3-D-Druck:Nach dem Selfie kommt das Shapie

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3D-Druck auf der Messe "Rapid.Tech" in Thüringen. (Symbolbild) (Foto: dpa)

Warum die Familie fotografieren, wenn man sie sich ins Regal stellen kann? Start-ups bieten Miniatur-Doppelgänger aus dem 3D-Drucker an. Mit starker Armbehaarung hat die Technik aber noch Probleme.

Von Monika Goetsch

Durch Zufall erfuhren Prinz Michael zu Salm-Salm und seine Frau, Prinzessin Philippa, von der Möglichkeit, sich schrumpfen zu lassen. Ein Bekannter hatte sich mit 3-D-Druck selbständig gemacht. Der Prinz und seine Frau sind aufgeschlossene Menschen, denen Tradition viel und Familie alles bedeuten. Die Kinder und Enkel nicht nur auf Fotos, sondern als lebensechte, kleine Figuren um sich zu haben: Diese Idee gefiel ihnen sofort.

Zu zehnt fand sich die Familie bei dem Start-up in Berlin ein. Der elfjährige Enkel war bereit, sich scannen zu lassen. Der zweieinhalbjährige, bestochen mit ein paar Gummibärchen, sowieso. Auch die hochschwangere Tochter. Jetzt stehen die Miniaturen, schön sichtbar für alle Gäste, auf den Fensterbänken des Esszimmers in Schloss Wallhausen. Einzeln unter Glasglocken, die aus dem Baumarkt stammen. Zum Schutz vor Stürzen, die Arme und Beine brechen so leicht ab. "Es löst Freude aus, die Figuren zu sehen, anzufassen, umzudrehen", sagt die Prinzessin, "ein Moment ist da festgehalten, kein Gemälde kann das." Auch dem Prinzen geht beim Anblick der Figuren "das Herz auf in der Liebe zu meinen Kindern und Enkeln. Das macht viel mit einem!"

Inzwischen kann man sich selbst und seine Lieben in allen größeren Städten als Miniaturfigur ausdrucken lassen. Start-ups bieten den Scan an, aber auch große Firmen wie Media Markt. Mit rund hundert Euro pro Figur ist man dabei. Der Modedesigner Michael Michalsky stellte vor einigen Monaten seine neue Kollektion mit 3-D-Figuren vor - jeden Look an einem auf eine Größe von 25 Zentimetern geschrumpften Model. Preis pro Stück: 3000 Euro. Sich selbst ließ der Designer auch ausdrucken, natürlich größer, 35 Zentimeter hoch.

Irgendwie demokratisch - aber irgendwie auch teuer

Alles nur lustige Spielerei? Wer so eine 3-D-Figur erstmals in den Händen hält, ist eher berührt und erstaunt. Vielleicht ging es den Menschen früher auch so, als die Fotografie neu war. Mit den 3-D-Figuren scheint etwas Magisches zurückzukehren. Einen "animistischen Rekurs" nennt das der Designer Markus Dreßen vom Leipziger Spector Bureau, "man weiß, das Ding ist seelenlos und beseelt es selbst, allein die Ähnlichkeit bewirkt den Zauber." In ihrer Püppchenhaftigkeit erinnern die Figuren an Pan Tau, den Herrn mit Melone aus der Kinderserie, der sich nach Belieben klein schrumpfte, oder an Astrid Lindgrens einsamen Jungen Bertil, in dessen Jacke Nils Karlsson-Däumling hockt und gestreichelt werden kann, wenn Bertil sich allein fühlt.

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Da sind aber auch die Albträume von malträtierten Voodoopuppen und abgerissenen Köpfen, Assoziationen von Macht, Ohnmacht und Gewalt. Merkwürdig zudem, dass es Menschen immer noch spaßig finden, einen kompletten Datensatz von sich herstellen zu lassen, mit dem bekanntlich alles Mögliche angestellt werden kann. Natürlich ist Narzissmus im Spiel. Was sonst könnte einen verleiten, nicht mehr nur Selfies, sondern auch sogenannte Shapies von sich anzufertigen - und die dann gleich, hübsch fotografiert, durch die Netzwerke zu schicken? Die kindliche Freude an einer neuen, originellen Technik ist einfach zu schön. Und hat es nicht auch etwas angenehm Demokratisches, dass sich jeder in einer Skulptur verewigen kann?

Markus Dreßen, dessen Atelier die visuelle Identität des Stuttgarter Staatstheaters jedes Jahr neu entwirft, ist fasziniert von solchen Gedankenspielen. Deshalb regte er an, das Ensemble für die kommende Spielzeit nicht wie üblich zu fotografieren, sondern scannen und dreidimensional drucken zu lassen.

Man machte Scanotec in Schwaben ausfindig. Die Firma hat schon Konfirmanden geschrumpft und Hochzeitspaare, Hunde für ihre Herrchen, Schwangere und sogar eine ganze Familie, die das Oberhaupt, ein Eisenbahnenthusiast, seither in seine Landschaften einbaut. Alle ziemlich naturalistisch - und doch deutlich als Figur erkennbar. Wie detailreich eine Miniatur ist, entscheidet die Größe, sagt Heiko Weiss, Scanotec-Gründer: "Bei einer Figur von 15 Zentimetern sieht man den Zeiger auf der Armbanduhr nicht; bei einer 30-Zentimeter-Figur ist er erkennbar."

Manches macht beim Scan noch Probleme: ein ausgestreckter Finger etwa - der ist zu klein und bricht leicht ab. Starke Armbehaarung - ein verwaschener Eindruck. Die Brille - muss abgesetzt werden, weil sie spiegelt. Die Lösung lautet: nachbessern am PC. Viele Stunden verbringen Weiss und sein Kollege damit. Aber auch vor den Scans haben sie zu tun. Denn fast jeder, der zu ihnen kommt, ist etwas verkrampft. Mit dem üblichen Selfiefotogesicht kommt man hier ja nicht weit. Auf einmal muss der ganze Körper posieren. Also versucht Weiss, sein Gegenüber im Gespräch aufzulockern. Auf Wunsch schmilzt Weiss hinterher ein bisschen Bauchspeck weg. Verschönern geht nämlich auch bei 3-D.

Die Schauspieler in Stuttgart hatten mit den Posen kein Problem. Weiss umkreiste sie mit einer gewöhnlichen Digitalkamera (an einem mobilen Scan arbeitet man noch) und schoss Bild um Bild, bis der Datensatz der Körperoberfläche dicht genug war. Was genau mit den Figuren geschehen soll, ist noch unklar. Im Augenblick liegen sie in Kartons.

Die Schauspielerin Manja Kuhl hat ihren Doppelgänger betrachtet. Breit und x-beinig steht sie da, mit zur Seite ausgestreckten Armen, den Blick in den Himmel gerichtet. "Und jetzt?", scheint die Figur zu sagen. Aber so sehr sie der Schauspielerin ähnelt: Ein Miniatur-Ich sei das nicht, findet sie, sondern "eine Figur, die den Körper der Schauspielerin Manja Kuhl relativ naturgetreu darstellt". Ein privater Körper, ja, aber eben auch das Material einer Schauspielerin, eine Projektionsfläche für den Betrachter. "Und irgendwo in der Lücke zwischen all den Bildern entsteht die Möglichkeit eines Moments", sagt sie. "Das hat aber doch nichts mit Mir-Mich-Ich zu tun, oder?" Man sieht schon: Die Sache mit den kleinen Figuren ist gar nicht so unkompliziert. Und sie wird eher noch komplizierter, wenn der menschliche Körper künftig noch lebensechter aus dem 3-D-Drucker kommt.

Der kleine Kopf sieht erschreckend lebendig aus

Daran arbeitet Philipp Urban vom Fraunhofer-Institut für Graphische Datenverarbeitung in Darmstadt. Entscheidend für die Qualität einer Figur, sagt er, sei die Farbe und Lichtdurchlässigkeit der Haut. "Stellen Sie sich die Ohren eines Menschen vor, der von hinten beleuchtet wird. Sehen Sie? Haut lässt viel Licht durch."

Mit dem üblichen Pulverbinderverfahren lässt sich weder diese Lichtdurchlässigkeit noch der Glanz des Auges nachbilden. Darum verwendet Urban flüssige Tinte, die im UV-Licht aushärtet und eine glatte Oberfläche bildet. "So kann ich beliebige Lichtdurchlässigkeiten herstellen - bis hin zur Transparenz." Einen Kopf von etwa sechs Zentimetern Größe hat er bereits ausgedruckt. Er sieht geradezu erschreckend lebendig aus. Allerdings sind die Augen geschlossen. Aber auch das Augenpaar, das man inzwischen ausgedruckt hat, soll, so der Wissenschaftler, sehr realistisch sein.

Anfragen kommen bereits aus der plastischen Chirurgie. Lebensechte Büsten könnten dort dem Patienten vor einem Eingriff helfen, sich für die eine oder andere Gesichtsoperation zu entscheiden. In einem nächsten Schritt, meint Urban, werde es darum gehen, die Figuren auch in verschiedensten Festigkeiten zu "verdrucken", damit sie "sich anfassen wie ein richtiger Mensch".

Michael Prinz zu Salm-Salm denkt unterdessen über eine kleine Skulpturensammlung nach - eine Art Fotoalbum in 3-D. Seine Frau wiederum beschäftigt die Frage, wie man die Figuren am besten aufstellt. Sie sieht viele künstlerische Möglichkeiten. Kürzlich, als Hochwasser war, hat die Schwiegertochter die Miniatur des kleinen Buben davor gesetzt und fotografiert. Und es sah ganz so aus, als ob das Kind zum Schwimmen geht.

© SZ vom 27.08.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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