Schlafkultur:Möge die Nacht mit euch sein

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Kissen mit Salbei oder Schaum - und vegane Decken ohne Daunen: Das Hotelbett soll die perfekte Einschlafhilfe sein. Leider liegen wir trotzdem wach.

Von Gerhard Matzig

Man tritt dem Kärntner Viersternehotel Prägant in Bad Kleinkirchheim hoffentlich nicht zu nahe, wenn man seine Architektur als optimierbar beschreibt. Das Wellnesshotel wirkt wie eine etwas unbeholfen zusammengeschraubte Mischung aus Baumarktfundus (Abteilung Wintergarten) und genmanipuliertem Bauernhof, der seit den Achtzigerjahren immer dicker wird. Falls dieses Hotel, ein hochsympathischer und im Netz bestimmt zu Recht exzellent bewerteter Familienbetrieb, einen fünften Stern anvisiert, sollte es also nicht unbedingt versuchen, mit seiner Ästhetik zu punkten. Dagegen kann es sofort als High-End-Resort der Spitzenklasse gepriesen werden, wenn man sich das fast schon unglaubliche Prägant-"Kissenmenü" vornimmt.

Dieses Kissenmenü umfasst ganze 16 Seiten, ist also beinahe ein kleiner Katalog und bietet Kissen à la carte - "für Ihre ganz individuelle Gute Nacht". Mit dem Satz "Lassen Sie uns wissen, welches Kissen Ihre Träume versüßen darf" wird einem eine wundersame Auswahl offeriert. Neben den Standardgrößen (groß, klein, Nackenrolle) kann man sich beispielsweise für das Almheukissen oder das Nackenstützkissen Thermofit mit viskoelastischem Schaum entscheiden. "Aktive Menschen" erhalten dagegen das Managerkissen, worin es viele Zirbenhobelflocken gibt, was angeblich gut ist zur Beruhigung des Herz-Kreislauf-Systems. Zusätzlich hilft Salbei gegen "nächtliche Unruhe und Nachtschweiß".

Man muss das hier leider abkürzen, obwohl man schon beim Durchblättern des faszinierenden Kissenmenüs Lust bekommt auf das, was man in Österreich sehr schön "Polsterschlacht" nennt. In die Schlacht ziehen: das Dinkel-Nackenhörnchen, das Glückskräuter-Traumkissen, das Buchweizen-Venenkissen oder das vielversprechende Betonikakissen, das aber nicht aus Beton, sondern aus Urdinkelspelz und Betonikakraut besteht.

Auch die Hoteliers der Gruppe Travel Charme meinen: Möge die Nacht mit euch sein. "Einer der schönsten Urlaubsorte ist das Hotelbett. Schlafen, Kuscheln, Lesen - einen nicht unwesentlichen Teil Ihres Urlaubs verbringen Sie dort. Rein zeitlich sogar ein Drittel." Deshalb bietet die Hotelkette an: höhere Betten, breite und "atmungsaktive" Matratzen, in der Härte verstellbare Lattenroste, Damastbettwäsche, überlange Zudecken und das Kuschelkissen names Fritzchen.

Noch nie war eine Gesellschaft so gut gebettet wie heute. Und noch nie war sie so müde

Seit einiger Zeit liefern sich die Hotels in aller Welt eine bemerkenswerte Konkurrenz um die Träume, Köpfe, Rücken und Venen ihrer schlafenden Gäste. Das Hotelbett ist vom zwar zentralen, aber dennoch funktional-standardisierten Möbel zum Sehnsuchtsort und Schlafversprechen geworden. Daher auch zur Stätte der Nachrüstung. Hotels wie das Conrad Chicago oder das Hotel The Benjamin in New York sind laut Reiseportal Hotels.com ganz vorne mit dabei, "wenn es um die Bewirtung des Kopfes geht. Viele exquisite und dementsprechend kostenintensive Hotels legen für den Hotelgast ein sogenanntes Hotel Pillow Menue oder Kissenmenü aus. Dieses enthält nicht nur die Wahl zwischen hartem und weichem Kissen, sondern eine ganze Bandbreite von kopfunterstützenden Ungetümen, aus denen der Gast sein liebstes wählen kann."

Tatsächlich ist die Auswahl riesig. Sie richtet sich an Bauch-, Seiten- oder Rückenschläfer. Veganer können auf Daunen verzichten, und Allergiker erhalten hypoallergene Kissen. Und "wer mit Musik einschlafen will, findet sicherlich ein Kissen, das sich an den MP3-Player anschließen lässt". Ist das nun Wahnsinn oder Fürsorge?

Michael Heinzmann, Director of Rooms des Münchner Hotels Vier Jahreszeiten Kempinski, meint: "Weil guter Schlaf den Gästen wichtig ist, werden wir 2019 eine weitere Neuerung haben: Kopfmassagen und Ohrenkerzenbehandlungen. Zielgruppe sind Gäste mit Einschlafproblemen." Der Schlafkomfort ist im Kempinski "für 60 Prozent der Gäste ein aktiv angesprochenes Thema".

Es ist nicht verwunderlich, dass Hotels die Gästebetten tunen wie nie zuvor und über die innenarchitektonische Professionalisierung diverser Einschlafhilfen nachdenken. Über Licht, Akustik und Textiles - bis hin zur Massage. Zudem über Kissenmenüs und Betten-Matratzen-Konstruktionen, die auch abseits der Reisebranche an Ambition kaum mehr zu übertreffen sind. Da wetteifern die Querbelüftungskanäle für ideale Klimaregulierung mit dem Schulterentlastungs- und Beckenkomfortsystem, während der Bonellfederkern es mit dem elastischen Taschenfederkern aufnimmt. Die Debatten im Netz über das richtige Schlafen im falschen Leben müssten eigentlich ein gutes Schlafmittel sein, so ermüdend intensiv werden da Technologien, Materialien und Konstruktionsweisen diskutiert.

Irritierend ist, dass wir eine zwar gut gebettete, aber dennoch "übermüdete Gesellschaft" sind, so kürzlich die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung. Ingo Fietze, Schlafforscher an der Berliner Charité, sagt über die vermeintliche Ära der Selbstoptimierung: "Es wird überall am Schlaf gespart. Eine Folge davon ist, dass Schlafstörungen immer mehr zunehmen." Tatsächlich klagten laut den Krankenkassen 2016 schon 79 Prozent der Deutschen über Schlafstörungen, deutlich mehr als 2009, damals waren es 48 Prozent. Die Folgekosten durch Ausfalltage und medizinische Behandlung werden auf viele Milliarden Euro jährlich geschätzt. Zum Schlafen haben wir also immer bessere Betten, in denen wir offensichtlich immer schlechter und kürzer schlafen.

Diese Paradoxie führt direkt ins Superkuschel-Schlaf-gut-Hotelbett, denn auch hier wird den Ferien oder auch nur der Geschäftsreise all das abverlangt, was der Alltag nicht zu leisten vermag. Das ist verständlich. Aber auch mit einer seltsam ironischen Pointe versehen. Denn zumindest in einem bestimmten Alter schläft es sich doch am besten im eigenen Bett. Da kann einen das Hotelmanagement noch so umsorgen mit all den sensationellen Dinkel-Nackenhörnchen, mit überlangen Zudecken und etwas Schokolade auf dem Glückskräuter-Traumkissen.

Die Alternative zu Fritzchen: Kuscheln mit der Ehefrau

Da wird das Bett abgedeckt, das Kissen sortiert, das Licht gedimmt - und dann liegt man da, schlaflos in Seattle oder auch in Bad Kleinkirchheim, zählt in Gedanken Schafe und Zirbenhobelflocken ... und ist hellwach wie am lichten Tag. Man kuschelt mit Fritzchen. Sinnlos. Man tauscht das Managerkissen gegen das Betonikakissen. Umsonst. Man passt den Lattenrost an oder ruckelt am Boxspring herum. Folgenlos.

Man ist nicht daheim im eigenen Normalbett mit dem einen Kissen, das seit Jahrzehnten das eine Kissen ist - und deshalb nutzt einem auch die beste Einschlafhilfe nichts. Aber es gibt einen Ausweg: Man kauft ein High-End-Hotelbett, stellt sich das Ganze ins Schlafzimmer und macht für immer Ferien daheim, wo man fürderhin sehr viel schläft und sehr wenig optimiert. Und gekuschelt wird mit der Ehefrau statt mit Fritzchen.

© SZ vom 11.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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