arbeitszeitbedingungen schaffen müssten, sind jetzt schon keine Mittel da.

Und so wird am Ende des langen Streiks vielleicht nur eine bittere Einsicht stehen: Die Ärzte werden zwar ein paar Prozente mehr bekommen, doch letztlich bleibt alles beim Alten.

Nur sind dann die schlecht bezahlten Krankenhausärzte kein Phänomen mehr, sondern Alltag.

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