Schönheitsmakel:Bitte lächeln

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Madonna hat sie. Georgia May Jagger sowieso. Und unsere Autorin auch. Wie die Zahnlücke sexy wurde.

Von Friederike Zoe Grasshoff

Spätestens mit 20 haben mir die irritierten Blicke kaum noch etwas ausgemacht. Genauso wenig wie die immer gleiche blöde Frage: Ob ich da nicht mal was machen lassen wolle? Zähne seien ja eine Frage des Status, und eine Lady sehe irgendwie anders aus. Nein, danke. Ich war gerne der weibliche Jürgen Vogel, der Prinz Harry des Prekariats, die Anti-Lady mit der Lücke zwischen den Schneidezähnen.

Lange Zeit galt die Zahnlücke als Makel, wenn man nicht gerade Madonna oder Brigitte Bardot hieß. Jetzt soll dieses Manko auf einmal sexy sein. Plötzlich fragt mich das betrunkene Mädchen auf der Club-Toilette, wo man so eine Lücke bekommt. Und die Männer finden sie auf einmal süß. War die Leerstelle einer Bardot noch klitzeklein, ist daraus als Schönheitsideal nun ein breiter Graben geworden. Topmodel Jessica Hart, Schauspielerin Léa Seydoux, Mode-Ikone Lara Stone: Sie alle halten ihre Zahnlücke auf einmal in die Kamera wie eine Trophäe. Und werden für ihre Natürlichkeit gerühmt, ihre Nicht-Perfektion.

Wer hat die schönste Lücke? Georgia May Jagger zeigt Zähne. (Foto: Getty Images)

Das Unschöne ist also schön geworden - praktisch, wenn man von Natur aus mit einem solchen Fehler ausgestattet ist. Und auch erleichternd, wenn sich die Leute plötzlich nicht mehr über einen lustig machen.

Denn bei aller Identifikation mit der Fehlerhaftigkeit war es trotzdem nicht schön, als in Mumbai zehn indische Männer hinter mir her liefen und lachend auf meine Lücke zeigten. Und auch diese Geschichte mit Tom war nicht so schön, dieser Fast-Freund, der mir 12 000 Kilometer Langstrecke nach Buenos Aires folgte, nur um dann bei Sonnenuntergang zu erklären, dass das ja alles ganz toll gewesen sei - aber diese Lücke, diese drei Millimeter Makel, mit der könne er nicht leben. Ich hatte mich in meinem Selbstverständnis als Anti-Lady mit Schuhgröße 42 und NRW-Abitur gerade ziemlich gut eingerichtet - aber das saß. Nicht weil Tom so wichtig gewesen wäre. Sondern weil ich plötzlich wieder an die alten Klassenbilder denken musste, auf denen alle anderen lachen. An die geraden Zahnreihen meiner Freundinnen und die Sitzungen bei diesem Mann im rosa Polohemd, der unentwegt von seiner Mutter sprach und dabei an der Spange in meinem Mund herumschraubte. Denn, liebe Schönheitsexperten, natürlich hatte meine Mutter mich zum Kieferorthopäden geschickt - und zwar so lange, bis die Jungs in der Schule Metallfresse riefen. Dumm nur: Die Lücke ging trotzdem nie ganz zu. Als die Spange nach Jahren endlich weg war, wurde sie wieder größer und größer. Als hätte sie geahnt, dass sie mal zum Ideal wird. Meine Lücke, eine Geschichte mit Happy End. Oder?

Der Fehler verkommt zum reinen Distinktionsmerkmal

Nicht ganz. Denn im Moment sieht dieses Happy End leider so aus, dass der Fehler zum reinen Distinktionsmerkmal verkommt: alles, nur keine Mainstream-Schönheit - es wird eben immer anstrengender, ein Individuum zu sein. Siehe Mick Jaggers Tochter Georgia May, Model und Zahnlücken-Inhaberin: Wie eine sedierte Robbe lümmelt sie derzeit auf den Plakaten jener Firmen herum, die sonst das Versprechen auf Perfektion verkaufen. Nach buschigen Augenbrauen und Segelohren verliert nun auch die Zahnlücke ihre unperfekte Unschuld.

Ich gebe es ja zu: Am Anfang habe ich mich noch über die Komplimente gefreut und habe gelacht, wenn es nichts zu lachen gab. Wenn aber nun überall so dümmlich daherkokettiert und der Defekt so debil inszeniert wird, dann wünsche ich mir manchmal, dass ein Fehler einfach nur das sein darf, was er ist: ein Fehler. Oder am besten: mein Fehler

© SZ vom 22.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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