Produktdesignerin Hella Jongerius:Frau Jongerius' Gespür für Farben

Lesezeit: 5 min

Hella Jongerius ist eine der bekanntesten Designerinnen der Welt. Große Unternehmen fragen sie um Rat, wenn sie den Kolorit ihrer Produkte überarbeiten wollen. (Foto: Marcus Gaab for Vitra)

Pigmente, Töne, Mischungsverhältnisse - das ist das Forschungsgebiet von Hella Jongerius. Die Niederländerin ist eine der erfolgreichsten Designerinnen der Welt und arbeitet für zahlreiche namhafte Unternehmen. Ein Laborbesuch in Berlin.

Von Laura Weißmüller

Was ihre Lieblingsfarbe ist? Die Frage versteht Hella Jongerius nicht. "Eine Farbe alleine ist gar nichts. Man muss wissen, wofür man sie braucht, in welcher Beziehung sie zu etwas steht, aus welchem Material sie ist. Es gibt da nicht die eine Farbe", sagt die niederländische Designerin, und wäre sie nicht so höflich, sie hätte den Gast vermutlich spätestens jetzt aus ihrem Studio geworfen, einem kleinen Backsteinhaus, versteckt im Hinterhof eines Berliner Altbaus. Schließlich hat man sie vorher schon gefragt, ob sie bestimmte Töne bei einer Farbe hört, ein düsteres Moll bei einem Eisblau etwa oder ein munteres Dur bei hellem Grün.

Mit solchen Fragen kann Jongerius nichts anfangen. Die 52-Jährige ist eine der bekanntesten Designerinnen der Welt. Sie entwirft für die wichtigsten Unternehmen, und das schon ziemlich bald, nachdem sie 1996 mit einem kanariengelben Waschbecken aus Plastik Furore machte. Ihre Werke, die das Unperfekte feiern, sind preisgekrönt, große Museen wie das MoMA ehren sie mit Ausstellungen. Vor allem aber gilt Hella Jongerius in der hochtourig betriebenen Designwelt, die ständig nach neuen Trends giert, weil sonst ihr Motor ins Stottern gerät, als die unangefochtene Expertin für Farben. Die besten Firmen fragen bei ihr um Rat, wenn es darum geht, das eigene Kolorit zeitgemäß aufzufrischen.

Doch diese Position besitzt Hella Jongerius nicht, weil sie ein Händchen für Rot, Grün oder Blau hat oder den siebten Sinn für den nächsten Farbtrend, in den dann sämtliche Produkt, vom Stuhl übers Sofa bis zu Vorhängen und Regal eingekleidet werden, als gelte es, zu Hause eine Mottoparty zu veranstalten. Ihren Status als Farb-Päpstin hat die Designerin, weil sie Töne, deren Substanz, ihr Mischverhältnis, kurz: das Geheimnis der Farben zu ihrem persönlichen Forschungsfeld erkoren hat. Und da diese schmale Frau mit dem hellblauen Hemd zum dunklen Pagenschnitt offenbar genauso arbeitet, wie sie spricht, ernsthaft, überlegt, sehr präzise, hat sie es in den Jahren zu einer Wissenschaft gebracht.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

"Die Industrie leidet an Farb-Anorexie"

All die fröhlich bunten Keramikfliesen, Stoffrechtecke und dicken Wollknäuel, die auf den Stockwerken der Berliner Remise verteilt sind, an der weißen Pinnwand heften, aus Mappen quellen, durch milchigweiße Boxen hindurchschimmern oder gleich großflächig am Boden ausgebreitet liegen, sind also Forschungsmaterial. Wer die steile Eisentreppe der ehemaligen Wurstmanufaktur emporsteigt und in die weiß gestrichenen Räume links und rechts sieht, könnte dabei fast glauben, Jongerius' Team hätte sich sämtliche Farben des Regenbogens vorgenommen, um sie mit großem Eifer zu analysieren.

Von allen kann zum Leidwesen der Designerin nicht die Rede sein. "Die Industrie liefert uns die Farben, mit denen wir arbeiten müssen. Es sind nicht wenige, sondern sogar extrem viele, aber sie sind nur aus einer sehr kleinen Pigmentpalette gemischt", sagt sie. Maximal 40 Pigmente bilden die Basis industriell hergestellter Farben. "Dabei gibt es so viel mehr Pigmente, doch die Industrie leidet an Farb-Anorexie!"

Jongerius, eigentlich eher sanft in der Stimme, während ihre Hände die Luft kneten, als wollten sie die Sätze formen, wird bei diesem Thema lauter. Denn diese Beschränkung ist der Grund dafür, warum Industriedesign oft nicht in den Farben hergestellt werden kann, die ein Künstler auf seiner Palette mischt oder die jene Gestalter verwenden, die nur in kleinen Serien arbeiten. In der Massenproduktion aber kann ein Blau immer nur das Stereotyp eines Blaus sein, ein Gelb nur die Ahnung davon, was in der Welt jenseits der Fließbänder alles möglich ist.

Vor acht Jahren hat Hella Jongerius ihr Atelier von Roterdam nach Berlin verlegt. Dort arbeitet sie mit einem kleinen Team in einem versteckten Hinterhof und forscht an neuen Farbtönen. (Foto: Marcus Gaab for Vitra)

Tatsächlich beschäftigt sich auch die Industrie mit Farben, vermutlich forscht sie sogar genauso hartnäckig wie Jongerius. Doch dort geht es bislang um wirtschaftliche Aspekte: Wie lässt sich ein Produkt noch günstiger herstellen? Oder auch: Wie bekommt man die Farben möglichst stabil, damit sie morgens genau so aussehen wie abends? "Ich finde es ziemlich langweilig, wenn Farben den ganzen Tag über gleich aussehen", sagt Hella Jongerius. "Farbe atmet mit dem Licht." Als wollte die Sommersonne das bestätigen, fällt sie besonders intensiv durch die großen Oberfenster auf den langen Arbeitstisch und lässt das bunte Material ringsum noch stärker leuchten.

Die Niederländerin hat die Hoffnung, dass auch die Industrie bald Gefallen an einer größeren Farbpalette findet - einfach weil der Kunde sie sich wünscht. Erste Zeichen gibt es. 2008 bekam die Designerin von der Schweizer Firma Vitra, so etwas wie die Luxusklasse unter den Möbelherstellern, den Auftrag, ihren Hopsak-Stoff zu überarbeiten und 13 neue Farben dafür zu entwickeln. Mit dem Flachgewebe aus Polyamid kleidet das Unternehmen viele seiner Designklassiker ein, allen voran den schlanken Aluminium Chair der amerikanischen Designer Ray und Charles Eames, der in jedem Büro, das etwas auf sich hält, seit Jahren zur Standardausstattung gehört. Im Jahr 2014 dann, Jongerius war mittlerweile Art Director der Farb- und Materialwelt von Vitra, gibt es einen neuen Auftrag. Diesmal soll die Gestalterin 29 neue Farben für den Stoff entwickeln, mehr als doppelt so viele wie sechs Jahre zuvor.

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Der Entwurf des Aluminium Chair ist mehr als ein halbes Jahrhundert alt. Die Möbel des französischen Architekten und Designers Jean Prouvé, die Jongerius ebenfalls für Vitra überarbeitet hat, sind noch ein paar Jahre älter. Heißt das also, dass Farbe altert, die Form aber nicht? "Es ist zu einfach zu sagen, dass die Form zeitlos ist und die Farben nicht. Aber natürlich erzählen Farben viel über die Zeit und über die Kultur, in der sie eingesetzt wurden", sagt Jongerius. Sie selbst zum Beispiel weiß nie genau, welche Farben der amerikanische Markt mag. "Seit 15 Jahren arbeite ich für die US-Firma Maharam. Immer noch komme ich mit einer großen Farbpalette, und dann wählen die Leute der Firma die Farben aus, die den amerikanischen Kunden gefallen. Für mich als europäische Designerin ist es schwer, das einzuschätzen."

Als Hella Jongerius an den Entwürfen von Eames und Prouvé saß, ging sie in Archive, überlegte, welche Welt das war, in der ihre Vorgänger entwarfen, wie sie den Zeitgeist von damals zu neuem Leben erwecken könnte. Auch für ihren bislang politischsten Auftrag, die Neuausstattung der "North Delegates' Lounge" im Hauptquartier der UN in New York, recherchierte sie zum Haus und seiner Historie. Sie fand viel Grün und Blau - und verwandelte die ehemals nüchterne Halle in eine spielerische Landschaft aus Möbeln mit sanften Rundungen und Farben, die an Wald, Wasser und Erde erinnert.

Sie hat keine Lust auf das Marktschreierische ihrer Branche

Für Hella Jongerius ist genau diese Suche nach Kontexten, nach Verbindungen zwischen Gegenwart und Geschichte die einzige Art, wie Produktdesign heute noch entstehen kann. "Wir können uns keine Egotrips mehr leisten. Die Frage, die junge Designer beantworten müssen, ist: Was könnt ihr der Welt noch hinzufügen, wo es doch schon zu viel gibt?" Die Gestalterin hat keine Lust mehr auf das Marktschreierische ihrer Branche, das Ausrufen immer neuer Trends, um den Betrieb am Laufen zu halten. "Ich ertrage all die bedeutungsleeren Worte nicht mehr. Wir Designer haben eine Verantwortung. Wir müssen Produkte entwerfen, die länger halten als nur ein paar Jahre." Das ist ihre Mission. Dafür setzt sie sich ein, mit dem ganzen Ruhm, den sie sich seit 1993 erarbeitet hat, als sie ihr erstes Studio in Rotterdam aufmachte.

Vor acht Jahren ist sie damit nach Berlin umgezogen. Holland wurde ihr zu klein, die Bekanntheit dort zu groß. In Berlin arbeitet sie wieder mit einem kleinen Team. "Ich wachse lieber in die Tiefe." Hella Jongerius will die Art und Weise verändern, in der Industrieprodukte hergestellt werden. Sie will ihnen eine menschliche Spur einschreiben, die Handarbeit, die darin steckt, sichtbar machen.

Wie, das hat sich nicht verändert, seitdem sie angefangen hat, Dinge zu entwerfen. "Ich beginne nie mit einem weißen Blatt Papier, das ist nicht meine Art." Ihre Farbe vermutlich auch nicht.

© SZ vom 25.07.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: