Werbelyrik:Geschwätzig Ding

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Firmen verwenden viel Mühe darauf, ihre Produkte mit blumigen Worten zu versehen. Aber wozu eigentlich Werbung, wenn man doch bereits gekauft hat?

Von Hermann Unterstöger

Das Mundwasser Odol wurde vor 120 Jahren ins deutsche Markenregister eingetragen. Auf der Homepage der Firma ist heute eine mutmaßlich heitere Zusammenrottung von Menschen abgebildet, zu der immer neue Leute strömen. Als Motto steht darüber: "Wir sind nicht geboren, um allein zu sein", zwei Sprechblasen aus der Menge heraus sagen: "Schön, dass du da bist" und ferner: "Komm doch näher & erlebe die sympathische Odol-Frische." Die Form der Odol-Flasche ist geblieben, doch hielt die in der Anfangszeit übliche Produktbeschreibung nicht annähernd so locker wie heute die Mitte zwischen menschlicher Zuwendung und philosophischem Anspruch. Damals war auf dem Etikett in strohtrockener Prosa zu lesen: "Nach dem heutigen Stande der Wissenschaft ist Odol nachweislich zur Pflege der Zähne und des Mundes besonders zu empfehlen." Das Wort "nachweislich" war unterstrichen.

Dass der Hersteller sein Produkt lobt, liegt in der Natur der Sache, und wenn er beim Lob übers Ziel hinausschießt, nimmt ihm das kein Mensch übel. Die Arbeit des Lobs wird in aller Regel von Werbeagenturen geleistet, wobei es nicht jeder von ihnen gelingt, die damit verbundene Mühe unbemerkt bleiben zu lassen. Als Rama noch Rahma hieß, schaltete ihr Hersteller, die Deutschen Jurgenswerke AG, eine Anzeigenseite, deren obere Hälfte durchaus passend von Kühen und einer adretten Maid bestritten wurde. Darunter fand sich allerdings ein betuliches Gebrumme über die Ernährung als "Hüterin der Gesundheit" und darüber, dass die Hausfrau Rahma "ihrem Haushalt unbedingt zunutze machen" müsse. Zu allem Überfluss war daneben der Margarine-Erfinder Hippolyte Mège-Mouriès abgebildet, ein grämlich blickender und außerdem noch ungesund wirkender Mann.

Die Produkte selbst müssten ihr eigenes Lob nicht mehr singen, da sie ja bereits vergeben sind

Beschäftigt man in der Werbung noch Dichter? Wahrscheinlich nicht, was inso-fern auch kein Schaden ist, als diese mit den professionellen Werbetextern meist nicht mithalten können. Goethe hat 1810 ein Gedicht auf die Ankunft der österreichischen Kaiserin Maria Ludovica in Karlsbad geschrieben, in dem sich auch ein längerer Einschub zugunsten des Kurorts findet: "Hier im waldbewachsnen Tale, / Das so mancher Fremde segnet, / Weil mit heilsam heißer Schale / Die Genesung ihm begegnet" - und so fort, das geht noch ein paar Zeilen. Heute wirbt Karlovy Vary mit dem Slogan "Eine Kurstadt wie keine andere". Das Gelbe vom Ei ist das auch nicht, aber sachlich ist dagegen jedenfalls nichts einzuwenden.

Wenn es um Dichter geht, die sich in der Produktverherrlichung hervorgetan haben, tritt sofort Frank Wedekind aus der Kulisse. Mittlerweile weiß fast jeder, dass Wedekind sich nach einem heftigen Familienkrach eine Weile selber fortbringen musste und dass ihm da der Werbejob bei Julius Maggi sehr zupass kam. Sein diesbezügliches Œuvre ist gut dokumentiert und weist Perlen auf wie dieses deutlich von Goethes "Erlkönig" inspirierte Gedicht, das man gern mal vom Team des Maggi-Kochstudios vorgetragen bekäme: "Vater, mein Vater! / Ich werde nicht Soldat, / Dieweil man bei der Infantrie / Nicht Maggi-Suppen hat! // Söhnchen, mein Söhnchen! / Kommst du erst zu den Truppen, / So ißt man dort auch längst nur Maggi's / Fleischconservensuppen." Und was isst man beim Boxtraining? Unter einem Foto Max Schmelings stand einmal: "Bei Kampf und Training allerwegs - / Nicht überlegs! / Iss Bahlsen-Keks!" Als das erschien, war Wedekind freilich schon ein paar Jahre tot.

Der Sinn der Werbung ist doch wohl der, Produkte so anzupreisen, dass sie gekauft werden und dass im Käufer die Bereitschaft geweckt wird, ebendieses Produkt immer wieder zu kaufen. Die Produkte selbst müssten nach dieser Logik ihr eigenes Lob nicht mehr singen, da sie ja bereits vergeben sind. Ein Gang durch die Regale zeigt jedoch, dass sich die Werbung auf den Produkten fortsetzt, eine Werbung freilich, die nicht länger der Erweckung und Rekrutierung des Kunden dient, sondern offenkundig dessen sanfter, softiger Einlullung, einer Art von Konditionierung.

Wie anders wäre zu erklären, was auf der Duschcreme one ginger morning ge-schrieben steht? Dort steht: "Aufgewacht Prinzessin und raus aus den Federn . . . Ich strecke mich, gähne ins Kissen und hasche nach dem Traum . . . voll Neugier auf den neuen Tag." Der Text geht, unbeschadet allfälliger literarischer Qualitäten, derart ins Leere, dass es schon wieder ein Jammer ist. Erstens gähnt selbst die schläfrigste Prinzessin beim Duschen nicht mehr ins Kissen, und zweitens ist der Duschvorgang selbst von der Art, dass man dabei keine Gaga-Texte von der Plastikflasche abliest. Wer auf der Toilette sitzt, liest ebenfalls nicht, zumindest nicht die Plastikhülle für die Klopapierrollen. Dennoch hat auf der Verpackung von Zewa Ultra Soft ein Wortspielkünstler seinen Fußabdruck hinterlassen: "Gönnen Sie Ihrem Po ein Wohlfühl-,PO'gramm, denn er ist immer für Sie da." Was für ein POet!

Auch hier wird die blanke Produktinformation auf leisen Pfoten umgangen

An derlei Kitsch hat es auf den Verpackungen in jüngster Zeit keinen Mangel. Wir kennen den Kitsch am Bau, den literarischen Kitsch, den patriotischen Kitsch und den Gebrauchskitsch, nicht zu reden vom philosophischen Kitsch, der Adorno zufolge fassbaren Lehren aus dem Weg geht und es vorgezogen hat, in die Sprache abzurutschen. Hier, zwischen Dusche und Klo, scheint es sich um einen Kitsch zu handeln, der mit dem Begriff Wohlfühl- oder Wellnesskitsch am ehesten zu fassen wäre. Auch hier wird die "Lehre", also die blanke Produktinformation, auf leisen Pfoten umgangen, dafür suhlt man sich in einer Prosa, die in unserem Alltag zuverlässig immer dann zur Stelle ist, wenn dem leidigen Baumeln der Seele ein adäquates Umfeld geschaffen werden soll.

Vor gut dreißig Jahren widmete sich Harry Pross' "Kornhaus-Seminar" dem Thema Kitsch. Die neue Wellnesspoesie wäre sicher für einen kleinen Exkurs gut gewesen, am besten für einen aus dem Mund des Medien- und Kommunikationsphilosophen Vilém Flusser. Dessen Erörterungen gingen damals unter anderem dahin, dass Kitsch eine Methode sei, "dank welcher der überzufließen drohende Abfall in die Kultur zurückgeführt wird", und als das Faszinierende am Kitsch definierte er den Umstand, dass es bei ihm "um eine Absage an das Gespräch und um eine Bejahung des Geredes geht". Freilich gab es seinerzeit Produkte wie die Pflegedusche Blütenmeer - "Noch von Tau bedeckt öffnen sich die Blüten in der Morgensonne" - noch nicht, und wenn doch, so wäre Flusser der Letzte gewesen, unter der Dusche so einer Lektüre zu obliegen.

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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