Samstagsküche:Rebenslänglich

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Immer mehr Winzer zieren ihre Etiketten mit dem Label "Alte Reben". Doch ob der Wein von solchen Stöcken wirklich besser schmeckt, ist umstritten.

Von Georg Etscheit

Es wird einem schon ein bisschen ehrfürchtig zumute, wenn man durch das mit Rosen berankte Tor in diesen Weinberg tritt. Ganz tief, auf Kniehöhe nur, ziehen sich die drei etwa 170 Meter langen Rebzeilen mit den pittoresken, knorzig-verschlungenen Rebstöcken hin. Gerade mal 300 Stöcke, vorwiegend Traminer, wachsen in der Lage Rosengarten von Rhodt unter Rietburg in der Pfalz, in Sichtweite des Hambacher Schlosses. Doch die haben es in sich, denn der Rosengarten soll der älteste noch in Ertrag stehende Weinberg der Welt sein.

"Manche Stöcke sollen schon vor dem Dreißigjährigen Krieg gepflanzt worden sein", sagt Pascal Oberhofer, dessen Familie den Vintage-Weinberg besitzt. Das gehe aus alten Rhodter Kirchenbüchern hervor und einem Eintrag in dem Standardwerk "Geschichte des Weinbaus" aus dem Jahre 1907. Der 22 Jahre junge Winzer, der einmal das Ökoweingut seines Vaters mit den betagten Rebstöcken übernehmen wird, hütet den Schatz schon jetzt wie seinen Augapfel. Alles in diesem Weinberg geschieht von Hand: Hacken, Schneiden, Spritzen, die Traubenlese sowieso. "Hier möchte ich keine Maschine sehen. Schweres Gerät könnte die Reben beschädigen. Es darf einfach kein Stock mehr kaputt gehen." Der Wein, der aus diesem ganz besonderen Weinberg kommt, ist so rar, dass er nur in halben Flaschen verkauft wird. In schlechten Jahren gibt es schon mal gar keinen, weil die Methusalem-Reben ohnehin nur noch homöopathische Erträge liefern.

Die Bezeichnung "Alte Reben" findet man auf immer mehr Wein-Etiketten. Sie steht für intensive, tiefgründige, unver-wechselbare Kreszenzen, die das jeweilige Terroir, Zauberwort des Qualitätsweinbaus, besonders prägnant widerspiegeln. Schließlich konnten sie sich, so die Theorie, über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte an ihren Standort anpassen. Sie konnten ihre Wurzeln bis zu 20 Meter tief in den Boden schicken und ihm durch ihr fein verästeltes Wurzelsystem besonders viele geschmacksprägende Mineralstoffe entziehen. Außerdem tragen alte Stöcke viel weniger Trauben und haben kleinere Beeren. Sie machen auf natürliche Weise das, was qualitätsbewusste Winzer bewusst praktizieren, wenn sie bei jüngeren Reben per Grünlese die Zahl der Trauben reduzieren, damit sich die Aromen in weniger Früchten ansammeln können. Alte Reben stehen aber auch für Werte wie Tradition und Nachhaltigkeit, die immer mehr Kunden zu schätzen wissen. Für solche Premium-Weine wird oft ein höherer Preis verlangt.

Alte Rebstöcke haben weniger und kleinere Trauben, die aber mehr Aromen enthalten sollen. (Foto: Weingut Oberhofer)

In Deutschland ist nicht geregelt, von wann an eine Weinbergparzelle als alt gilt

Doch was zuweilen unter dem Label "Alte Reben" auf Etiketten oder in Werbebotschaften firmiert, dürfte das Papier nicht wert sein, auf dem es geschrieben ist. Weingesetzlich ist in Deutschland nämlich nicht geregelt, von welchem Alter an eine Weinbergparzelle die prestigeträchtige Zusatzbezeichnungen führen darf. "Im Allgemeinen spricht man ab etwa 20 Jahre alten Weinstöcken von ,Alten Reben'", sagt Ernst Büscher vom Deutschen Weininstitut in Mainz, der zentralen Marketingorganisation der deutschen Weinwirtschaft. Von diesem Alter an nämlich lässt die Wuchskraft der Stöcke langsam nach. Spätestens mit 50 Jahren gilt ein Weinberg als unwirtschaftlich. Doch kann man 20- oder 25-jährige Reben wirklich schon alt nennen?

Beim Weingut August Kesseler in Assmannshausen am Rhein, berühmt vor allem für seine konzentrierten Rieslinge und Spätburgunder von Steillagen wie dem "Höllenberg", stammt der Most für die preisgünstige Basislinie von solchen Weinbergen. "Das ist für uns noch ganz junges Gemüse", scherzt Simon Batarseh, Önologe des renommierten Weingutes. Der Altersdurchschnitt in den mit weißen Sorten, vor allem Riesling, bestockten Kesseler-Weinbergen liege bei 34 Jahren, manche Parzellen hätten sogar bis zu 80 Jahre auf dem Buckel. Alte Reben sind bei Kesseler, wie auch bei manch anderem renommierten Qualitätswinzer, der Normalzustand. Doch nur ein Riesling von der mehr als 50 Jahre alten Lage Lorcher Schlossberg trägt das Zusatzlabel auf dem Etikett. Die spritzige, säurebetonte Basisqualität heißt "Junge Reben". "Da haben wir uns ein wenig Wortwitz erlaubt", sagt Batarseh.

Wie in der gesamten Gesellschaft, so herrscht auch in deutschen Weinbergen der Jugendkult. Die normalen "Umtriebszeiten" für Weinberge liegen bei rund 30 Jahren. Etwa drei Jahre brauchen junge Rebstöcke, um erstmals vollen Ertrag zu liefern. Den halten sie etwa 25 Jahre lang, dann wird der Weinberg gerodet und liegt zwei Jahre brach. Anschließend wird neu bestockt, mit klassischen Sorten oder jenen, die gerade im Kommen sind - ein 30-jähriger Zyklus. In Deutschland sind 72 Prozent der Rebflächen zwischen drei und 29 Jahre alt. Nur 22 Prozent sind 30 Jahre und älter. Weinstöcke, die ein Jahrhundert oder sogar mehr erlebt haben, gehören zu den absoluten Ausnahmen, zumal die Reb-lauskatastrophe am Ende des 19. Jahrhunderts vielen Stöcken den Garaus gemacht hatte.

(Foto: N/A)

Aber denkt auch der eher unbedarfte Weinkonsument schon bei 20 oder 30 Jahren an "alte" Rebstöcke? Und liefern alte Reben wirklich einen anderen, vielleicht sogar besseren Wein? "Bei 15 Jahre alten Reben fällt es mir sehr schwer, einen Unterschied herauszuschmecken", sagt die Sommelière Yvonne Heistermann, die an der Deutschen Wein- und Sommelierschule in Koblenz unterrichtet. "Ich würde die Grenze bei 30 Jahren sehen. Dann sind die Reben perfekt an ihren Standort angepasst und liefern konzentriertere, komplexere Aromen." Diesen Konzentrationseffekt könne man aber auch durch eine freiwillige Ertragsreduzierung erreichen. "Da wird manchmal vielleicht etwas viel hineininterpretiert. Ich glaube, dass die Bezeichnung ,Alte Reben' manchmal inflationär gehandhabt wird."

Aus dem ältesten Weinberg der Welt wird es dieses Jahr nur 500 halbe Flaschen geben

Heistermanns Kollege Peer Holm, Vizepräsident der deutschen Sommelier-Union, ist überzeugt von den ausnahmsweise einmal segensreichen Auswirkungen fortgeschrittenen Alters - jedenfalls bei Weinreben. "Ich habe mal einen deutschen Portugieser getrunken, der aus einer 1928 gepflanzten Rebanlage stammte. Es gibt von dieser Rotweinsorte leider sehr viele belanglose Weine. Doch dieser Portugieser war grandios." Der Weinberg habe nur noch einen "Miniertrag" geliefert mit ungeheuer konzentrierten Mosten. "Sehr alte Reben haben das Potenzial für grandiose Weine", ist sich Holm sicher. Besonders viele solcher Weine aus Lagen, die bis zu 120 Jahre alt sein können, kennt der Sommelier aus Spanien. "Auch hier können Rebsorten wie Bobal, die sonst eher einfache Roséweine ergeben, große Weine hervorbringen."

Önologen sind, wie alle Wissenschaftler, weniger emotional. An der Wein-Hochschule Geisenheim im Rheingau, dem Mekka des deutschen Winzernachwuchses, steht ein Versuchsweinberg, in dem Reben unterschiedlichen Alters, gleichen Klons und gleicher Unterlagsrebe miteinander verglichen werden können. Die jüngste Parzelle, natürlich Riesling, wie im Rheingau üblich, stammt aus dem Jahre 2012 und stand 2014 erstmals im Ertrag, die mittlere ist 21 Jahre alt, die älteste bringt es immer-hin auf 45 Jahre. Die Rebzeilen werden in gleicher Weise bearbeitet und die Moste schließlich nach gleichen Methoden zu Wein ausgebaut. Das vorläufige Ergebnis der bislang einmaligen Untersuchungen liest sich etwas ernüchternd. "Es gibt zwar Unterschiede in der Physiologie der Reben, doch die Änderungen der Inhaltsstoffe von Beeren und Wein erweisen sich nach der Untersuchung zweier Jahrgänge als wenig markant. Bei der professionellen Verkostung nach standarisierten Methoden waren keine statistisch signifikanten Unterschiede festzustellen. Im Klartext: Es sei wohl davon auszugehen, dass der jeweilige Witterungsverlauf eines Jahrgangs, die Art der Bodenbewirtschaftung und die ganz persönliche Handschrift des einzelnen Winzers bei der Vinifizierung mögliche Unterschiede als Folge des Rebalters überdecken, sagt Manfred Stoll, Leiter des Instituts für allgemeinen und ökologischen Weinbau in Geisenheim. "Wir haben zudem herausgefunden, dass die Unterschiede der Weine zwischen den Pflanzjahren umso geringer waren, je länger diese in der Flasche gereift sind." Detaillierte Ergebnisse will Stoll erst nach Verkostung auch des dritten Jahrgangs veröffentlichen.

Sind also die Meriten der "Alten Reben" doch nicht viel mehr als ein Marketing-Gag, wie schon Hugh Johnson in seinem populären Weinbrevier vermutet? Pascal Oberhofer, Besitzer des angeblich ältesten Weinbergs der Welt, will sich von den Zweiflern nicht beeindrucken lassen. Er ist überzeugt davon, aus dem Rosengarten etwas ganz Besonderes auf die Flasche zu ziehen und will auch die Spitzengastronomie für den raren Tropfen begeistern. Die Natur muss freilich mitspielen. In diesem Jahr wird er immerhin 500 halbe Flaschen abfüllen können. Vom Jahrgang 2014 gab es nur 100 Flaschen, die beiden Jahrgänge davor fielen ganz aus. Der Most hätte nicht mal für einen jener Glasballons gereicht, in denen Winzer sonst die extrem geringen Traubensaftmengen für den seltenen Eiswein vergären lassen. "Wir haben die wenigen Trauben im Familienkreis gegessen. Hat super geschmeckt!"

© SZ vom 19.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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