Samstagsküche:Robokoch

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Die Küchentechnik entwickelt sich rapide. In London basteln Ingenieure schon an Androiden, die Menüs von Spitzenköchen zubereiten. Aber will man das?

Von Hannes Vollmuth

Wer weder in den Sterne-Küchen noch in den Zukunftslabors dieser Welt zu Hause ist, aber trotzdem dabei zusieht, wie ein Roboter ein Gericht eines Spitzenkochs nachkocht, der bräuchte eigentlich selbst ein Rezept. Oder zumindest eine kleine Vorwarnung, wie man sich zu verhalten hat: Mund zu und Ruhe bewahren zum Beispiel. Denn wenn das die Zukunft der Küche sein soll, dann ist sie ziemlich irritierend.

Gut, man ist Maschinen in der Küche gewohnt, aber diese hier ist anders. Raumgreifender. Außerdem hat sie einen Namen, Moley. Und Moley fängt nun an, wie R2-D2 zu surren und zu blinken, während er erwacht. Der Roboter schaltet den Herd an, nimmt eine Schüssel, streicht die Butter daraus mit einem Löffel in den Kochtopf, lässt sie zergehen und - als hätte er Langeweile - wackelt beim Warten leicht mit den Armen. Dann kippt Moley hübsch nacheinander Schalotten, Knoblauch, Kirschtomaten, Krabbenfleisch, Hühnerbrühe und Sahne in den Topf und verrührt alles. Leere Schälchen legt er ordentlich in der Spüle ab. Träufelt nun, wie zum Abschmecken, Wermut und Zitronensaft in den Topf. Moley kann nicht nur erstaunlich professionell mit dem Mixer umgehen, sondern auch mit der Kelle, die er nach jedem Schöpfer sorgfältig am Topfrand abstreift, bevor er tropfenfrei einen Teller mit der Krabbencremesuppe befüllt.

Hier allerdings wird man in seiner konzentrierten Verblüffung jäh unterbrochen, weil der Ingenieur neben einem völlig ausrastet: "Ich liiieeebe diese Stelle, so amazing." Nach genau 26 Minuten geht es nur noch darum - ein wenig perplex - die erste Roboter-Mahlzeit des Lebens zu probieren. Und natürlich schmeckt es, denn im Grunde hat man hier einem britischen Spitzenkoch bei der Arbeit zugesehen, dessen Rezept der Roboter soeben kopiert hat.

Die Entwicklung in der Küche klingt ja derzeit fast etwas zu rasant. Gerade erst hat der Thermomix die Republik erobert, schon soll man sich an den Gedanken des total vernetzten Haushalts gewöhnen: an Kühlschränke, die automatisch melden, wenn die Milch alle ist, an Arbeitsplatten, die vorschlagen, welches Rezept zum Rettich passt, der darauf liegt. 3-D-Drucker spucken mittlerweile ganze Hochzeitstorten aus. Und nun soll man Roboter in seine Küche lassen, die rühren, mixen, abschmecken, schöpfen?

Die Roboterhände, die jetzt Suppe anrühren, wurden einmal für die Nasa entwickelt

Roboter waren bisher eher stumme Malocher zum Schweißen von Autoteilen, Schneiden, Fräsen und Sägen. Zuletzt übernahmen sie auch leichtere Tätigkeiten im Haushalt: saugen, Rasen mähen, Fenster putzen. 2014 wurden weltweit 3,3 Millionen dieser Serviceroboter verkauft, heißt es bei der Internationalen Robotervereinigung in Frankfurt. Darf man ihnen jetzt auch die Übernahme der so schönen wie komplexen Dinge des Lebens zutrauen?

Köstliche Technik? Das ist der Roboter Moley, der gleich Krabbencreme-Suppe mit Kirschtomaten, Wermut und Zitrone kochen soll. (Foto: Moley Robotics)

In einem Lagerhaus mit schmutziger Klinkerfassade im Londoner Stadtteil Islington sind sie der Meinung: Man darf, und zwar rückhaltlos. Der Raum innen ist sauber weiß getüncht. In einer Ecke kauert eine Programmiererin hinter ihrem Laptop, sie reagiert nicht mal dann, wenn sie angesprochen wird. In einer anderen Ecke klappert der gerade noch begeisterte Ingenieur nun stumm mit dem verschmutzten Geschirr: Den hässlichen Teil der Küchenarbeit, das Abspülen und Aufräumen, überlässt der Roboter hier leider weiter dem Menschen. Moley bewegt sich gerade keinen Zentimeter. Das, was von ihm zu sehen ist, seine Arme und Hände, hängen über dem Herd, dick wie junge Baustämme und getaucht in futuristisches blaues Licht.

Jedes Maschinenwesen hat einen Schöpfer, in Moleys Fall ist das Mark Oleynik, ein Mensch wie aus dem Figurenkabinett der Coen-Brüder. Er hockt am Tisch und isst. Keine Krabbencremesuppe. Der 44-Jährige, ein Mann mit Bauchansatz, Prinz-Eisenherz-Frisur und russischem Akzent schiebt sich pralle Trauben in den Mund, und Muffins, die aussehen wie kleine Atompilze. "Ich mag gutes Essen", sagt Oleynik kauend, aber "in der Küche bin ich wirklich ein Verlierer, das ist mein Problem." Und weil man nicht sofort eine Nachfrage hinterher schießt, checkt Oleynik erst mal sein iPhone. Als er fertig gecheckt hat, erzählt er seine Geschichte.

Kaum 18 Monate ist es her, dass er die Idee mit dem Kochroboter hatte. Eigentlich stammt Oleynik aus St. Petersburg, wo er auch studierte: Informatik, Gesundheitsmanagement und Ökonomie, hier hat er einen Doktor gemacht. "Der Mensch will jedes Gericht essen, und zwar in genau dem Moment, in dem er Lust darauf hat", glaubt er. Aber vielleicht ist es ja auch so: Wenn Oleynik vom Mensch im Allgemeinen spricht, meint er in erster Linie sich selbst.

Im Frühjahr 2014 hat der Russe deshalb das Start-up Moley Robotics gegründet und zwölf Programmierer eingestellt. Die Roboterarme kommen von Universal Robots aus Dänemark. Die Hände mit fünf Fingern, eine Besonderheit, hat Firma Shadow Robotics entwickelt, die im selben Lagerhaus angesiedelt ist und normalerweise Roboterhände für die Nasa oder die Atomindustrie liefert: 20 Motoren, 24 Gelenke, 129 Sensoren. Sie können angeblich auch Klavier spielen und Briefe schreiben. Jetzt sollen sie also kochen, und natürlich keine Spaghetti oder Linsen mit Würstchen. Oleynik hat da eher an süße Shrimps in Bärlauch-Blättern, Kalbsbries Rumohr, Schneckenporridge und Tintenfisch in lila Kohl gedacht. An berühmte Gerichte, die im Original mal eine große Marketingwirkung hatten.

(Foto: N/A)

Und Wirkung scheint auf Oleynik zu wirken. Er besuche gern die berühmten und teuren Restaurants in Paris oder New York, leider sei er "nicht ständig in New York", sagt Oleynik. Ein Luxusproblem, klar. Aber eines, das sich lösen lasse, wie er findet. Oleynik hat deshalb Tim Anderson in sein Studio gebeten, einen britischen Starkoch, der 2011 die BBC-Kochshow "Master Chef" gewann. Die Programmierer von Moley Robotics haben den Koch mit 3-D-Kameras bei der Zubereitung seiner Krabbencremesuppe gefilmt, und die 26 Minuten in Roboter-Sprache übersetzt. Nach einem Jahr kocht Moley jetzt nicht nur Krabbencremesuppe wie Tim Anderson, er ist für 26 Minuten eine Anderson-Kopie.

Wenn Moley in Minute drei den Knoblauch in den Kochtopf kippt und dabei ein paar fein gehackte Stückchen neben dem Topf verteilt, dann liegt es nicht daran, dass der Roboter falsch programmiert wäre: Tim Anderson selbst, Moleys Vorbild, hat an dieser Stelle gesaut. Auf Anderson geht auch das leichte Wackeln der Arme zurück, das Moley vollführt, wenn gerade die Krabbencremesuppe aufkochen muss. Das Ärmchen-Wackeln gefällt dem Schöpfer übrigens: Bewegungen eines Roboters, die an einen Menschen erinnern, sind eine gute Show. Oleynik mag Show. Sie ist wichtig, wenn man etwas verkaufen will.

Oleyniks Vision lautet ungefähr so: Erst hat der Mensch Bücher vervielfältigt, dann Bilder, Musik, Filme, heute Objekte. Man kann das heute alles kopieren, downloaden und verschicken. Mit Moley ist jetzt eben auch die Kochkunst dran: Die Spitzenküche im Zeitalter ihrer technischen Reproduzierbarkeit. Schließlich hatte der Mensch schon immer eine kindliche Freude daran, Maschinen zu erschaffen, die er dann sehr menschliche Sachen tun lässt. Und schließlich ist es ja auch nicht so, dass Oleynik mit seinem Traum vom Robokoch allein wäre.

An der Universität von Maryland entwickeln sie gerade ein Programm, mit dem ein Roboter mit Youtube-Videos neue Küchentricks lernt. Im US-Bundesstaat New York, an der Cornell University, soll es einen Roboter geben, der es immerhin zu einer Nachspeise aus Eiscreme und Kaffee bringt. In Japan tüftelt die Firma Aisei nun an einem Nudelsuppen-Roboter. Und in Deutschland, an der Universität Bremen, kann ein Roboter schon Pfannkuchen wenden, Pizza backen und Popcorn machen.

Wer will in seiner Küche von einer Maschine mit dem Messer in der Hand empfangen werden?

Doch selbst diese in ihrer Zukunftsgläubigkeit manchmal geradezu euphorische Robotik-Szene ist eher vorsichtig mit einer Einschätzung, ob sich ein Spitzenkochroboter so schnell durchsetzen wird. Waren Küchen nicht gerade erst zu Orten geworden, wo sich gestresste Großstädter ins selbstvergessene Schnippeln, Schälen und Rühren versenkten? Die Frage ist, ob der Mensch wirklich eine Maschine haben will, die ihn mit einem Messer in der Hand empfängt, wenn er die Küche betritt.

Der "Faktor Mensch" ist für Alexis Maldonado von der Universität Bremen dann auch das Hauptproblem. Schließlich seien Küchen Orte, an denen man heute mal ordentlich und morgen wieder chaotisch ist, sagt der Experte für Roboter und künstliche Intelligenz. "In einer Küche legt man die Sachen nicht immer an den gleichen Platz." Aber Moley greift ins Leere, wenn der Mixer nicht steht wie programmiert. Ziemlich egal ist dem Kochroboter übrigens, ob da wirklich Tomaten in der Schale liegen oder eben doch Erdbeeren. Und wenn ihm der Rührlöffel aus seiner blinkenden Fünffingerhand rutscht, rührt Moley auch stur weiter. Ohne Löffel.

Im Lagerhaus in London hat Moleys Schöpfer sein Traubenessen beendet und geht zu seinem Roboter. "Das erste iPhone konnte auch nicht alles", sagt Oleynik. Es ist einer seiner beiden Lieblingssätze. Der andere ist: "Auch Steve Jobs hat klein angefangen." Serienreif soll der Kochroboter in drei Jahren sein, frühestens. Geplanter Preis: 75 000 Dollar, dafür soll es aber die Küche und eine Rezepte-Datenbank dazugeben. Und eine Sicherheitsscheibe soll Moley auch bekommen, mit der sich sein Arbeitsbereich abgrenzen lässt. Angeblich haben Leute aus den Vereinigten Arabischen Emiraten, China und den USA schon Interesse. Mit der Faulheit der Menschheit ließ sich schon immer gut Geld verdienen.

So gut wie sicher ist angesichts der vielfältigen Forschungen, dass der Robokoch bald kommen wird. Ob als Imitation eines Spitzenkochs und ob so schnell, wie Oleynik hofft, ist natürlich eine ganz andere Frage. Der Mensch kann in Moleys 75 000-Dollar-Küche ja auch noch selbst kochen, wenn er den Roboter per Knopfdruck an die Decke kommandiert. Das ist ähnlich beruhigend wie der winzige Fehler in der Krabbencreme-Suppe. War sie nicht doch ein wenig zu salzig? Aber das wäre ja nur zu menschlich.

© SZ vom 07.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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