Zwischenkollektionen von Designer-Labels:Allzeit bereit

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Pre-Kollektionen müssen für alle möglichen Situationen geeignet sein. Daraus entstehen Kombis wie Mantel zu Flip-Flops  (Chloe, rechts) oder Herbstliches in Frühlingsgrün (Joseph, links). (Foto: PR)

Winter- oder Sommerkollektionen reichen längst nicht mehr aus, um den Kunden zufriedenzustellen. So entstehen so genannte Pre-Kollektionen für alle möglichen Situationen: Mantel zu Flip-Flops oder Herbstliches in Frühlingsgrün. Die Rechnung geht auf: Bei manchen Labels fahren die Zwischenkollektionen längst mehr Geld ein als die Hauptlinien.

Von Miriam Stein

Kennen Sie Pre-Fall? Nein? Kein Wunder, denn der Zustand "Vor-Herbst" ist weder im astronomischen noch klimatischen Jahreszeitenmodell bekannt. Doch immer selbstverständlicher drucken Magazine die Bilder relevanter Stil-Vorbilder mit dem Hinweis: "Anne Hathaway trägt Pre-Fall Oscar de la Renta". Oder - "Jennifer Lawrence in Pre-Fall Prabal Gurung". Nur was oder wann ist dieser Vor-Herbst?

"Pre-Fall", kann auf der Internetseite der deutschen Vogue nachgelesen werden, "schließt das Loch zwischen der Frühjahr-/Sommer- und Herbst-/Winter-Kollektion." Im Modekalender existiert also ein Loch zwischen Sommer und Herbst. Aha. Die Kollektionen mit dem Pre-Fall-Siegel werden im Dezember vorgestellt und kommen im Mai in die Geschäfte. Im Mai?

Fangen wir ganz vorne an. Im Modejahr gibt es zwei Hauptkollektionen, Frühjahr/Sommer und Herbst/Winter. Ob hohe Schneiderkunst oder Katalogmode, diesem Zyklus unterwarfen sich die Modehersteller lange Zeit, traditionell und ganz einfach wetterbedingt. An der Spitze der riesigen Industrie befinden sich jene Labels, die auf den Modenschauen in Paris, Mailand, London und New York zeigen. Sie setzen Trends, geben vor, was der Rest der Schneidergilde nachschneidern lässt und dann in die Einkaufszentren bringt. Doch aller Relevanz zum Trotz sind diese fantasievollen, oft aber unpraktischen Looks nicht unbedingt Verkaufsschlager.

"Eine Modenschau bei einer der großen Fashionweeks zu organisieren, ist ein riesiger, finanzieller Aufwand", so Clare Langhammer, die als Chefin der PR-Agentur Fake-PR in Berlin viele internationale Labels wie Filippa K, G-Star oder Joseph vertritt. "Dazu braucht man einen Investor, Geduld und Arbeitskraft am Rande der Selbstaufgabe." Schweiß und Tränen allein machen, bei aller Liebe zur Klamotte, kein Geschäft profitabel.

Pre-Fall und Resort: die tragbaren Stücke für den Alltag

Zusätzlich zu den Hauptlinien für die großen Schauen erarbeiten die Designteams der großen Labels also weitere, kleinere Zwischenkollektionen, die, wenn überhaupt, traditionell nach Vereinbarung, in statischer Form präsentiert werden. Sie heißen "Pre-Fall" und manchmal auch "Resort" und bestehen aus saisonunabhängigeren, gefällig geschnittenen Röcken, Kleidern, Blazern, Blusen und Hosen für mehr oder weniger gehobene Ansprüche, aber durchaus alltägliche Lebenslagen.

Es gibt Zwischenkollektionen schon seit Jahren, aber lange fristeten sie eine Existenz im Schatten der glamourösen und ehrgeizigen Hauptkollektionen. Doch in den letzten Jahren erlebt die Industrie eine wahre Götterdämmerung in Sachen Pre-Kollektionen. In den Worten der New York Times-Kritikerin Cathy Horyn sind Pre-Kollektionen die Arbeitsphasen, die "die Miete reinbringen".

Bereits im Mai finden diese Pre-Fall-Stücke ihren Weg in den Einzelhandel. Über Klima, Befindlichkeit und richtige Herbstkollektionen erhaben, verweilen sie dort bis Januar. Ganze acht Monate hängen sie unterm Strich an der Stange, ohne dabei aus der Mode zu kommen - damit sind die Pre-Faller absolute Rekordhalter unter allen Klamotten des Jahres. Zum Vergleich: Die Herbst-/Winter-Kollektionen erreichen die Läden im August und September, im Februar machen sie der Frühjahrs- und Sommergarderobe Platz.

Die kleine Schwester des Pre-Fall heißt Resort. Früher - was in der Mode bis vor wenigen Jahren heißt - fasste man diese Looks passenderweise unter dem Namen "Cruise"-Kollektion zusammen, doch um zeitgemäßer und weniger elitär zu klingen, einigte man sich auf den neuen Namen "Resort".

Diese Zwischenkollektionen erreicht ihre Kundschaft im November und hängt ungefähr bis März in den Läden. Resort bedient in erster Linie das Bedürfnis gut betuchter Menschen, die Kaltwetterphasen gerne in ihren Ferienhäusern auf Ibiza oder St. Barths verbringen und dafür auch im Herbst oder Frühling eine paar fesche neuen Hochsommersachen haben wollen, gleichzeitig aber auch irgendwas Schickes brauchen, um im Taxi zum Flughafen zu fahren . . .

Vorfühlen auf die nächste Saison

Ein Resort-Look muss also irgendwie alles abdecken, er hängt zwar nicht ganz so lange im Laden wie Pre-Fall, aber immerhin vier Monate, entsprechend vereinen die Looks Elemente aus Sommerkollektionen, wie kurze Röcke oder ärmellose T-Shirts, die mit Handschuhen oder Pelzkrägen kombiniert werden. Ein Resort-Look-Model kann auch durchaus mal einen Bikini mit einem Trenchcoat tragen. Oder Miniröcke mit Flip-Flops und Parkas. "Teile aus Pre-Kollektionen kann man", so Langhammer, "auf diese Weise auch noch im Sommer tragen und dabei schon die Trends der kommenden Herbstsaison ausprobieren."

Dass das Ganze, zumindest in unseren Breitengraden, Sinn macht, sagt ein Blick auf die deutsche Durchschnittstemperatur: 8,2 Grad Celsius. Perfekte Vorherbst-Grade. Auch eine Kommentatorin des britischen Daily Telegraph schrieb unlängst, dass stärkere Pre-Fall-Kollektionen im Vereinten Königreich sehr willkommen seien; da das Wetter in Großbritannien über weite Teile des Jahres gleichbleibend vorherbstlich sei, freue man sich über attraktivere, neutrale Kleidungsstücke.

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Claudia Reth, Chefeinkäufern beim Internetkaufhaus Zalando, hat einen noch pragmatischeren Blick auf Pre-Fall: "In diesen Kollektionen werden oft Top-Seller der vergangenen Herbst-/Winter-Kollektion neu interpretiert und wieder aufgelegt." Damit erklärt sich, zumindest teilweise, das vertraute Gefühl, das manchen Beobachter beim Anblick der Pre-Kollektionen beschleicht. Der britische Designer Christopher Bailey beispielsweise stellt in seiner aktuellen Pre-Fall Kollektion verschiedene Varianten von Burberry-Kurzmänteln aus leichter Schurwolle vor; Avantgarde geht echt anders. Dennoch, die Mäntel sind extrem ansprechend. Zwischenkollektionen holen den Modefan ab. "Einigen wir uns drauf, dass man sich in diese Kleider verliebt und sie kaufen will", kommentiert der Designer Oscar de la Renta den Status seiner Resort-Looks 2014. Michael Kors gestand gar der amerikanischen Vogue, dass Pre-Fall die Saison ist, in der er "am meisten Geld" verdiene. Das läge daran, dass man diese Kollektion "ganzjährig tragen kann, mit unterschiedlichem Schuhwerk".

Zalando-Einkäuferin Claudia Reth achtet beim Kauf der Pre-Fall Kollektionen auf "sommerliche Teile wie festliche Kleider, oder Leder, das auch im Hochsommer schon in winterlichen Farbtönen funktioniert". Die Behauptung, dass sich Pre-Fall am besten von allen vier Kollektionen verkaufe, kann Reth für die meisten Marken bei Zalando nicht bestätigen. Zwar sagt auch sie, dass Pre-Fall und Resort lange hängen und am längsten für den vollen Preis verkauft werden können, doch in Zwischenkollektionen liege nur "ein kleinerer Teil des Budgets".

Laufsteg vor passender Kulisse

Für Chanel gilt offiziell sowieso nicht das, was für andere gilt, und für Karl Lagerfeld sind Resort und Pre-Fall selbstverständlich keinesfalls Zwischenkollektionen, sondern Ready-to-wear-Shows, die man an exaltierten Locations zeigt; jedenfalls seit 2010. Da nämlich entschied Lagerfeld, seine Resort-Präsentation aus dem Hinterzimmer zu befreien und stattdessen am Hafen von St. Tropez zu zeigen, in jenem strahlenden, maritimen Sonnenschein, in dem sie später auch getragen werden soll. Er ließ dazu seine Models auf Speedbooten einrauschen und seine Gäste, internationale Stil-Ikonen wie Diane Krüger, auf schmiedeeisernen Gärtenmöbeln Platz nehmen. In diesem Jahr bugsierte er den gesamten Resort-Tross nach Singapur. Pre-Fall 2013 zeigte er vergangenen Winter in Edinburgh, Schottland.

Auch Christian Diors Kreativdirektor Raf Simons defilierte im Sommer Diors Resort-Kollektion außerhäusig: am Strand, in Monaco. Die meisten anderen Designer bleiben bei statischen Präsentationen und verzichteten vorerst auf teure Shows.

Das britische Magazin More Intelligent Life versuchte unlängst, sich per Leserinnen-Umfrage den realen Erwartungen von Frauen an Mode zu nähern. Glaubt man dem Ergebnis, spricht dies in der Tat für einen langfristigen Erfolg der Pre-Fall Kollektionen. Während alle befragten Frauen bestätigen, dass sie sich gern die Kreationen aus Paris und Mailand anschauen, sehnen sie sich für ihre Kleiderschränke nach solider Qualität, die ihnen gut passt. Dafür seien sie bereit, auch mal tiefer in die Tasche zu greifen. Der Zirkus um saisonale Trends stresst sie, sie suchen stattdessen nach Beständigkeit.

Mode für jetzt - und die nächste Saison zugleich

Die Bilanz: Frauen wollen eine Liebesbeziehung mit ihren Klamotten, nicht die albernen Kurzaffären, die ihnen angeboten werden. Und sie wollen die Beziehung hier und jetzt. "Unsere globalen Kunden haben kein Interesse mehr am traditionellen Fashion-Zyklus", bestätigt Natalie Kingham, Modechefin von matchesfashion.com, einer E-Boutique für moderne Luxuslabels. "Sie wollen jetzt kaufen und jetzt tragen. Deswegen sind Pre- und Resort-Kollektionen so wichtig geworden, sowohl für den Modekalender, als auch für unser Geschäftsmodell."

Werden in Zukunft die Zwischenkollektionen das Geld reinholen, was dann für die teuren Spektakel der Hauptkollektionen draufgeht, und wenn ja - rechnet sich das Ganze so auf die Dauer überhaupt noch? Oder wird die Zukunft Fashion-on-Demand sein? "Ich denke, dass Designer sich mehr und mehr dem Kaufverhalten der Konsumenten anpassen und ihre Kollektionen bedarfsgerechter gestalten müssen", so Claudia Reth.

Die glamouröse britische Geschäftsfrau Tamara Mellon, Mitbegründerin von Jimmy Choo, hat bereits reagiert. 2011 verkaufte sie ihre Anteile an dem Label für angebliche 85 Millionen Pfund , um unter ihrem eigenen Namen eine Kleider- und Accessoirelinie zu lancieren, die sie vor wenigen Tagen, wohlweislich außerhalb des Schauenplans in New York präsentierte. Ihr Prinzip: frauenfreundliche Kleider auf Rotation. Jeden Monat stellt sie der Jahreszeit angemessene, neue Ware vor; wie es etwa der Bekleidungsriese Zara macht, nur eben auf ganz anderem qualitativen Level. Bis jetzt gab es dieses Prinzip in der High Fashion nicht. Es habe sie, erzählt Mellon auf Style.com, nun zunehmend geärgert, dass sie ihre Kleider in der entgegengesetzten Jahreszeit kaufen musste. Zudem verändert laut Mellon die Übertragung von Modenschauen im Internet das Kaufverhalten. Man sehe die Looks ständig im Internet, ganze sechs Monate, bevor sie in die Läden kämen: "Wenn es sie dann tatsächlich zu kaufen gibt, hat man sich schon sattgesehen."

Heißt das, die Saisons werden bald völlig aufgelöst und Mode nach individuellem Gebrauch zugänglich gemacht? Das Label Burberry Prorsum hat jedenfalls seine Herbst-/Winter-Kollektion im Februar live im Internet gestreamt, über eine Smartphone-App konnten Kunden eine personalisierte Version der auf dem Laufsteg präsentierten Mäntel und Taschen bestellen, die sofort angefertigt und versendet wurden.

Für die Käufer, die jüngst bei den hochsommerlichen Temperaturen auf der Suche nach Kleidern über Kaschmirpullis und Wintermäntel gestolpert sind, ist das sicherlich erstmal eine gute Nachricht. In Zukunft gilt es wahrscheinlich auszutarieren, wo das Entgegenkommen endet und der Entwurf anfängt. Und so die hart erkämpfte Hoheit zu sichern, etwas zu designen, das über den attraktiven Gebrauchsgegenstand hinaus geht.

© SZ vom 17.08.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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