Samstagsküche:Döner-Dominanz

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Warum der Münchner Sternekoch Ali Güngörmüs davon träumt, dass die Türken endlich ihre Angst vor der Spitzenküche ablegen.

Von Anne Goebel

Turkish cuisine, der Name klingt verheißungsvoll. Nach aufregenden Aromen, nach einem Zusammentreffen von Okzident und Orient, von kulinarischer Kunstfertigkeit und lässiger Raffinesse - was sollte man anderes erwarten von Istanbul, der hippen Metropole? Jeder halbwegs trendbewusste Mensch weiß, dass ein Wochenende am Goldenen Horn keine Wünsche offen lässt, shoppen, ausgehen, und längst gehört auch schickes Essen dazu. Neu eröffnete Lokale werden mit Designpreisen ausgezeichnet. Foodblogs beschwören die Rückkehr der stolzen osmanischen Palastküche. Der Londoner Szenekoch Yotam Ottolenghi bejubelt den Pilaw, ein an sich einfaches Gericht, in allen denkbaren Varianten.

Und dann sitzt man mit Ali Güngörmüş in seinem Restaurant in München, umgeben von edlen Möbeln, Tapeten mit silbrig grünem Artischockenmuster, Hommage an seine anatolische Heimat. Güngörmüş lächelt ein sehr schmales Lächeln und sagt: Die türkische Küche, die neue, die andere, "wo ist sie? Wo, bitte, kann man hier all die wunderbaren Sachen essen?"

Ali Güngörmüş, 39, betreibt zwei Restaurants in Hamburg und München. Das viel gepriesene "Le canard nouveau" an der Alster und das "Pageou" in seiner langjährigen bayerischen Heimat, in die er vor ein paar Jahren zurückkehrte. Er ist der einzige Sternekoch mit türkischen Wurzeln, "weltweit", fügt er höflich an. Für die Frage, warum neuerdings so viel von gastronomischer Dynamik zwischen Istanbul und Marmaris die Rede ist, warum sich aber andererseits die türkische Küche in Deutschland seit Jahrzehnten kaum bewegt, ist er ein guter Gesprächspartner. Güngörmüş schätzt klare Worte, wobei das auch Teil seiner Marke ist, in der Dramaturgie von Kochsendungen wie "Topfgeldjäger" hat er den Part des gewitzten Erklärers. Zum anderen ist er mit türkischen Gerichten und Traditionen aufgewachsen, seinen Weg hat das nicht immer erleichtert. Aber Güngörmüş beherrscht den Umgang mit Gegensätzen, er kann entspannt beobachten, wie sich sein Lokal zur Mittagszeit langsam füllt, kann Gästen freundlich zunicken und ganz nebenbei Urteile von schneidender Deutlichkeit fällen: "Ich glaube, der Türkei fehlt es grundsätzlich an Esskultur."

Solche politisch unkorrekten Waghalsigkeiten darf natürlich nur ein Deutscher mit ausländischen Wurzeln äußern. Aber man braucht vom Pageou an der feudalen Kardinal-Faulhaber-Straße ja nur ein paar Hundert Meter weiter zum Münchner Bahnhofsviertel gehen, wo sich eine Döner-Ausgabeluke an die nächste reiht. Viel Fleisch zwischen Teigtaschen, minimale Variantentoleranz (mit oder ohne: Tomate, Zwiebel, scharf), günstiger Preis - das ist es, wofür türkische Küche in Deutschland im Wesentlichen steht, seit sie überhaupt wahrgenommen wird: Sattmacher auf die Hand. In welchem Jahr Döner Kebap erfunden wurde, von welchem gewieften Gastronomen, der irgendwann das auf einem Teller servierte Geschnetzelte in einen Fladen packte, lässt sich nicht zurückverfolgen. Aus der Idee wurde die größte türkische Erfolgsstory in Deutschland, es kam die Edelvariante (Kö Döner in Düsseldorf), es kam die Kür zum beliebtesten Schnellgericht der Hauptstadt. Ansonsten passierte kulinarisch: nichts. Turkish cuisine? Ist am Grilltresen stehen geblieben.

Für einen, der so ehrgeizig ist wie Ali Güngörmüş, ist das eine Geschichte verpasster Chancen. Sein kulinarischer Horizont reicht natürlich weiter, kein Kunststück nach Stationen in Karl Ederers "Glockenbach" oder dem "Tantris" - also etwa von getrüffeltem Perlhuhn bis zu Macadamia-Soufflé. Routine und Einfallslosigkeit regen den Mann in der blütenweißen Kochjacke auf. Wieso, scheint er sich permanent zu fragen, sind nicht alle Landsleute am Herd zwischen Kreuzberg und Antalya so ambitioniert wie er, egal, ob sie Kebap grillen oder Touristen verköstigen?

Was er sich unter modernisierter osmanischer Kochkunst vorstellt, ist traditionsbewusst, voller nuancierter Aromen, aber weniger üppig: zu Sardellen, dem Arme-Leute-Gericht, eine leichte Safranmayonnaise; die gefüllten Zucchini mit Zitronennote kommen aus dem Ofen, nicht aus dem Ölbad; dem Bulgursalat Kisir geben Äpfel Frische - Güngörmüş gerät über Ideen für die immer gleichen Klassiker aus großen Kasserollen so ins Schwärmen, dass man irgendwann selber wünscht, diese Küche möge sich in Allahs Namen endlich in die Gegenwart katapultieren. Seine bescheidenen Vorschläge dazu hat er auf 200 Seiten in dem neuen Buch "Meine türkische Küche" dargelegt (Dorling Kindersley). Natürlich haben darin sämtliche Fotos diesen hippen orientalischen Basar-Flair. Nichts könnte davon weiter entfernt sein als die Bratschaufel der deutschen Dönerbude.

Allerdings ist das der Moment, in dem einem auch die Idee eines Istanbuler Gastronomenclubs etwas riskant erscheint, sie baten den Kollegen aus Deutschland anlässlich einer Preisverleihung um einen Vortrag. Er werde dort demnächst "ein paar Wahrheiten deutlich aussprechen" über die mangelnde Esskultur, wie Güngörmüş das vollmundig nennt. Er findet, in der Türkei fehle ein Gespür dafür, dass es beim Essen nicht in erster Linie um Sattwerden gehe. Er vermisse die Offenheit für Ungewohntes, selbst und gerade die (neu)reiche Klientel in Istanbul verlange stets das übliche gegrillte Fleisch. Nur eben sehr teures Fleisch. Ihm fehle kulinarischer Eigensinn bei jungen Kollegen, die Molekularküche für topaktuell hielten und ansonsten nicht aufmuckten gegen die konservativen Speisekarten ihrer patriarchalischen Vorgesetzten. Kurz, es ist eine einzige Suada, die Ali Güngörmüş nur für die Begrüßung eines Stammgastes, ein reizendes "Hallo, grüß' Sie", unterbricht. Bleibt festzuhalten: Den großen lukullischen Relaunch am Bosporus sieht er skeptisch, jedem chilligen Restaurant mit Meerblick zum Trotz.

(Foto: N/A)

Das wären die Leviten für die anderen. Und seine eigene Küche in den beiden Lokalen, ist die denn wirklich türkisch, nur weil die Karte sehr vereinzelt Posten verzeichnet wie "Lammfilet mit Kichererbsen und orientalischem Rohkostsalat"? Provokanter gesagt, man könnte das hübsche neue Kochbuch mit dem Anspruch des Ursprünglichen als folkloristisches Feigenblatt auffassen - während sich die Restaurants schön an westliche Präferenzen halten. "Ich denke schon, dass wir im Pageou zum Teil sehr, sehr türkisch angehaucht sind", lautet die Antwort. Sehr angehaucht, so kann man das auch nennen, wenn im Menü ab und an die Worte Granatapfel oder Linsen auftauchen. Andererseits illustriert der Satz ja gerade das Dilemma zwischen der Liebe zur türkischen Küche - und ihrem kläglichen Ruf in Deutschland.

Auf wissenschaftlicher Ebene hat diesen Ruf die Kulturhistorikerin Maren Möhring untersucht. In ihrer Studie "Fremdes Essen" macht die Leipziger Professorin deutlich, dass die tatsächliche Güte und Vielfalt einer Küche nicht allein über ihren Erfolg im Exil entscheiden. Während es der italienischen Gastronomie hierzulande gelang, auch im Luxussegment Fuß zu fassen, "steht die türkische Küche in der kulinarischen Hierarchie nach wie vor nicht sehr weit oben", konstatiert Möhring. Vor allem das soziale Ansehen der jeweiligen Bevölkerungsgruppe sei entscheidend. Studien aus den USA zeigten etwa, dass mexikanisches Essen nicht aus der schmuddeligen Fastfood-Nische findet. Aber Möhring glaubt, die türkische Küche mit ihrem Image der Imbissbude könne es in Deutschland dennoch in den gehobenen Sektor schaffen. Kulinarische Moden seien nun einmal wankelmütig - und nicht zuletzt spiele der Zuzug von Flüchtlingen eine Rolle. Sie ließen die als fremd empfundene türkische Kultur plötzlich vertrauter erscheinen. Es klinge vielleicht paradox, aber das könne die kulinarischen Grenzen künftig verschieben und die türkische Küche womöglich beflügeln.

Grenzen ist Ali Güngörmüş in seinem Leben öfter begegnet. Sein Vater arbeitete als Schweißer, das tägliche gemeinsame Essen in der Familie, also der Eltern mit den sieben Kindern, war selbstverständlich. Aber als der mittlere Sohn nach dem Hauptschulabschluss Koch werden wollte, verstanden sie die Welt nicht mehr. Güngörmüş erzählt von seinem Lieblingsonkel. "Koch, was soll das sein, ein Beruf?", habe der gesagt. "Kfz-Mechaniker bei BMW ist ein Beruf." Er blieb aber bei seinem Wunsch, gegen den Willen der Familie, biss sich durch, und natürlich, das ist die alte Migrantengeschichte, "musste ich immer besser sein als alle anderen". Er hat gelernt, der Münchner Bussi-Klientel den smarten Ali zu geben und nicht hinzuhören, wenn Kollegen witzelten: türkische Küche? "Geh'ma auf einen Döner"?

Und heute, Pläne für die Zukunft? Vielleicht eines Tages ein richtiges türkisches Restaurant, sagt er, ungewohnt vage. Und erzählt dann noch, was ihn besonders freut. Sein Sohn ist vor ein paar Monaten in München in die Schule gekommen. Es ist dieselbe, von der er, der Türkenbub, fliegen sollte, wenn es damals nach einer Lehrerin gegangen wäre. "Du gehörst hier nicht her", habe sie gesagt. Er blieb aber.

© SZ vom 05.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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