Sieben Fragen, sieben Antworten:Des Osterrätsels Lösung

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Illustration: SZ (Foto: N/A)

Für welches Küchengerät brauchte man eine Genehmigung der Bundespost? Welche deutsche Zeitung druckt täglich eine falsche Weltkarte? Vor zwei Wochen stellten wir allerhand kuriose Frage - hier kommen die Antworten.

Von Oliver Rezec

Von mittelalterlichen Handschriften bis zum Watergate-Skandal, von der Damenmode bis zur Luftröhre der Singvögel: Die Wissensgebiete, in denen man für unser Rätsel wühlen musste, waren wieder so bunt wie die Überraschungen in einem Osternest. Zum Schluss gab es zwar kein verstecktes Ei zu finden - aber ein Eiland, dessen Initialen "EI" lauten.

1. Das verdächtige Elektrogerät

Bis 1988 musste man in der Bundesrepublik nicht nur sein Fernsehgerät anmelden, sondern auch die MIKROWELLE. Denn der neumodische Apparat "arbeitet mit Hochfrequenz und stört damit unter Umständen Funkdienste, z.B. den Radio- und Fernsehempfang", erklärten die Genehmigungsschreiben der Deutschen Bundespost. Anschalten durfte man nur unter der Bedingung, "den Beauftragten" der Bundespost "zu verkehrsüblichen Zeiten Zutritt zu den Grundstücken, Räumen oder Fahrzeugen zu gestatten, auf oder in denen das Hochfrequenzgerät betrieben wird". Erst als der Postminister eine Allgemeingenehmigung für Mikrowellenherde erließ, wurden diese zum Alltagsgegenstand.

Deutlich moderner und vor allem deutlich kleiner als der 1933 vorgestellte "Powercaster". (Foto: via www.imago-images.de/imago images/Panthermedia)

Der im Rätsel abgebildete Vorläufer war der übermannshohe "Powercaster" der Firma Westinghouse, präsentiert 1933 in Chicago. Damit werde Brot binnen Sekunden getoastet, ganz ohne verbrannten Geschmack, berichtete etwa das Hobbytechniker-Magazin Short Wave Craft (von dessen Titelseite unsere Abbildung stammte). Genau genommen wurde damals noch nicht mit Mikrowellen gebacken, sondern mit den etwas längeren Ultrakurzwellen, also jenen, die man vom Radioempfänger kennt - daher der Hinweis im Rätsel, die "Erzeugnisse" des Geräts seien heute "kürzer" als seinerzeit.

Was mit Hackfleisch funktioniert, lässt sich auch für menschliches Gewebe nutzen: Im medizinischen Bereich gibt es spezielle Mikrowellengeräte, um schmerzende Muskeln oder Gelenke gezielt in der Tiefe zu erwärmen, anstatt die Haut mit Wärmesalben oder Rotlicht zu erhitzen.

2. Das gemeinsame Hinterteil

Ein Singvögelchen und seine kleinen Lungen waren da skizziert. Ein Pfeil zeigte auf die Stelle, wo sich die Luftröhre verzweigt - hier sitzt die Syrinx, der Stimmapparat der Vögel. Zwar ist die Luftröhre bei Mensch und Singvogel ähnlich aufgebaut, grob gesagt wie eine Säule aus einzelnen Knorpelringen. Doch während unsere Luftröhre formfest bleibt, verstellen die Muskeln der Syrinx gezielt einzelne Knorpelringe, variieren also die Form der Luftröhre, um das Gezwitscher zu erzeugen.

Das Bild daneben zeigte ein bekanntes Monument, nämlich die Große Sphinx von Gizeh - genauer gesagt: ihre vordere Hälfte im Profil. Das kleine Rechteck auf den Pranken war kein Fehler, sondern die als "Traumstele" bekannte Inschriftentafel zwischen den Vorderläufen. Als Nächstes waren antike Fußsoldaten skizziert, Schild an Schild, in mehreren dicht geschlossenen Reihen: Diese kompakte Kampfformation wird Phalanx genannt. Und schließlich sah man eine Karte von New York City mit einem Pfeil, der auf die Bronx deutete, den nördlichsten der fünf Stadtbezirke.

Die Seite mit den fünf Augen eines Spielwürfels bezeichnet man als "Quincunx". (Foto: Anton Prado/imago/Panthermedia)

Syrinx, Sphinx, Phalanx, Bronx: Die Begriffe hatten also alle das gleiche kuriose Hinterteil. Es blieb nur die Frage: Welche der sechs Seiten eines normalen Spielwürfels zeigt ein Motiv, das ebenfalls auf "...nx" endet? Es ist die Seite mit den fünf Augen, denn es gibt einen Namen für diese geometrische Figur: Wenn vier Objekte - zum Beispiel Säulen, Bäume, Kirchenkuppeln oder eben Würfelaugen - zu einem Quadrat angeordnet sind, und ein fünftes sitzt genau in der Mitte, dann wird diese Formation als QUINCUNX bezeichnet.

3. Das magische Wortquadrat

(Foto: SZ)

Gesucht waren sieben Wörter, die sich lückenlos miteinander verweben lassen. Zu jedem gab es nur einen kurzen Hinweis: "Sieben Noten mit der Dauer von eigentlich acht" lautete der erste. Gemeint war die Septole, ein eher seltener Rhythmuswechsel: Statt der üblichen Viertel-, Achtel- und Sechzehntelnoten sind auch schräge Werte möglich, in diesem Fall eine Abfolge von sieben Siebtelnoten.

"Ohne Sauerstoff stattfindend", so hieß der zweite Hinweis. Einen solchen Vorgang nennt man anaerob, etwa wenn Traubensaft zu Wein vergärt. Drittens ein "als antiker Tagungsort bekannter Hügel": Gemeint war der Areopag, jener Felsen in Sichtweite der Akropolis zu Athen, auf dem man einst über Fragen der Regierung und Gerichtsbarkeit beriet. Auch die Ratsrunde selbst wurde später so genannt.

Vielleicht am schwierigsten zu finden war der "Militärkartograf": der Mappeur. Er wurde vor allem in der österreichisch-ungarischen Armee so genannt; heute ist diese Bezeichnung quasi ausgestorben, auch im Französischen. Einfach waren dagegen die Hinweise fünf und sechs: Die "Speise mit typischer Anordnung der Zutaten" meinte die Roulade, "sich wieder beruhigen" war eine andere Formulierung für sich abregen. Und siebtens die "Vorstellung von immer neuer Wiedergeburt": Im Buddhismus bezeichnet Samsara den Kreislauf von Tod und Reinkarnation, dem es zu entkommen gilt, ins Nirwana.

Wer einige dieser Wörter gefunden hatte, konnte dadurch weitere erschließen, denn zusammen sollten sie ein magisches Quadrat bilden, also waagrecht genauso zu lesen sein wie senkrecht. Das funktionierte nur in einer Anordnung: Samsara - anaerob - Mappeur - Septole - Areopag - Roulade - abregen. Aus den farbig unterlegten Buchstaben ließ sich dann die metallene Lösung bilden: eine POSAUNE.

4. Die königlichen Körperteile

Wo könnte man das Herz eines Königs und die Haare einer Königin verewigt finden? Angeblich in den beiden seltsam geformten Flächen, die im Rätsel zu sehen waren. Auf den ersten Blick erinnerten die Umrisse vielleicht an US-Bundesstaaten: Ihre Grenzen verliefen entlang gerundeter Breitengrade, und die Längengrade führten gen Norden zusammen. Allerdings war beides zu deutlich ausgeprägt, diese Gebiete mussten riesengroß sein. Solche Flächen sind auf dem Erdglobus nicht zu finden - wohl aber auf dem himmlischen: Es handelte sich um die Hoheitsgebiete zweier Sternbilder.

(Foto: SZ)

Das Panoptikum am Firmament ist eine historisch gewachsene Bilderwelt voll mythischer Gestalten, wilder Tiere und technischer Gerätschaften. In den 1920er-Jahren begann die Internationale Astronomische Union, ein bisschen aufzuräumen. Seither kennt die Astronomie offiziell 88 Sternbilder - und diese bestehen nicht bloß aus den funkelnden Punkten, die man vor dem geistigen Auge mit Linien verbindet und aus denen man Fabelwesen baut: Vielmehr wurde das gesamte Himmelsgewölbe in 88 Flächen aufgeteilt, zumeist unregelmäßig geformt, aber stets mit rechtwinkligen Begrenzungslinien entlang der Breiten- und Längengrade des Himmelsglobus.

Zwei dieser Gebiete waren im Rätsel gezeigt, das obere war das Sternbild der Jagdhunde. Der hellste Stern darin trägt den ungewöhnlichen Namen "Cor Caroli", zu Deutsch "Karls Herz". Benannt wurde er während der Regentschaft des Königs Charles II. von England, doch es ist strittig, ob die Würdigung diesem selbst galt oder eher seinem Vater Charles I., der 1649 hingerichtet worden war. Für beide Varianten gibt es Indizien. Welche Erklärung zutrifft, war für die Rätsellösung nicht weiter wichtig - sondern vielmehr das Nachbarsternbild, südlich der Jagdhunde: Es heißt "Haar der BERENIKE". Sie war die Frau auf der Goldmünze im Rätsel: Berenike II., eine ägyptische Königin des 3. Jahrhunderts vor Christus. Ein antikes Gedicht erzählt davon, wie ihr Gemahl Ptolemaios III. in den Krieg nach Syrien gezogen sei: Berenike habe der Göttin Aphrodite versprochen, ihr Haupthaar zu opfern, auf dass ihr Gatte wohlbehalten heimkehre. So geschah es - doch die geopferte Haarpracht sei bald aus dem Tempel verschwunden und am Himmel wieder aufgetaucht, als Sternbild.

5. Die defekte Schreibmaschine

Nur wenige Buchstaben sollten genügen, um ein historisches Dokument zu identifizieren: Es war auf einer Schreibmaschine getippt worden, deren kleines "i" eine leichte Beschädigung zeigte. Im Rätsel abgebildet waren nur die paar Textfragmente, in denen dieses "i" vorkam. Am wertvollsten für die Ermittlung war wohl die Grußformel, die mit "Sin..." begann: Das Dokument schien auf Englisch verfasst zu sein, da gibt es den Briefschluss "Sincerely". So ließ die Suche sich räumlich eingrenzen - zeitlich war sie ohnehin beschränkt auf die Jahrzehnte des Schreibmaschinengebrauchs.

Aufschlussreich waren zudem die Buchstabenfolgen "...issi..." in einem Personennamen und "...hin..." in einer geografischen Bezeichnung. Wer auf "Kissinger" und "Washington" kam, war quasi am Ziel: Das gesuchte Dokument war die Rücktrittserklärung von RICHARD NIXON. Zwei Jahre nach dem Einbruch ins Wahlkampfbüro seines demokratischen Gegenkandidaten wurde offenbar, dass der Präsident sehr wohl Bescheid wusste und die Vertuschung der Sache hatte anordnen lassen. Seiner Amtsenthebung konnte er nur noch entgehen, indem er selbst zurücktrat.

Ex-Präsident Richard Nixon verabschiedet sich nach seinem Rücktritt mit großer Geste, bevor er in den Helikopter steigt und Washington, D.C. verlässt. (Foto: Danita Delimont/imago)

Das Schreiben, datiert auf "August 9, 1974", besteht im Wesentlichen aus einem einzigen Satz. "Dear Mr. Secretary: I hereby resign the Office of President of the United States. Sincerely", darunter Nixons Unterschrift. Am Ende ist der Adressat genannt: Einem Gesetz aus dem 18. Jahrhundert folgend, übersendet der US-Präsident seine Rücktrittserklärung dem Außenminister. In Nixons Kabinett war dies "The Honorable Henry A. Kissinger / The Secretary of State / Washington, D. C. 20520".

Online ist dieser Brief leicht zu finden, und die Vergrößerung brachte Gewissheit: Dies war tatsächlich das gesuchte Dokument mit dem defekten "i".

6. Die lange Verwertungskette

Ein Elf namens Trilby verliebt sich in die Frau eines schottischen Fischers: Die Kurzgeschichte "Trilby or the Elf of Argyle", veröffentlicht 1822 vom französischen Schriftsteller Charles Nodier, wäre heute wohl längst vergessen - wenn nicht ein halbes Jahrhundert später ein Ballett daraus geworden wäre: Der französische Choreograf Marius Petipa und der russische Komponist Julius Gerber verlegten die Handlung in die Schweizer Berge und machten aus Trilby einen Herdfeuergeist. Vermutlich wäre auch dieses Stück, uraufgeführt 1871 in Sankt Petersburg, heute kaum noch relevant - hätte nicht ein gewisser Viktor Hartmann die Kostüme dafür entworfen. Bald darauf, nach seinem frühem Tod, wurden einige der Zeichnungen in einer Gedenkausstellung gezeigt, und dort erblickte sie ein Freund des Verstorbenen, nämlich der Komponist Modest Mussorgski: Die im Rätsel gezeigte Kostümskizze "Ballett der Küken in ihren Eierschalen" ist eines der berühmten "Bilder einer Ausstellung".

Mussorgski schrieb sein Werk 1874 ursprünglich für Klavier, doch populär wurde es vor allem in der Orchesterfassung von Maurice Ravel von 1922 - also genau ein Jahrhundert nach Erscheinen des Romans. Ravel war somit der "Herr R." am Ende der Künstlerkette. Sein berühmtestes Werk dürfte indes ein anderes sein: der "BOLERO", jenes repetitive Orchesterstück, über das Ravel selbst spöttelte, sein Meisterwerk enthalte leider keine Musik.

"Herr R." und sein berühmtestes Werk: "Bolero". (Foto: Deutsche Grammophon)

Trotzdem ist der "Bolero" eines der meistaufgeführten klassischen Werke überhaupt, die Tantiemen beliefen sich jährlich auf eine Millionensumme. Nach Ravels Tod 1937 erbte zunächst sein Bruder die Lizenzrechte. Dieser hatte später einen schweren Unfall und wurde fortan von einer Haushaltshilfe und deren Ehemann betreut, bis an sein Lebensende. Wohin das Geld dann floss, blieb der Öffentlichkeit lange verborgen. Nur Erbstreitigkeiten vor Gericht und vereinzelte Presseberichte warfen Licht auf höchst verworrene Verhältnisse: Unter anderem soll der Ehemann der Haushaltshilfe später einen Deal mit einem vormaligen Juristen der französischen Musikverwertungsgesellschaft eingefädelt haben, auch von Briefkastenfirmen auf den Britischen Jungferninseln und den Niederländischen Antillen war die Rede. 2016 jedoch endete auch diese Verwertungskette: Die Urheberrechte am "Bolero" sind in den meisten Staaten erloschen, das Stück ist nun gemeinfrei.

Der Rätselhinweis, dass Ravels Kreation auch auf dem rechten Bild "zu entdecken" sei, bezog sich auf das gleichnamige Kleidungsstück: Eines der Mannequins trug einen Bolero - jene Art Jäckchen, die dem geschniegelten Oberteil spanischer Stierkämpfer nachempfunden ist.

7. Die kreisrunden Objekte

Die Kolanuss, der Tagesspiegel und Alexander Van der Bellen, Österreichs Bundespräsident, sind der Schlüssel zur Lösung. (Foto: imago)

"Hier ist der Name einer Nuss dargestellt", behauptete das Rätsel, doch abgebildet war nur ein Schwarm Doppelpunkte. Es handelte sich um ein Wortspiel: Für den Doppelpunkt gibt es noch die ältere Bezeichnung "Kolon", die Mehrzahl lautet Kola - und so schreibt sich auch die Nuss, nach der das gleichlautende Getränk benannt ist. Inzwischen wird sie nur noch von wenigen Herstellern eingesetzt; im Produkt des Marktführers Coca-Cola konnte ein italienisches Forscherteam 2011 keine Proteine dieser Pflanze nachweisen. Wissenschafts- und Umgangssprache klaffen hier übrigens auseinander, so wie auch bei den Kokos-, Cashew- oder Walnüssen: Für Botaniker ist die Kolanuss gar keine Nuss, also keine Frucht, sondern ein Samen.

Das zweite Motiv war eine Weltkugel mit stark vergröbert gezeichneten Kontinenten. Unter anderem saß die Arabische Halbinsel verkehrt herum: Sie war gen Westen geknickt, der Stiefel trat also gegen Afrika anstatt in Richtung Iran und Pakistan. Zu bestaunen ist dieser skurrile Globus im Zeitungskopf des Tagesspiegels aus Berlin.

Das dritte Bild schließlich zeigte einen schwarzen Kreis, der einen weißen teilweise verdeckte. Ob einem dieser Anblick vertraut vorkam oder nicht, war womöglich eine Altersfrage: Auf Smartphones sieht man diesen Doppelkreis kaum, eher auf Festnetztelefonen, und auch in Telefonzellen war dies das übliche Tastensymbol für die Wahlwiederholung. Der im Rätsel gesuchte österreichische Bundespräsident konnte somit nur der jetzige sein, Alexander Van der Bellen: Er kam nach einer Wahlwiederholung ins Amt. Nur äußerst knapp hatte er 2016 gegen Norbert Hofer gewonnen, den Kandidaten der rechtspopulistischen FPÖ. Diese bemängelte Schludereien bei der Auszählung - zu Recht, wie der Verfassungsgerichtshof entschied. Er ordnete die Wiederholung der Stichwahl an, Van der Bellen siegte abermals.

Aus den Begriffen Kola, Der Tagesspiegel (mit Artikel, sonst kam man nicht auf die benötigten 28 Buchstaben) und Alexander war schließlich ein Tier zu "extrahieren", und zwar mittels einer Abfolge großer und kleiner Ziffern: ₁ 6 ₁ 1 ₃ 3 ₅ 7 ... Groß gesetzt waren die Zahlen von 1 bis 8, so viele Buchstaben hatte das gesuchte Tier. Die kleinen Zahlen summierten sich auf 20, also genau die Menge der nicht zu verwendenden Buchstaben. Das war kein Zufall, sondern ein Indiz für das richtige Vorgehen: einen Buchstaben überspringen, der nächste kommt auf Position 6 im Lösungswort. Wieder einen überspringen, der nächste kommt auf Position 1. Dann drei überspringen ... So formte sich die ANTILOPE.

... und die Verknüpfung

Wer alle sieben Antworten gefunden hatte, konnte mit ihrer Hilfe das Schlussrätsel lösen. In jeder Antwort waren Buchstaben farbig markiert und paarweise verbunden: So bildeten beispielsweise das I und das L von "Antilope" ein blaues Paar, O und P ein rotes. Diese Verbindungen ließen sich in das farbige Punkteraster übertragen: eine Linie vom blauen I zum blauen L, eine weitere vom roten O mit dem roten P. Auf diese Weise formte sich nach und nach eine verschlüsselte Botschaft, zu sehen in der Grafik hier oben.

Zumindest der rechte Teil war gut lesbar: "N=W" durfte wohl "Nord = West" bedeuten, denn laut Rätseltext sollte der Hinweis "mitten in eine unwirtliche Gegend" führen, also eine Ortsangabe sein. Das hochgestellte Quadrat und das senkrechte Strichlein hätten demnach ein Gradzeichen ° und ein Minutenzeichen ' darstellen können. Direkt davor jedoch sah man zwei kryptische Zeichen: Müssten hier nicht Zahlen stehen? Tatsächlich, es waren welche - sehr alte.

Im mittelalterlichen Europa war es beschwerlich, Zahlen zu notieren: Die indisch-arabischen Ziffern (also 1, 2, 3 ...) waren zwar schon um die Jahrtausendwende hie und da aufgetaucht, fanden aber jahrhundertelang kaum Verbreitung, unter anderem, weil ihnen der Ruch einer fremden Kultur anhaftete. Stattdessen nutzte man Buchstaben als Zahlzeichen: im Westen des Kontinents die lateinischen (also I, V, X ...), im Osten griechische Buchstaben. Das war umständlich zu schreiben und noch ungünstiger fürs Rechnen.

In der Gegend des heutigen Belgien erfanden Mönche des Zisterzienserordens im 13. Jahrhundert eine eigene, viel knappere Schreibweise: Jede Zahl bestand aus einem Querstrich, an den man verschiedene Anhängsel fügte. Diese hatten neun verschiedene Formen für die Werte 1 bis 9 - und je nachdem, wo am Grundstrich man sie anbrachte, hatten sie einen unterschiedlichen Stellenwert: Das Anhängsel für 9 war beispielsweise ein Quadrat, und wenn man es oben links anbrachte, bedeutete es einfach 9. Links unten befestigt, bedeutete es 90, rechts oben 900, rechts unten 9000. Bis zu vier Anhängsel gleichzeitig waren möglich, so ließ sich jede Zahl von 1 bis 9999 darstellen, jeweils in einem einzigen, komplexen Schriftzeichen.

Zwei Jahrhunderte lang wurde dieses System im Zisterzienserorden verwendet, doch es verbreitete es sich nie weit darüber hinaus, wohl auch deswegen, weil die komplex gebauten Zeichen nicht für den Buchdruck taugten, der Mitte des 15. Jahrhunderts aufkam. Gelegentlich wurden die Zisterzienserzahlen noch aufgegriffen und variiert (unter anderem stellte man den zentralen Strich später hochkant), doch bald gerieten sie in Vergessenheit. Dass diese Zeichen heute überhaupt noch bekannt sind, verdankt sich vor allem dem britischen Historiker David A. King, der in den 1990er-Jahren dazu publizierte.

Bloß: Wie sollte man denn angesichts der wenigen Striche im Osterrätsel darauf kommen, dass man hier eine längst untergegangene Mönchsschreibung vor sich hatte? Durch die kleinen Punkte, die bei einigen Antworten versteckt waren: Unter dem O von "Bolero" saß ein Punkt, unter dem C von "Quincunx" saßen zwei, bis hin zu fünf Punkten unter dem T von "Antilope". Zusammen buchstabierten sie "OCist", das Kürzel des "Ordo Cisterciensis", also des Zisterzienserordens.

Die Zahlen, die sich im Punkteraster geformt hatten, waren die 77 und die 49. Die somit entschlüsselte Koordinatenangabe 77°49' Nord und 77°49' West führte in den höchsten Norden Kanadas, an die Küste von Ellesmere Island, der nördlichsten Insel des Landes. Dort, wo sie fast an Grönland stößt, ist ein gerade mal zehn Kilometer messendes Inselchen vorgelagert, auf dem es wenig anderes zu sehen gibt als Eis und Gletscher. Die Insel ist so klein, dass sie in manchem Atlas für den Hausgebrauch nicht mal eingezeichnet ist, und wenn, dann oft ohne Namen. Nur die großen Atlanten und natürlich die Onlinekartendienste kennen ihn: Er lautet EASTER ISLAND. Mit der weltbekannten Osterinsel im Pazifik hat dieses Eiland kaum etwas gemeinsam - außer seinem Namen, der Lösung unseres Osterrätsels.

1146 Teilnehmer machten Easter Island ausfindig. Insgesamt gab es 1615 Einsendungen. Einer hatte zudem Glück bei der Verlosung: Heinrich Reh aus Gaildorf darf bei den Passionsspielen Oberammergau einen Blick hinter die Kulissen werfen. Die Gewinner der weiteren Preise werden benachrichtigt.

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