Porträt:Wie es ihr gefällt

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Modeln war letztlich nichts für sie, aber sie kann es natürlich noch: Alexa Chung im Münchner Hofgarten, sie trägt Mantel und Kleid ihres eigenen Labels. (Foto: Natalie Neomi Isser)

Model, Celebrity, Unternehmerin: Alexa Chung sieht in jeder Rolle gut aus. Die Geschichte einer Frau, die Mode mit großem Spaß verbindet.

Von Tanja Rest

Eigentlich mag man ja solche Frauen nicht. Die schon großartig aussehen, wenn sie morgens mit zerwühlten Haaren, abgesprungenem Nagellack und dem verlaufenen Make-up vom Vorabend aus dem Bett kriechen. Die sich auf dem Weg zum Bäcker ein schnelles Outfit überwerfen, für das sie dann in Stilblogs gefeiert werden. Die mit genau den richtigen Leuten aus den Sparten Mode, Musik, Film, wahre Welt in der optimalen Abmischung befreundet sind, mindestens einen Rockstar gedatet haben und nur auf den wirklich guten Partys auftauchen, wo sie auch noch ernsthaft aussehen, als hätten sie Spaß. Frauen wie Alexa Chung eben, die das coole, hippe Fashion-Leben so vorschriftsmäßig zelebrieren, dass es schon wieder nach Strebertum riecht. Man findet sie anstrengend.

Mit Ausnahme von Alexa Chung natürlich. Die findet man super.

Erklärungshalber eine Episode aus München, wo die Frühjahrssonne an diesem Tag so flamboyant vom Himmel leuchtet, dass sie bei Schumann's spontan den Hofgarten bestuhlt haben. Lange Tafel, weißes Tischtuch, Wiesenblumensträußchen. Eine Instagramkulisse mit freundlichen Grüßen vom Onlinehändler Mytheresa, für 15 Gäste und einen Stargast.

Sie ist neugierig auf Menschen, die nicht sie selbst sind ???--: eher ungewöhnlich in ihrer Branche

Früher Nachmittag. Die britische (totgedrucktes Wort, aber bei ihr stimmt es) Stilikone Alexa Chung hat zu diesem Zeitpunkt schon etliche Fashion-Sünden begangen. Sie hat, nachdem sie bereits Vorspeise und Hauptgang gegessen hat, auch den Käsekuchen anstandslos verdrückt. Sie hat dazu zwei Gläser Weißwein getrunken und drei Camel Lights geraucht. Alle am Tisch wissen, dass sie am nächsten Abend zwar als Markenbotschafterin zu einer Gala von L'Oréal in Paris geladen ist, aber keinen Schimmer hat, was genau der Anlass ist ("must google it"). Sie hat außerdem ein bisschen gesungen, die Wiesenblumen zerpflückt und von Stefan, Andi und Klaus erzählt.

Das war der Tag zuvor. Sie war mit einem Kamerateam in München unterwegs gewesen und hatte hintereinander weg im Hofbräu-Garten Bier getrunken, im Jagd- und Fischereimuseum das Wort "Wolpertinger" aufgeklaubt sowie einen Vintage-Store im Glockenbach aufgesucht: 25 000 Instagram-Likes für Alexa mit Hut und wollweißem Musselin-Kleid. Abends lief sie dann vom "Bayerischen Hof" noch einmal los in der Absicht, Luft zu schnappen und endlich allein zu sein. Sie kam bis zur "Tabacco Bar" (für nicht Ortskundige: 50 Meter Luftlinie). Dort saßen Stefan, Andi, Klaus und vier andere, fünf Minuten später mochten sie sich.

Jetzt kann man sagen: Ja klaaar, was sonst sollte Alexa Chung, solo ins "Tabacco" stolpernd, auch groß anderes passieren als sieben Männer? Sie besteht aber darauf, dass es nicht so war. "Es war ein Missverständnis! Der eine dachte, ich sei mit den anderen da und umgekehrt, und als wir das herausgefunden haben, waren wir schon Freunde." Riesiges Strahlen. "Ich habe sie für heute Abend zur Mytheresa-Party eingeladen. Sie kommen!"

In Kürze wird man auf Alexa Chungs Stilgefühl und ihre doch beträchtliche Schönheit zu sprechen kommen müssen. Vorab aber schon mal dies: Sie ist nett. Sie ist sehr, sehr lustig. Und sie ist zweifellos neugierig auf Menschen, die nicht sie selbst sind. In der Branche sind das schon mal drei Unique Selling Points. Die halbe Miete, wenn du dich von der Rotte der It-Trüffelschweine unterscheiden willst.

Dafür, dass sie erst 35 Jahre alt ist, kommt sie einem wie eine Veteranin vor. Als sei sie immer schon da gewesen in dieser verrückten, zunehmend hohl drehenden Welt namens Mode. "But I started pre-social-media", sagt sie, "no tricks!" In ihrem beruflichen Portfolio ist sie als Model, Moderatorin, Autorin und Designerin gelistet, was nach grobem Unernst klingt. Alles ein wenig, nichts wirklich. Doch wenn sie hier und da auch mal ein Projekt in den Sand gesetzt hat: Kein Mensch kann behaupten, sie hätte nicht wirklich hart gearbeitet, seit sie im Alter von 16 Jahren im Comedy-Zelt des Reading Festivals von einem Modelscout entdeckt wurde. Alexa Chung im Frühjahr 2019, das ist eine nahezu bruchlose Erfolgsgeschichte.

Dass sie am Ende kein Model sein wollte, oder nicht nur Model, passt zu ihr. So, wie das "Tabacco"-Missverständnis zu ihr passt oder eine andere Anekdote, die sie dem Guardian erzählt hat: Wie sie sich auf einer Party auf dem Raucherbalkon ausgeschlossen hatte und Taylor Swift nur deshalb barmherzig die Tür geöffnet habe, weil Pixie Geldof auch draußen stand.

Als sie dem Laufsteg Lebewohl sagte, begann ihre eigentliche Karriere

Es ist bestimmt nicht das schlimmste Schicksal, mit sehr grünen Katzenaugen, einem makellosem Teint und langen, dünnen Gliedern in Privett, Hampshire, geboren worden zu sein. Aber was sie definitiv nicht will, ist auf ein Podest gestellt und angestaunt werden. Die Alexa im Alexa-Narrativ ist deshalb immer eine nur minderberühmte Dilettantin, die in haarsträubende Situationen gerät, aus denen sie sich dann auf die schnodderigste Weise und höchst unterhaltsam wieder hinausrettet. Ihr nächstes Erfolgsgeheimnis: Sie schüchtert die Leute nicht ein. Das Modeln schmiss sie nach vier Jahren, weil es ihr "ein verzerrtes Köperbild" bescherte und ihre Selbstachtung beschädigte. Hatte sie nicht auch etwas zu sagen? In diesem Moment exakt begann ihre Karriere.

Sie moderierte Pop- und Modesendungen in London und New York. Tauchte in Musikvideos auf. War ein paar Jahre lang mit dem Sänger der Arctic Monkeys zusammen. Ging in niemals langweiliger Garderobe auf all die richtigen Partys. Schrieb ein Buch über guten Stil ("It"), lief hier und da noch über den Laufsteg, wurde das Gesicht diverser Labels und entwarf als Gastdesignerin höchst erfolgreich Taschen, Brillen, Schuhe, Mäntel, Jeans, die sie im richtigen Leben allesamt auch trug. Irgendwann war sie über die Grenzen Großbritanniens hinaus bekannt, und selbst da liefen ihre Anfragen nach luxuriösen Outfits für den roten Teppich oft ins Leere.

"Ich habe bei Balmain angefragt: Könnt ihr mir ein Kleid des neuen Designers leihen? Sie sagten nein. Also habe ich mir ein Vintage-Paillettenkleid gekauft und den Saum abgeschnitten. Ich habe bei Miu Miu angefragt: Könnt ihr mir etwas aus eurer Circus-Kollektion leihen? Sie sagten nein. Also haben ich mir einen Kragen gekauft und ihn mit einem meiner alten Kleider kombiniert." In beiden Fällen landete sie auf Platz eins der Vogue-Best-Dressed-Liste. Von 2011 bis 2013 gewann sie legendärerweise dreimal in Folge den British Style Award. Heute bekommt sie die Kleider, die sie haben will.

Man muss um die Kunst, sich zu kleiden, kein unnötiges Aufhebens machen. Es ist weiß Gott nicht Astrophysik. Andererseits muss man das auch erst mal hinbekommen: aus dieser Kumuluswolke von Looks, die das Luxusbusiness allwöchentlich auf die Menschheit niederregnen lässt, ergänzt um ein Textilmeer von Topshop, Zara & Co., nicht zu sprechen von all den Teilen, die aus früheren Dekaden übrig geblieben sind - aus diesem unfassbaren Wust von Kleidung also ein Outfit zusammenzustellen, das nicht nur gut aussieht und zu einem passt, sondern sich dazu noch charismatisch abhebt von all den anderen Leuten in all den anderen Outfits.

Im Münchner Hofgarten singt sie noch einen Song, mit ihrem brunnentiefen Alexa-Timbre

Und Alexa Chung kann das. Sie kann das so gut, dass es eine Menge Menschen tatsächlich inspiriert. Es gehört Fantasie dazu, mit Jeans und einem Hoodie anzufangen und dann zu erkennen, dass hier noch Glitzerpumps, eine perlenbesetzte Tasche und ein bodenlanger Kunstpelzmantel fehlen. Oder dass der Leo-Mini aus dem Secondhandstore mit einer weißen Bubikragenbluse und spitzen Ballerinas von Valentino hinreißend wäre.

Ihre Outfits sind gerne etwas retro und spontan - Leute, die sich beim Anziehen zu sehr angestrengt hätten, langweilten sie, so steht es in ihrem Stilbuch. Was streng betrachtet natürlich der Gipfel der Eitelkeit ist: großartig aussehen und sich dann nicht mal bemüht zu haben. Als man ihr das hinreibt, rudert sie zurück: Ein klein wenig anstrengen müsse man sich schon. Aber es sei nun mal so: "Ich denke morgens beim Duschen über mein Outfit nach, dann ziehe ich mich an und verlasse das Haus. Ich kann es nicht ändern."

An diesem Tag trägt Alexa Chung ein weißes Baumwollkleid mit hoher Taille und einen camelfarbenen Mantel, beides von Alexachung. So heißt ihr Label, vor zwei Jahren hat sie es gegründet. Es war nach allem, was sie zuvor angestellt hatte, nur folgerichtig: "Fünf Tage mit dem Mulberry-Team, danach filmen mit MTV, drei Tage mit Marks & Spencer, gefolgt von einer Woche mit J. Crew. Und alle diese Kollaborationen liefen gut, aber mich hat es zerrissen. Nun habe ich alles unter einem Dach zusammengeführt." Die aktuelle Kollektion ist sehr sie selbst, aber dann auch wieder nicht so, dass es wie Persiflage aussieht: kein navyblauer Pulli, kein Bubikragen, kein einziger Chelsea Boot in Sicht. Der Branchendienst Business of Fashion bescheinigte ihr stattdessen eine angenehm "schrullige, feminine Interpretation klassischer Designs".

Jetzt ist sie also Arbeitgeberin, verantwortlich für Produktion, Vertrieb, Marketing, 26 Angestellte und eine Laufstegshow auf der London Fashion Week. Wo sie zehn Jahre lang mit wippendem Bein in der Front Row saß. Ein Standortwechsel in jedem Sinne des Wortes. Manchmal muss sie auf den Tisch hauen und verlangen, dass die Dinge bitteschön genau so gemacht werden, wie sie das will. Es kostet sie Überwindung. "Aber ich kann das, nur keine Sorge. Obwohl ich es natürlich immer netter finde, wenn alle Spaß haben zusammen."

Am Tisch im Hofgarten hat sie aus schierem Übermut ein paar Zeilen aus einem Nico-Song gesungen - I've been out walking, I don't do too much talking these days - mit dem brunnentiefen, heiseren Alexa-Timbre, von dem man gar nicht weiß, wo in diesem schmalen Körper es seinen Hallraum findet. Feine Stimme übrigens. "Aber begrenzt, nach oben hin. Man kann nur hoffen, dass ich niemals um Hilfe rufen muss. Es käme nur ein Grollen heraus." Hoffen wir das Beste.

© SZ vom 13.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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