Am 29. Juni 1853 erwartete Kaiser Napoleon III. im Schloss von Saint-Cloud den neuen Präfekten von Paris. Georges Eugène Haussmann eilte der Ruf voraus, ebenso ehrgeizig wie durchsetzungsfähig zu sein. "Großgewachsen, stark, tatkräftig, entschlossen und zugleich schlau, gerissen, mit einem fruchtbaren und einfallsreichen Gehirn", so beschrieb ihn ein Minister. Der Kaiser, ein Neffe Napoleon Bonapartes, hatte Großes mit Haussmann vor. Er sollte aus dem engen, übervölkerten, schmutzigen Paris, das von Seuchen wie der Cholera heimgesucht wurde, eine moderne, imperiale Hauptstadt machen. Das Vorbild: London, wo Napoleon III. mehrere Jahre im Exil verbracht hatte.
"Der Kaiser verlor keine Zeit und zeigte mir eine Karte von Paris", berichtete Haussmann später. Auf der Karte waren grüne, gelbe, blaue und rote Linien eingezeichnet, die Schneisen durch das Häuserdickicht schlugen. Dann bekam Haussmann seinen Auftrag. Er solle "die Stadt belüften, vereinheitlichen und verschönern". Damit begannen die "Grands travaux" ("großen Arbeiten"), der gewaltigste Umbau in der Geschichte von Paris, ein Werk, das der Metropole bis heute ihr Gesicht gibt. Wer vom Flughafen oder einem der Fernbahnhöfe kommend aus der Metro steigt und sich von der Grandeur dieser Stadt überwältigt fühlt - von ihren Boulevards und Avenuen, Plätzen, Monumenten und der Harmonie ihrer Bauten -, der verdankt dieses Gefühl besonders Haussmann.
"Sein Name steht, mehr als jeder andere, für die urbane Identität von Paris", heißt es in dem neu erschienenen Buch "Paris Haussmann. Modèle de Ville", das mit Texten auf Englisch und Französisch sowie Plänen, Skizzen, Zeichnungen, Fotos und Grafiken das Paris des Präfekten brillant seziert. In den 17 Jahren, in denen der Stadtplaner mit deutschen Wurzeln Paris ummodelte, wurden fast drei Viertel der Bauten abgerissen, neu errichtet oder massiv verändert. 20 000 Häuser wurden weggeräumt, 40 000 neu gebaut. Unzählige Sträßchen und Sackgassen verschwanden, um Platz zu machen für breite Sichtachsen, die den Verkehr kanalisieren, die Viertel erschließen und Besucher überwältigen sollten. Haussmann behandelte Paris wie ein Schöpfergott einen Körper. Unter ihm entstanden Hauptschlagadern wie der Boulevard Magenta oder der Boulevard Saint-Germain; und Nervenknoten wie die Place de la République oder die Place de l'Étoile, die die Pariser weiter so nennen, obwohl sie nun Place Charles-de-Gaulle heißt. Unter Haussmann wurden 175 Kilometer Straßen gebaut, die Arterien, und 600 Kilometer Abwasserkanäle, die Venen. Paris wurde luftiger, sauberer, gesünder.
Zehntausende Gaslaternen machten die Kapitale zur "Stadt des Lichts". Parks wie der Bois de Boulogne und der Bois de Vincennes wurden neu angelegt, Grünanlagen, die hier Squares heißen, in allen Vierteln geschaffen. Der Präfekt ließ die Wasserversorgung komplett erneuern, mit zwei Systemen für Trink- und Brauchwasser, die bis heute Paris tränken. Er ließ gusseiserne Brunnen mit vier Frauenfiguren aufstellen, aus denen der Flaneur noch heute trinkt. Er überwachte den Bau von Brunnen, Rathäusern, Schulen, Bahnhöfen und - als architektonische Kaiserkrone - der Garnier-Oper. In Haussmanns Arbeitszimmer hing eine drei mal fünf Meter große Karte der Kapitale, auf der er die Stadt neu erschuf. "Ich verkörpere die Arbeiten in Paris", sagte er. Wobei er zugab, dass der Spiritus Rector des ganzen Unternehmens der Kaiser war.
Das Paris à la Haussmann wurde Mitte des 19. Jahrhunderts nach strengen Vorgaben des französischen Stadtplaners angelegt.
Haussmann prägte ganze Straßenzüge mit seinem Stil und schuf eine moderne, kunstvolle Metropole.
Ein Haus im Haussmann-Stil ist in Schichten aufgebaut wie eine Prinzregententorte, wobei die Ausstattung je nach Viertel und Bewohnern variiert.
Sein Ziel war es eine Stadt aus einem Guss zu schaffen und Paris eine eigene Identität zu verleihen.
Einheit in der Vielfalt, Vielfalt in der Einheit, so lautete Haussmanns Formel und bezog Häuser wie auch Verzierungen, Werbesäulen und Laternen gleichermaßen ein.
Mit zehntausenden Gaslaternen formte er die französische Hauptstadt zur "Stadt des Lichts".
Haussmann ließ die komplette Wasserversorgung erneuern und stellte gusseiserne Brunnen für die Versorgung der Flaneure in den neu geschaffenen Parks auf.
Paris mit seinen Boulevards und Plätzen ist noch heute Ausdruck seines Schöpfers Georges Eugène Haussmann.
Und doch wäre Paris nicht Paris, wie es heute die Menschen begeistert, wenn Haussmann nicht eine schlicht-geniale Formel angewandt hätte: Einheit in der Vielfalt, Vielfalt in der Einheit. Sein Ziel war eine Stadt aus einem Guss, die dennoch nicht einförmig wirken sollte. Daher gab er einen Formenkanon vor, für Trottoirs und Gaslampen, Werbesäulen und Parkbänke, Zäune und Alleebäume.
Vor allem aber wurden die großen Mehrfamilienhäuser - heute als typisch Pariser Haussmann-Häuser bekannt - an den neuen Straßen bis ins kleinste Detail durchgeplant. War bis dahin das noble "Hôtel particulier" das Maß aller Dinge, ein Stadtpalais zum Repräsentieren für Adelige und reiche Bürger, so rückte nun das Bedürfnis in den Vordergrund, viele Menschen auf engem Raum gut unterzubringen; wobei die Ausstattung je nach Viertel und Bewohnern zwischen luxuriös und einfach variierte.
Paris wäre ohne Haussmann nicht das Paris, wie es heute begeistert
Ein Haus im Haussmann-Stil ist in Schichten aufgebaut wie eine Prinzregententorte. Das Erdgeschoss beleben Geschäfte, Cafés und Restaurants, das Zwischengeschoss darüber ist Kontors und Büros vorbehalten, dann folgt der edle, mit durchgehenden Balkons samt schmiedeeiserner Gitter versehene erste Stock, gefolgt von zwei, drei weiteren Stockwerken für nicht ganz so betuchte Bürger, bevor die 45 Grad geneigte Dachpartie beginnt, gedeckt mit Schiefer oder Zinkblech in elegantem Grau. Hier, in den "Chambres de bonnes", lebten die Dienstboten in ihrer eigenen Welt, in die die französische Kinokomödie "Nur für Personal!" (Originaltitel: "Les femmes du 6ème étage") einen Einblick gibt. Heute sind auch diese Kammern oft teuer und heiß begehrt.
Haussmanns Vorgaben für die Häuser waren streng: Sie durften höchstens 75 Meter hoch sein. Die Fassaden waren aus Haustein zu errichten, Seitenwände aus Bruchstein, Rückwände aus Ziegel. Der Fassadenschmuck war eher dezent. Zur Auswahl standen eine Fülle verschiedener Säulen, Pilaster, Kapitelle, Gesimse, Balkongitter, Läden und Fensterumrandungen, wie sie in dem Buch "Paris Haussmann" dokumentiert sind. Das wirkt wie bei einem Legospiel: Die Formenvielfalt ist beschränkt - doch die Variationsmöglichkeiten sind groß.
Wer heute durch Paris spaziert und danach die Augen schließt, um sich zu erinnern, der wird wahrscheinlich auch Haussmann-Häuser vor sich sehen. Sie sind - nach einer Zeit der Verachtung in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg - längst wieder en vogue. Dennoch stieß der Präfekt zu seiner Zeit auf Widerstand. Ihm wurde vorgeworfen, den Charme des verwinkelten, mittelalterlichen Paris zu zerstören, die Bauspekulation zu befeuern, immense kommunale Schulden anzuhäufen, ein stereotypes Stadtbild zu schaffen und arme Bürger aus der Innenstadt zu verdrängen (Gentrifizierung hieße das heute), um Aufständen vorzubeugen.
An den Vorwürfen war etwas dran. Im Januar 1870 trennte sich der Kaiser schweren Herzens von seinem Städtebauer. Dessen Werk aber lebte weiter und beeinflusste Urbanisten in der ganzen Welt. Thankmar von Münchhausen schreibt in seinem brillanten Werk "Paris - Geschichte einer Stadt von 1800 bis heute": "Napoleon III. und Georges Eugène Haussmann (haben) die französische Hauptstadt für ein Jahrhundert und länger zu einer lebensfähigen Metropole gemacht."