Samstagsküche:Vincent will mehr

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Er war DJ und Caterer, jetzt ist Vincent Bründlmayer in das Traditionsweingut seines Vaters in Niederösterreich eingestiegen und wird als junger Wilder gepriesen.

Von Anne Goebel

In der "Grellen Forelle" in Wien haben sie so ihre Prinzipien. Der Club ist eine der hippsten Adressen der Stadt, es herrscht Fotografierverbot, FPÖ-Wähler müssen draußen bleiben. So weit, so cool. Wer hier zu Elektroklängen mal kein Bier oder Wodka im Glas haben will, dem wird natürlich nicht irgendein Achterl eingeschenkt. Die Spezialabfüllung Grüner Veltliner kommt aus einer Flasche mit fluoreszierendem Etikett, das Motiv hat ein schwer angesagter Künstler gestaltet. Und der Winzer muss lässig unkonventionell sein. In diesem Fall: Vincent Bründlmayer, ein Nachwuchsstar der Szene. Karriere als DJ, Partynächte in Wien, dann erst die Rückkehr auf das elterliche Gut - exakt so müssen heute Biografien von Weinbauern aussehen, damit sie sich optimal vermarkten lassen mit dem Zauberslogan der Branche: junger Wilder.

Dass der Begriff längst überstrapaziert ist, ändert nichts an seiner Beliebtheit. Junge Wilde, das klingt so schön handlich. Wobei die Frage ist, wie viel Rebellion eine uralte, kräftezehrende, bis vor ein paar Jahren als bestürzend unglamourös geltende Arbeit wie die am Weinberg eigentlich verträgt. Dem Reiz der eingängigen Formel jedenfalls erliegen Kunden, Händler, Winzer nach wie vor - auch ein Bründlmayer von ehrwürdigem Stamm, das kann man vor dem Besuch im Kamptal nachlesen, wo die Familie in dritter Generation eines der namhaftesten Weingüter Österreichs betreibt. "Rock 'n' Roll: Bründlmayers Weg zum Wein" dröhnt ein Artikel über den Junior. Mal geht es um das Aufbegehren, mal um den Totenkopfring im Club der Nachwuchswinzer. Und dann wartet in Krems ein wohlerzogener 32-Jähriger in Chinos und marineblauem Pulli, in der Stimme den sanften Singsang der Niederösterreicher. Das, bitte, soll ein junger Wilder sein? Marketing ist eine Sache, aber was passiert eigentlich wirklich, wenn sich auf einem Traditionsgut die Stabübergabe anbahnt?

Der Befreiungsschlag von den Vätern baut auch Druck auf - bei jedem Jahrgang aufs neue

Die Fahrt zum Bründlmayer-Anwesen im kleinen Ort Langenlois führt durch Weinberge, die postkartenschön im Sonnenlicht liegen. Die Hänge der Wachau sind nicht weit, wobei Vincent Bründlmayer gleich mal die Unterschiede klärt. Die Weinwelt ist ja so global, aber stolz ist jede Region nur auf das eigene Gewächs. Grüner Veltliner und Riesling sind die Vorzeigesorten in Langenlois, seit Urzeiten wird hier Weinbau betrieben, und die feinsten Flaschen kommen aus dem Keller von Vater Willi Bründlmayer. Der Filius trat 2013 als Geschäftspartner in das 80-Hektar-Gut ein. Und würde die Branche nicht so penetrant die Generation Punk der Söhne und Töchter in Szene setzen, könnte man sagen: Was ist dabei, ein Betrieb geht langsam in die Hände des Jüngeren über.

Doch in kaum einem Metier definiert sich Erfolg so sehr über die eigene Handschrift wie beim Wein. Deshalb stehen auf Flaschen von Newcomern oft knallige Fantasienamen. Es gibt Weinverkostungen in schäbigen Großstadtlofts. Totenkopfringe. Das Neon-Etikett. Bloß weg vom grundsoliden Image der Väter. Doch als Vincent Bründlmayer nach holpriger Fahrt in seinem Geländewagen auf einem Hang über Langenlois angekommen ist, wird spürbar, wie sehr ein Befreiungsschlag auch neuen Druck aufbaut. Das schöne Wort vom Traumberuf Winzer spart sich der Jungspund hier oben nicht, kein Wunder bei dieser Aussicht auf den Heiligenstein, den schon sein Großvater bewirtschaftete. Doch dann kommt ganz schnell der knappe Satz: "Die Erwartungen, die sind enorm."

Für den Weinexperten Otto Geisel hat der Druck mit den Marketingstrategien zu tun. Wer sich, allein oder in Klubs wie "Grand Crüe", als Totalerneuerer inszeniert, braucht sich über Stress vor jedem Jahrgang nicht zu wundern. "Da ist manches sehr laut geworden", sagt Geisel und kritisiert die Trittbrettfahrer, die hinter dem flugs kopierten Tamtam keine Qualität zu bieten hätten. Da sacke das Image vom verwegenen Underground-Winzer beim ersten Schluck auf klägliche Weise zusammen. Geisel, der sich als Sachverständiger mit Möchtegern-Auftritten im Glas auskennt, rügt Sommeliers oder Händler, die solche Tropfen anpreisen mit Geschichten über das vermeintlich spannende Jungtalent. "Ein bisschen ,Storytelling' gehört zum Wein", sagt Geisel, aber zu viel Geschwätz erschwere die Orientierung.

Andererseits ist die Kundschaft manchmal schwerfällig - und einer, der sein Herzblut in einen neuen Verschnitt steckt oder das Aufpäppeln alter Reben, kann da schon rhetorisch in Fahrt geraten. Vincent Bründlmayer erzählt, wie oft er treue Kunden des väterlichen Betriebs zu Experimenten ermutige. "Manche wollen einen bestimmten Jahrgang nicht oder kaufen kategorisch nur eine Sorte." Da vermisst er die Offenheit, und man kann sich gut vorstellen, wie er Skeptikern mit höflichem Insistieren begegnet. "Am schönsten ist es, wenn ein Kunde etwas wagt", sagt er. Diesen frischen Wind auf dem Weingut, das zwischen geduckten Häusern am Ortsrand liegt, macht der hochmoderne Keller mit Edelstahl, Glas, blinkenden Displays deutlich: eine Großinvestition, wie ein futuristischer Koloss angedockt an das Backsteingemäuer, in dem unter Moder das Archiv der alten Flaschen lagert.

(Foto: N/A)

Vincent Bründlmayer hat einige Extratouren hingelegt, bevor er in den Familienweingärten landete. Aus freien Stücken, wie sein Vater betont: "Zum Wein muss jeder selbst kommen." Mit seinem kurvigen Werdegang entspricht er genau dem Bild, das Otto Geisel von der Generation Aufbruch zeichnet. "Erst mal 'raus, die Welt sehen, und mit neuem Blick Dinge verändern." Die Umstellung auf biologisches Wirtschaften, das Wiederentdecken verpönter Sorten sieht Geisel als Hauptneuerungen der Jungen, die überfällig waren. Vincent Bründlmayer ging hinaus in die Welt, kaum dass er volljährig war. Er hatte mit Reben "nichts im Sinn", sagt er, fand das Gewese um Lagen und Methoden, die Überhöhung von Wein "sogar albern". Lieber ein Tontechnik- und Designstudium in Wien, er legte Platten auf, half als Caterer aus, feierte und reiste viel.

Auch im Auftrag des elterlichen Guts, und da habe es ihn schon beeindruckt zu sehen, "wie guter Wein besondere Menschen zusammenbringt". Tilda Swinton und Adrien Brody gehören zu den Kunden von Willi Bründlmayer, der seine schlanken Flaschen mit Grünem Veltliner oder Winzersekt in die besten Restaurants von Paris bis New York liefert. Irgendwann ein Praktikum auf einem Betrieb in Burgund, einem der besten natürlich, und Vincent hatte den "Weinzeck", er kam nicht mehr los vom Metier des Vaters und Großvaters.

Als er dann nach der Weinbauschule sogar seinen eigenen Weißen vorlegt, "Vincents Spiegel 2011", wird der als eigenwilliges Debüt bejubelt. "Ich konnte mich nicht entscheiden und habe die Trauben auf drei verschiedene Arten vergoren", sagt er über seine Premiere. Die Fachpresse bescheinigt dem Verschnitt "individuelle Stilistik" - für routinierte Veltliner-Trinker eher eine Herausforderung, aber Mainstream war ja nicht die Absicht. Vincent Bründlmayer fände auch die Beschäftigung mit "Orange Wine" reizvoll, dem gewöhnungsbedürftigen Naturwein. Doch das Trend-Getränk fehlt im gediegenen Sortiment des Hauses. "Kommt nicht infrage", sagt er mit einem Lachen, von dem man nicht weiß, ob es Leichtigkeit ausdrückt oder Konflikte mit dem Vater überspielt - der ja nur ein Übervater sein kann als Grandseigneur der Szene.

Sein Lieblings-Weinfilm ist "Sideways". Weil da die Terroir-Snobs ihr Fett wegbekommen

Frühmorgens im Hof stehen, strapaziöse Erntemonate anstelle spontaner Kulturtrips: Vincent Bründlmayer sagt, er sei angekommen in seinem neuen Leben als Weinbauer. Auch wenn er sein wenige Wochen altes Baby in Stresszeiten wenig sehen wird und Langenlois der urbane Lifestyle, nun ja, abgeht. Dass die Vater-Sohn-Konstellation Spannungen birgt, hört man eher aus Nebensätzen heraus, den Weinen tut sie wahrscheinlich gut. Keine Neuerung ohne Debatten, die verstärkte Arbeit mit der alten Sorte Sankt Laurent, das Forcieren ökologischer Methoden, die Pferde im Weinberg wie in alter Zeit, zur Auflockerung der Erde. "Am heftigsten diskutieren wir über die Etiketten", sagt der Sohn. Ergebnis: Bei den Flaschen der Hauptlinie bleibt die bewährte Optik mit dem strichfeinen Druck, jedes Jahr variiert allenfalls ein Detail. Im Grunde geht es da natürlich um die Essenz des Weinguts. Solange er Patron ist, sagt Willi Bründlmayer, "bleiben die Weine klassisch". Für Experimente ist er offen, doch das Prinzip heißt Eleganz, nicht Exzentrik. Und genau das klingt nicht nach wüstem Aufstand, sondern nach dem, was ein Generationswechsel oft und auch in anderen Häusern ist: ein Kompromiss. Was sich halt nur nicht halb so knackig vermarkten lässt wie die Paarung "jung und wild".

Dass der bedächtige Rebell Bründlmayer dem Vater ein Stück Land abkaufte, um bei seinen Vincent-Weinen wie dem "Spiegel" ganz unabhängig zu sein, sagt viel über sein Freiheitsbedürfnis. Und dann erzählt er noch von "Sideways", seinem Lieblings-Weinfilm. Erstens, weil da die blasierten Terroir-Snobs so schön aufs Korn genommen werden. Und natürlich weil er davon handelt, wie die Beschäftigung mit Wein Lebensläufe verändert.

© SZ vom 26.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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