40 Jahre Walkman:Als die Musik Laufen lernte

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1979 verkaufte Sony den ersten Walkman. Diese Revolution des Musikhörens ist heute fast vergessen.

Von Simon Hurtz

1983: Der Walkman als Stil-Mittel. (Foto: amw)

"Legende" und "Kult" sind überstrapazierte Begriffe. Doch auf den Walkman treffen die Bezeichnungen zu. Im Juli 1979 bringt Sony die erste Version des tragbaren Kassettenspieler auf den Markt, den "Walkman TPS-L2".

Das erste Modell des Kult-Kassettenspielers aus dem Jahr 1979. (Foto: Reuters)

Der Legende nach ist ist Sony-Gründer Masaru Ibuka maßgeblich dafür verantwortlich: Angeblich wollte der damalige Ehrenvorsitzender des Sony-Aufsichtsrats auf seinen Reisen Musik hören und wünschte sich ein portables Gerät. Also mussten Sonys Designer das fast zwei Kilogramm schwere Diktiergerät TC-D 5 weiterentwickeln und abspecken. Sie entwickeln den ersten Walkman - und verändern damit die Art und Weise, wie Millionen Menschen Musik hören.

Mit der Zeit wurden die Geräte kompakter und unempfindlicher - und spielten auch beim Joggen ordentlich ab. (Foto: Philipp Schulze/dpa)

Der Walkman startet zunächst denkbar schlecht. Die ersten Presseberichte fallen verhalten aus, die fehlende Aufnahmemöglichkeit ist ein großer Kritikpunkt. Sony verkauft im Juli 1979 nur 30 000 Exemplare. Dann setzt das Unternehmen auf eine Marketing-Kampagne mit Prominenten und verhilft dem Kassettenspieler damit zum Durchbruch. Bald beginnt Sony, den Walkman auch außerhalb Japans zu verkaufen. Allerdings erwägt man dabei zunächst andere Namen: In den USA soll der Walkman "Soundabout" heißen, in Großbritannien ist "Stowaway" geplant, und die Schweden sollen ein Produkt namens "Freestyle" kaufen können. Doch während einer Geschäftsreise nach Europa trifft Sony-Chef Akio Morita Eltern, deren Kinder sie auffordern, Morita um einen "Walkman" zu bitten. Offenbar ist der Name also bereits bekannt und wird weltweit beibehalten. Aus Sonys Sicht eine gute Entscheidung: Der Walkman ist eines der erfolgreichsten Produkte der Unternehmensgeschichte.

In den USA sollte der Walkman anfangs "Soundabout" heißen, in Großbritannien war "Stowaway" geplant. (Foto: Christin Klose/dpa)

Der erste Walkman leidet an Kinderkrankheiten: Er reagiert sensibel auf Erschütterungen, zum Joggen eignet er sich nicht. Selbst beim strammen Spazierengehen setzt die Wiedergabe bisweilen aus. Außerdem rauscht und knarzt es, die Tonqualität lässt zu wünschen übrig. Dem Erfolg steht das nicht im Weg: Der Walkman braucht nur wenige Jahre, um den mobilen Musikkonsum zu revolutionieren. Bereits 1981 verkauft Sony allein in Deutschland 100 000 Exemplare. Bis 1989 produziert Sony insgesamt 50 Millionen Walkmans, drei Jahre später sind es bereits 100 Millionen.

1981 verkauft Sony allein in Deutschland 100 000 Exemplare. Und Konkurrenten ziehen nach - mit anderen Namen. (Foto: Alessandra Schellnegger)

Andere Unternehmen sehen, wie erfolgreich Sony mit seinem neuen Produkt ist, und kopieren das Konzept. Den Namen können sie nicht übernehmen, aber auf Kassetten setzen sie alle. Der "Mini-Stereo-Cassettenspieler" von Siemens ist nur eines von vielen Nachahmerprodukten. Teilweise versuchen die Hersteller, neue Namen zu etablieren. Das deutsche Unternehmen Grundig nennt seine portablen Kassettenspieler "Beat Boy" - mit überschaubarem Erfolg: Am "Walkman" ist kein Vorbeikommen, die Bezeichnung wird zum Gattungsbegriff.

Mixtapes für die Jugendlichen und Hörspiele für die Kinder: Der Walkman prägt eine Generation. (Foto: Frank Kleefeldt/dpa)

Für viele Menschen, die in der 80er- oder 90er-Jahren jung waren, sind sie eine prägende Kindheitserinnerung: Hörspiele auf Kassette. Millionen Kinder wachsen mit Bibi Blocksberg, Benjamin Blümchen und den Drei Fragezeichen auf. Für Eltern ist der Walkman ein Segen: Noch nie war es einfacher, den quengelnden Nachwuchs auf der Rückbank zu besänftigen. Mit genügend Hörspielen lassen sich selbst die längsten Autofahrten in den Urlaub ertragen.

Manche Pop- und HipHop-Bands sind groß geworden durch die Tapes im Walkman. (Foto: Andrea Warnecke/dpa)

Sony entwickelt den Walkman schnell weiter. Spätere Modelle werden kompakter, reagieren weniger sensibel auf Erschütterungen und klingen deutlich besser als das erste Modell. Vor allem werden sie günstiger: Mit einem Einstiegspreis von 400 DM war der erste Walkman für viele Jugendliche schlicht zu teuer.

1999 gibt es von Sony den Jubiläums-Walkman. Doch da war schon die Zeit der CD-Player angebrochen. (Foto: Reuters)

Sony feiert sich selbst: Im Jahr 1999 stellt das Unternehmen einen Jubiläums-Walkman vor, der den 20. Geburtstag des Geräts markiert. Das Modell WM-WE01 kommt mit neuartiger Fernbedienung und drahtlosen Kopfhörern und kostet umgerechnet knapp 200 Dollar. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Walkman jedoch keine große Zukunft mehr: Nur zwei Jahre später bringt Apple den ersten iPod auf den Markt, der die nächste Musik-Revolution auslöst. Binnen kurzer Zeit werden Kassette, CD und Mini-Disc obsolet, und die Welt steigt auf MP3-Player um.

Der CD-Walkman, auch Discman genannt, hatte ähnliche Probleme wie das Kassettengerät früher: Das Abspielen holperte mitunter. (Foto: dpa)

Wer "Walkman" hört, denkt wohl zuerst an Kassetten. Tatsächlich verwendet Sony die Bezeichnung für alle Produkte, die mobilen Musikgenuss ermöglichen. 1984, ein Jahr nach dem internationalen Start der CD, erscheint Sonys erster portabler CD-Spieler, damals unter dem Namen "Discman D-50". Im Jahr 2000 tauft Sony die Geräte um: Der Discman wird zum "CD Walkman". Auf diesem Bild präsentiert eine Sony-Mitarbeiterin den "CD Walkman D-E999", damals der kleinste und mit 155 Gramm leichteste CD-Spieler der Welt. Doch im Vergleich zum iPod oder Smartphones, mit denen Menschen heute Musik hören, wirkt das Gerät klobig und unpraktisch.

Die Mini-Disc von Sony blieb auch wegen falscher Vermarktung eine Nischentechnik zwischen den CDs und den ganz digitalen Pods der 2000er-Jahre. (Foto: dpa)

Anfang der 90er-Jahre stellt Sony die Weiterentwicklung der Kassette vor: Die Mini-Disc ist kleiner und klingt viel besser. In Japan wird das neue Speichermedium schnell populär, doch in Europa und den USA setzt sich die Mini-Disc nie richtig durch. Dazu trägt auch Sony selbst bei. Das Unternehmen weigert sich lang, das MP3-Format zu unterstützen, und beharrt auf dem eigenen Atrac-Standard. Auch deshalb verbreiten sich MP3-Player, während Mini-Discs heute nur noch eine nostalgische Erinnerung sind. Daran kann auch der "MD Walkman MZ-E900" nichts ändern, mit dem Sony im August 2000 die Mini-Disc am Leben erhalten will.

Vergessene Technik-Ikonen: Nur die Hälfte von 643 befragten Kinder und Jugendlichen in Deutschland weiß, was ein Walkman ist. (Foto: ag.afp)

30 Jahre Technikgeschichte in einem Bild: 2009 zeigt Sony unterschiedliche Generationen des Walkmans. In der Mitte das erste Modell, der Walkman TPS-L2, ringsherum moderne MP3-Player, die immer noch denselben, ikonischen Namen tragen - ein Name, der in Vergessenheit zu geraten droht. Denn Jugendliche scheinen sich nicht für die Technik zu interessieren, mit der ihre Eltern groß geworden sind. Zu diesem Ergebnis kommt jedenfalls eine Umfrage des Branchenverbandes Bitkom. Demnach weiß nur die Hälfte der 643 befragten Kinder und Jugendlichen zwischen 10 und 18 Jahren, was ein Walkman ist. Drei Viertel der Teilnehmer an der Umfrage haben noch nie von Mini-Discs gehört, und 56 Prozent haben keine Ahnung, dass das allgegenwärtige Speichern-Symbol für eine Diskette steht. Wer noch selbst gefaxt hat, dürfte sich angesichts dieser Umfrage ziemlich alt vorkommen. Immerhin: Sieben von zehn Jugendlichen können mit dem Begriff "Kassettenrekorder" etwas anfangen.

Ein Lichtblick für die Fans von Kassetten: "Ninm Lab" aus Hongkong will die Kassetten-Technik wieder aufleben lassen. (Foto: NINM Lab)

Oder feiert der Walkman doch noch ein Comeback? Darauf hofft zumindest das Start-up "Ninm Lab" aus Hongkong. Mit einer Kickstarter-Kampagne sammelt das Unternehmen Geld für den Walkman-Nachfolger "It's OK". Das Gerät spielt Kassetten ab, Kopfhörer können drahtlos mit moderner Bluetooth-5.0-Funkverbindung angeschlosen werden. Der Text der Kampagne und das dazugehörige Promo-Video setzen auf 80er-Jahre Romantik und versuchen, nostalgische Retro-Fans anzusprechen. Diese Strategie hat offenbar Erfolg: Die Mindeststumme von 11 000 Euro wurde schnell überschritten, mittlerweile haben rund 800 Unterstützer mehr als 60 000 Euro zugesagt. Vielleicht laufen im Sommer 2020 plötzlich wieder Menschen mit Walkman durch die Straßen. Deutlich wahrscheinlicher ist aber, dass der Walkman nach 40 Jahren ausgedient hat - ein Stück Technikgeschichte wird er aber immer bleiben.

© SZ vom 17.07.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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