Urbane Mythen:Spiel, Satz und Aus

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Sätze, die verbinden: Lebemann Gunter Sachs Ende der Sechzigerjahre mit seinem Sohn auf dem Tennisplatz, natürlich ganz in weiß und in St.Moritz. (Foto: Hulton Archive/Getty Images)

Tennisplätze waren einmal glamouröse Orte, elegante Treffpunkte der Gesellschaft. Doch die Anlagen verschwinden langsam aus dem Stadtbild.

Von Verena Mayer

Der Berliner Kurfürstendamm, das sind Luxuslabels und Gründerzeithäuser, Kinos, Theater und Cafés, und am Horizont ragen die neuen Bürotürme der City West in die Höhe. Auf dem Ku'damm zu sein, heißt aber auch, hinter die Schaubühne zu laufen, und plötzlich steht man auf dem Tennisplatz. Aber was heißt Tennisplatz: eine ganze Anlage im Hof eines Wohnhausareals, umgeben von Backsteinmauern und meterhohen Pappeln. Tennis mitten in der Großstadt.

Jedenfalls bis vor einiger Zeit. Zwar sind die Tennisplätze am Ku'damm immer noch schön. Eine riesige freie Fläche, wo man sie am allerwenigsten erwartet, eingefasst von Häusern, aus denen die Leute auf das Tennisgeschehen hinuntergucken können wie das Glamourpaar Jay Z und Beyoncé von der Tribüne in Wimbledon. Doch inzwischen spielt hier niemand mehr. Die Tennisplätze sind verwaist, das kleine Klubhaus geschlossen. Die weißen Linien sind verwischt, die grünen Netze hängen in Fetzen vom Zaun. Eine britische Investmentbank namens Shore Capital hat die Anlage 2007 dem Land Berlin abgekauft, seither steht sie leer. Bald soll es hier 40 Luxusapartments geben.

Baustelle statt Ballwechsel, das klingt erst einmal nach der üblichen Geschichte von der Gentrifizierung. Doch die brachliegenden Tennisplätze stehen für mehr, ein großes Verschwinden nämlich. Wohin man schaut - überall in Deutschland werden gerade Tennisplätze stillgelegt oder abgetragen, in Warenlager, Parkplätze oder Baugrund verwandelt. In München sind vor einem Jahr auf die Tivoli-Anlage am Englischen Garten Schulcontainer gezogen, in Hamburg wollen sie aus einem Teil der Tennisarena am Rothenbaum Hockeyfelder und eine Tiefgarage machen. Für Tennis in der Stadt heißt das: Spiel, Satz, Ende.

Überraschend ist das nicht. Die Zeiten, als alle Welt Tennis spielen wollte, sind lange vorbei. Die deutschen Idole sind entweder mit Boris Becker in der Besenkammer der Sportgeschichte verschwunden oder noch nicht glamourös genug, Angelique Kerber hin und her. Wer seine Kinder Sport machen lässt, schickt sie in den Fußballverein oder zum Hockey, und auch die Mode hat aufgehört, auf Inspirationen aus der Tenniswelt zu warten. Der letzte nennenswerte Impuls, der von einem Tennisplatz kam, waren die T-Shirts der Russin Anna Kurnikowa. Aus pastellfarbenem Stretchstoff und bauchfrei.

Beim Deutschen Tennisbund weiß man um das Phänomen. Fast alle Mitgliedsverbände verzeichnen weniger Plätze, besonders stark ist der Rückgang in Bayern. Dort gab es allein in diesem Jahr 128 Anlagen weniger als 2015. Das Image des Sports, die Motivation, Tennis zu spielen, seien verloren gegangen, heißt es beim Verband. Und so verschwinden nach und nach auch die Plätze. Aus der Stadt und aus dem Sinn.

In diesem Sport wurde es schon früh akzeptiert, dass Frauen und Männer zusammen spielten

Das ist schade, denn Tennisplätze sind großartige Orte. Allein optisch. Rote Felder unter blauem Himmel, und darauf laufen Menschen in Weiß auf und ab. Eine elegantere Form, öffentlich beim Sport zu schuften, kann man sich nicht vorstellen, sieht man mal von Schneepolo in St. Moritz ab. Als die Tennisplätze Anfang des 20. Jahrhunderts in den Städten aufkamen, war man dort nicht nur im Freien, sondern auch frei. Die Frauen konnten sich buchstäblich von ihren Korsetten befreien, beim Tennisspielen trug man schließlich keine Mieder, sondern luftige Glockenröcke. Auch war es beim Tennis schon sehr früh gesellschaftlich akzeptiert, dass Männer und Frauen zusammen Sport machen. Der Tennisrasen als Kampfplatz der Geschlechter im besten Sinne.

Vom Symbolischen mal ganz zu schweigen. Auf dem Tennisplatz steht jeder für sich allein und trifft immer auf einen Gegner - da offenbart sich der Mensch in all seinen Stärken und Schwächen. Nach ein paar Schlägen ist meistens klar, ob jemand ein guter Verlierer oder ein schlechter Gewinner ist, wobei die besten Partner die sind, denen es um den Ballwechsel an sich geht, um ein möglichst ausdauerndes und elegantes Hin und Her. Zumindest im Film darf der Tennisplatz noch ein stilvoller Spiegel der Gesellschaft sein. So beginnt Woody Allens "Matchpoint" auf einem Tennisplatz mitten in London, wo es ein mittelloser Tennistrainer zwischen gestutztem Rasen und idyllischen Efeuranken schafft, sich eine höhere Tochter zu angeln. Love heißt Liebe, und beim Tennis ist es das Wort für den Spielstand null. Jedenfalls bis Scarlett Johansson mit ihrem Sex-Appeal aufschlägt und die Träume vom Neuanfang in der britischen Upper Class zunichte macht.

Die Anlage am Berliner Kurfürstendamm steht auch für den Glanz, den Tennis in der Großstadt mal hatte. Hier hat schon der Linkshänder Erich Kästner gespielt, und sein Kollege Vladimir Nabokov jobbte als Tennistrainer. Bis der Platz zur Kapitalanlage einer Investmentfirma wurde, war er ein Szenetreff für Theaterleute, Journalistinnen, Balletttänzerinnen, Fernsehstars und Professoren. Der Schriftsteller Peter Schneider, der seit Langem in Berlin lebt, kann sich noch gut erinnern, warum es ihn hierher zog. Er war schon vierzig, wollte aber unbedingt Tennis spielen lernen. Einfach, weil ihn die Anlage hinter der Schaubühne faszinierte. Jeder konnte hingehen, es gab keine Mitgliedsanträge und keine Klubgebühren. Man rief an und stellte sich auf den Platz, eine Zeit lang spielte hier auch Willy Brandt, "der war immer sehr freundlich, hatte von Dingen wie Slice oder Top Spin aber keine Ahnung", erzählt Peter Schneider.

Der Schriftsteller gehört zu den Berlinern, die sich gerade für die Anlage am Ku'damm stark machen. Dafür, dass Tennisplätze im Stadtbild bleiben wie Fußballkäfige, Basketballkörbe und Tischtennisplatten. Ob er damit erfolgreich ist, wird sich zeigen. Immerhin diskutiert die Berliner Lokalpolitik nun darüber, ob die Anlage denkmalgeschützt ist, so wie die Wohnhäuser des Architekten Erich Mendelsohn aus den Zwanzigerjahren rundherum. Und vielleicht gar nicht abgerissen werden darf.

Kurioserweise hat die Anlage im Verfall einen ganz eigenen Charme entwickelt. Aus den Tennisplätzen ist eine wildromantische Brache geworden, an vielen Stellen zugewachsen, über den roten Belag weht das Herbstlaub. Fehlt nur, dass Leute kommen und sie zwischennutzen. So wie im Golf, wo es die Bewegung der Crossgolfer gibt, die überall spielen, wo sie Platz finden, in aufgelassenen Industrieanlagen, auf Parkplätzen und Stadtbrachen.

Manche richten jetzt mitten in der Stadt einen improvisierten Platz ein, mit Linien aus Kreide

Ein ähnliches Phänomen könnte auch das Tennis in der Großstadt retten. Zwei Münchner haben "White Club Tennis" gegründet, eine Plattform junger Tennisfans, die sich online verabreden, um gegeneinander zu spielen. Oft ziehen sie dabei durch die Stadt, kleben irgendwo Seitenlinien auf und legen los. Sie haben Tennis auf der Theresienwiese in München gespielt, im Olympiastadion oder auf einer Brücke in Paris. Christoph Hanke, einer der Gründer, hat eine typische deutsche Tenniskarriere hinter sich. Im Speckgürtel von München im Verein angefangen, jedes Wochenende in einem Klub Turnier gespielt, in bessere Vereine gewechselt. Als er sich mit 17 verletzte, hatte Hanke dann keine Lust mehr auf den typisch deutschen Tennisalltag. Tennis sei so leistungsorientiert, "keiner geht einfach hin und hat Spaß", sagt Hanke.

Er selbst ging im Sommer vor einem Jahr mit ein paar Freunden auf die leere Theresienwiese, stellte sich auf ein Skateboard und zog mit Kreide die Linien für einen Tennisplatz. Jemand hatte eine Drohne dabei und filmte die Aktion. Auf dem Video sieht man, wie Leute in Jeans, Straßenschuhen oder mit Baseball-Kappen ein improvisiertes Turnier spielen, und die Freitreppe am Fuß der Bavaria ist die Tribüne. Ein Tennisplatz, der zu den Leuten kommt. Inzwischen, sagt Christoph Hanke, sehe er in der Stadt auch schon wieder mehr Leute, die einen Tennisschläger dabei haben.

© SZ vom 15.10.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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