100 Jahre Ford:Der Erfolg kam nach der Lohnerhöhung

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Mit dem Fließband revolutionierte der US-Autobauer die gesamte Industrie - heute ist er ein Sanierungsfall.

Karl-Heinz Büschemann

(SZ vom 13.06.2003) - Wäre nicht im Jahr 1878 der junge Henry mit 15 von der Schule geflogen, wer weiß, wie die Welt heute aussähe? Vielleicht hätte der Bursche keine Mechanikerlehre gemacht und es wäre nie zur Serienfertigung von Autos gekommen. Möglicherweise hätte sich die kapitalistische Wirtschaft anders entwickelt. Amerika wäre heute womöglich nicht die Auto- und Industrienation Nummer eins in der Welt. Und es gäbe wohl auch keinen Ford-Konzern, der jetzt 100 Jahre alt wird.

Der legendäre Firmengründer: Henry Ford (Foto: AP)

Seit Donnerstag wird am Firmensitz in Dearborn bei Detroit gefeiert. Pop-Gruppen wie Earth Wind and Fire treten auf, das Detroiter Symphonieorchester spielt, und natürlich werden alle historischen Ford-Modelle gezeigt. Bei Ford ist die Geschichte glanzvoller als die Gegenwart.

Der zweitgrößte Autobauer der Welt, der in einer umfunktionierten Waggonhalle anfing, der heute rund 135 Milliarden Dollar Umsatz macht, 350 000 Mitarbeiter hat, pro Jahr sieben Millionen Autos baut, und dessen Fahrzeuge in praktisch jedem Land der Welt unterwegs sind - dieses traditionsreiche Unternehmen also ist heute ein Sanierungsfall.

Der große Henry Ford

Gründer Ford ist eine der größten Persönlichkeiten der Wirtschaftsgeschichte, in einer Reihe mit Unternehmern wie John D. Rockefeller, Alfred K. Krupp oder - in der heutigen Zeit - Bill Gates, die das Gesicht ihrer Industrien veränderten.

Trotzdem sah am Anfang alles nach einem Scheitern aus. Henry, 1863 in Dearborn geboren, war in seiner Jugend eher unstet, ein misstrauischer Einzelgänger. Er tüftelte mit Dampfmaschinen, gründete ein Sägewerk, verkaufte Landmaschinen und versuchte es mit der Massenfertigung von Uhren.

Die 1886 in Deutschland von Gottlieb Daimler und Carl Benz erfundenen Automobile faszinierten ihn; also wurde er auch Rennfahrer. Am 16. Juni 1903 wurde die Ford Motor Company gegründet, da war Firmenchef Ford bereits 40 Jahre alt.

Mit elf bunt zusammengewürfelten Partnern (je ein Kohlenhändler, Buchhalter, Bankkaufmann, Tischler, Büroangestellter, Kurzwarenhändler, Hersteller von Luftgewehren, ferner zwei Anwälte und zwei Brüdern, die eine Halle besaßen) und einem Kapital von 28.000 Dollar startete der Autobau.

Der Erfolg begann mit dem T-Modell

Der erste Erfolg des Existenzgründers war eine Motorkutsche, T-Modell genannt; reichlich unansehnlich, aber billig zu bauen und noch einfacher zu reparieren. 1908 kam dieses Vehikel auf den Markt, das mit 27 Millionen Stück der Rekordhalter der Industrie sein sollte, bis vier Jahrzehnte später der VW-Käfer diese Marke brach. Fords Erfolg gelang aber nur, weil er den Autobau revolutionierte.

Mag das Fließband ein anderer erfunden haben, Henry Ford brachte die fließende Auto-Produktion, die am Arbeiter vorbeiläuft, zur ersten Blüte. Damit hat sich nicht nur das Bild der Industrie verändert: Die Produktion mutierte zum Massengeschäft, die Autos wurden billiger. Im Jahr 1912 kostete ein T-Modell noch 600 Dollar.

Als vier Jahres später fast 600.000 dieser rollenden Kisten vom Band liefen, war der Preis bei 360 Dollar angelangt. Fords Billigautos änderten auch das gesellschaftliche Leben. Die Menschen wurden mobil, sie begannen aus den Städten hinaus in die Vorgartensiedlungen zu drängen und die Straßen zu verstopfen.

Lohnerhöhungen um 100 Prozent

Henry Ford vertrat Standpunkte, die heute märchenhaft erscheinen und die im heutigen Deutschland von Gewerkschaften vertreten werden: "Man muss Herstellungsverfahren erfinden, die hohe Löhne gewährleisten", war sein Motto. "Lohnkürzungen führen zur Verkleinerung des Kundenstammes." Mit guten Löhnen sollten seine Arbeiter auch Kunden werden. Also erhöhte Ford im Jahr 1914 die Löhne um kurzerhand 100 Prozent auf fünf Dollar am Tag. Zu Fords besten Zeiten kam jedes zweite Auto der Welt aus Henrys Werken.

Irgendwann holten auch den Pionier die Regeln des Kapitalismus ein, die grenzenloses Wachstum verheißen, aber am Ende doch nicht zulassen. Ford baute die "Blechliesel" 19 Jahre lang fast unverändert. Innovationen hielt er für unwichtig. Doch plötzlich war die Konkurrenz besser. Die Wettbewerber, die sich in der Gegend von Detroit inzwischen drängten, lieferten technisch bessere und schönere Autos.

Ford musste 1927 seine Fabrik ein halbes Jahr lang komplett schließen, um ein neues Modell zu entwickeln. Es kam der erste Achtzylinder, ferner Fabriken im Ausland, zum Beispiel in Deutschland, wo das Unternehmen seit 1925 Autos produziert. Im zweiten Weltkrieg wurden die Fabriken auf Panzer, Flugzeuge und Flugzeugmotoren umgestellt. Bis es nach 1945 mit Blechkutschen weiter ging.

Traumautos Mustang oder Thunderbird

Aber erst einmal stand Ford vor gewaltigen Absatzproblemen. Die Verluste türmten sich. Henry Ford II, ein Enkel des Gründers, musste erst sanieren und neue Modelle entwerfen. Mit Erfolg.

In den USA wurden die Zweisitzer Mustang und Thunderbird zu den Traumautos der ersten Friedensjahre. In Deutschland hatten die Wiederaufbau-Autos Namen wie Taunus oder Capri.

Bemerkenswert an dem Konzern ist seine Familienbindung. Der alte Henry Ford, der 1947 starb, war mit einer kleinen Unterbrechung Konzernchef bis 1945.

Dann übernahm sein Enkel, der den Konzern bis 1980 beherrschte. Erstmals kamen familienfremde Manager an die Konzernspitze. Bis vor zwei Jahren William ("Bill") Clay Ford Jr., Henrys Urenkel, das Ruder in der Firma übernahm, die noch immer zu 40 Prozent in den Händen der Gründerfamilie liegt.

Ruinöse Rabattschlacht

Zu dieser Zeit steckte der Konzern mal wieder in einer Management- und Absatzkrise. Er hatte sich in den neunziger Jahren extrem viel zugetraut und durch Zukäufe von Automarken auf neue Märkte gesetzt. Ford übernahm die Führung des japanischen Autobauers Mazda, kaufte Land Rover, Volvo, Aston Martin und Jaguar und versuchte sich im Luxus-Segment, wo mehr Geld zu verdienen war als mit den Massenautos.

Doch mit dem Ende des alten Jahrtausends war der Traum vom Überfliegerkonzern zu Ende. Erst geriet das Europa-Geschäft in eine Krise. Dann knickte die Nachfrage auf dem wichtigen US-Markt ein. Während die europäischen und japanischen Autos in den USA Rekorde schafften, waren die PKW und Pickups aus US-Fertigung nur noch mit hohen Rabatten zu verkaufen.

Die Profite gerieten unter Druck. Erst wurde Chrysler zum Sanierungsfall, jetzt kämpft Ford mit den Folgen der Rabattschlacht. Im vergangenen Jahr betrug der Verlust eine Milliarde Dollar, nach katastrophalen 5,5 Milliarden Dollar im Jahr 2001. Einzig der Marktführer General Motors kommt mit den heutigen Kampfpreisen noch über die Runden.

Daher ist bei Ford die Feier-Stimmung gedämpft. Bill Ford hält die Ausgelassenheit im Rahmen. Die Verluste und der Zwang, in den nächsten Jahren fünf Fabriken zu schließen und 35.000 Mitarbeiter zu feuern, passen nicht gut zu einem Jubiläumsjahr. Gefeiert wird dennoch, aber nur gegen Eintrittsgebühr. Die Einnahmen, heißt es in der Konzernzentrale bescheiden, dienten der Abdeckung der Kosten.

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