Porträt:Aus einer anderen Zeit

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Alber Elbaz war ein Star der Modebranche, aus Lanvin machte er ein glänzendes Unternehmen. Bis er gefeuert wurde. Warum fällt einer der kreativsten Designer weltweit so einfach aus dem System? Ein Treffen.

Von Tanja Rest

Es ist Couture-Woche in Paris, und obgleich der Modetross in diesen Tagen von Show zu Show, von Meeting zu Meeting eilt, hat er sich im Untergeschoss des Palais de Tokyo doch geschlossen eingefunden zum Lunch. Die Chefredakteurinnen sind da, die bedeutenden Modekritiker, die Einkäufer der großen Department-Stores. Das ist zunächst einmal erstaunlich, wenn man bedenkt, dass es hier nur um eine Capsule Collection geht, ein paar Schuhe und Taschen, wenn auch aus dem eleganten Hause Tod's.

Die Italiener haben eingedeckt wie für ein Familienfest. Die Tische sind beladen mit Oliven und bröckeligem Parmesan, mit Platten voll Mailänder Salami, Mortadella und allerfeinstem Parmaschinken. Modeleute sind immer hungrig und anders als ihr Ruf auch durchaus bereit, im Angesicht eines köstlichen Mahls zwei Augen zuzudrücken. Das erklärt ihre Anwesenheit aber immer noch nicht wirklich. Schon eher der Mann, der mitten im Raum steht und seine Rede vom Blatt abliest.

Er ist jetzt 58 Jahre alt. Geboren in Casablanca, aufgewachsen in Israel, wo er auch den Militärdienst absolvierte, bevor er sich an der Designschule in Ramat Gan einschrieb. Kleine, ungeheuer rundliche Statur, neuerdings blonde Haare. Auf seiner Nase sitzt eine gewaltige Sonnenbrille, sein Körper steckt in einer zeltartigen Jacke, Flatterhemd und knöchelkurzen Hosen, zu denen er wie immer keine Socken trägt. Er sei sehr bewegt, hier zu sein, sagt er in die gerührte Stille hinein. "Es ist eine Weile her. Es gab ein paar glückliche Momente und ein paar nicht so glückliche, aber so ist das Leben. So ist das Business." Das ist der Mann, dem in Paris die Herzen zufliegen wie sonst keinem anderen. Der berühmteste Arbeitslose der Mode. Der Designer Alber Elbaz.

"Es gab ein paar glückliche Momente und ein paar nicht so glückliche, aber so ist das Leben."

Die Branche hat am Auf und Ab seines Lebens heftig Anteil genommen. Wie er 1998, auf Wunsch des scheidenden Yves Saint Laurent, dessen Designposten bekam und nach drei Saisons aus dem Amt befördert wurde von Tom Ford, der mit der Gucci-Gruppe das Haus übernahm und sich selbst den Kreativjob zuschanzte. Ausgerechnet Tom Ford! Der in jeder Hinsicht sein Gegenteil ist, nicht übergewichtig, nicht unsicher, ein schöner, geschmeidiger Mann mit tödlichem Instinkt für Sex und das große Cool. Elbaz tauchte ab, erwog ein Medizinstudium. Und dann tauchte er im Jahr 2001 wieder auf. Bei Lanvin.

„Ich muss mich sehr in eine Kollektion hineinvertiefen, um es richtig hinzubekommen", sagt Alber Elbaz. (Foto: Anthony Ghnassia / WireImage)

Lanvin vor Alber Elbaz war auf kleinerer Flamme das, was Chanel vor Karl Lagerfeld gewesen war, ein aus der Mode gekommenes Couturehaus ohne Hoffnung auf bessere Tage. Er küsste es wach wie ein schüchterner Galan, und das Ergebnis war spektakulär. Wer in den Nullerjahren nach Paris kam, traf Redakteurinnen, denen allein beim Wort Lanvin Tränen der Gier in die Augen stiegen. Elbaz feierte in seinen Kollektionen die moderne Frau, die nicht nur begehrt, sondern auch geschätzt werden will, er tat dies mit einem messerscharfen Wissen um die hohe Schneiderkunst und einem traumwandlerischen Gespür für amüsante oder sinnliche Details.

Die Lanvin-Show war das heißeste Ticket der ganzen Fashion Week, und nicht nur der Kleider wegen. Man wurde regelrecht umarmt, wenn man am Abend eines langen Schauentages das Atrium der École des Beaux-Arts betrat und Getränke und kleine Snacks serviert bekam. Auf dem Laufsteg liefen die teuersten Mädchen in den begehrenswertesten Outfits, in Reihe eins saßen die angesagtesten Stars und Catherine Deneuve, die mit Todesverachtung Popcorn mümmelte. Und dann kam er, Alber ohne Socken. Rund, schwitzend, hypernervös, insgesamt total durch den Wind, und wurde von seiner Freundin, der Großkritikerin Suzy Menkes, behutsam wie ein rohes Ei durch ein Interview geschleust. Er redete in seiner Aufregung stets großen Stuss. Aber die Mode huldigte ihm dafür nur umso mehr.

Alber Elbaz fand bei Lanvin nicht nur eine Bühne, auf der er sein Können vorführen durfte, und ein Publikum, das ihn liebte. Er fand in den Ateliers des ältesten französischen Couturehauses auch eine Familie. Elbaz und Lanvin, das war eine Einheit mit märchenhaften Zuwachsraten. Bis er sich mit der taiwanesischen Mehrheitseigentümerin überwarf und im Oktober 2015 die Rechnung bekam, ein Paukenschlag, der noch im kleinsten Kämmerchen der allerniedrigsten Näherin nachhallte: Ist es wahr - Alber, gefeuert ...?!

Zuletzt hat Alber Elbaz Schuhe und Taschen für Tod’s designt. (Foto: Tod's)

Lanvin hat sich von dieser Trennung bis heute nicht erholt. Elbaz auch nicht.

Im Palais de Tokyo werden nun die Lichter gedimmt, auf Videoscreens läuft der Spot zur "Tod's Happy Moments by Alber Elbaz"-Kollektion: Tanzende junge Menschen in den typischen Slippern und Mokassins des Hauses, nur dass sie hier besonders bunt und breitsohlig geraten sind; durch alle Einstellungen wuselt Elbaz himself mit roter Fliege und staunenden Augen, er sieht aus wie Charlie, als er zum ersten Mal die Schokoladenfabrik erblickt. Ein dicker Junge in seinem Element.

Natürlich ist einer wie er nie ganz und gar arbeitslos. Vor seinem Einsatz bei Tod's hat er auch Taschen für LeSportsac und einen Duft für Frédéric Malle entworfen. Aber einen festen Designjob für ein großes Haus: Den hat er bis heute nicht bekommen, obwohl ihn die Branche bei jeder Gelegenheit ins Spiel brachte. Als Raf Simons 2015 bei Dior hinwarf, hieß es, Elbaz sei im Rennen. Als Riccardo Tisci 2017 Givenchy verließ, wurde sein Name abermals genannt. Als Phoebe Philo wenig später bei Céline aufhörte, sagten die Leute, nun werde es allmählich Zeit für Alber. Doch als das Jahr 2018 anbrach und er seine guten Vorsätze auf Instagram postete, stand da neben "Lose Weight" immer noch: "Find Job". Den Designposten bei Chanel hat er trotzdem nicht gekriegt.

"Wer braucht all diese Kleider? Tausende und Abertausende Kleider!"

Nach der Videopräsentation - Suzy Menkes, Vogue-Chefredakteur Edward Enninful und Tod's-Boss Diego Della Valle haben eben noch ihre Aufwartung gemacht - sitzt man ihm schließlich gegenüber. Er sieht, vorsichtig formuliert, nicht glücklich aus. "Ich bin erschöpft", sagt er mit schwacher Stimme. "Gestern war ich so voller Adrenalin, dass ich erst um vier Uhr schlafen konnte. Und jetzt, puh ... Wenn ein Projekt vorbei ist, sehe ich nur noch die Fehler." Um ihn etwas aufzubauen, sagt man, dass die Schuhe aber doch sehr fein gearbeitet seien und sicher auch irre bequem. Ein Seufzen, er sieht jetzt richtig elend aus. Man möchte ihn unverzüglich in den Arm nehmen und fest drücken. Elbaz hat diese Wirkung auf Menschen.

"Ich bin kein Schuhdesigner", sagt er schließlich, "das ist nicht das, was ich gelernt habe. Ich bin Modedesigner, ich arbeite mit Stoffen. Verstehen Sie?" Die beiden PR-Damen von Tod's, die mit am Tisch sitzen, hören exakt in diesem Moment auf, in ihre Handys zu tippen. Sein jüngstes Kleidungsstück, erzählt er ungerührt weiter, habe er vor einer Woche fertiggestellt. Ein Hochzeitskleid für eine Freundin, sein dreißigstes. "Alle 29 Frauen, die in einem Kleid von mir geheiratet haben, sind heute immer noch verheiratet. Wie hätte ich ihr die Bitte abschlagen können?" Er schwärmt dann natürlich auch von Diego Della Valle, der Arbeit mit dem Tod's-Team in Italien, überhaupt von der Freiheit, sich seine Auftraggeber aussuchen zu können. Aber die Frage steht im Raum: Wie kann es sein, dass einer der besten Modedesigner überhaupt jetzt Schuhe entwirft?

Ein Schuh aus der Kollektion für Tod's. (Foto: Tod's)

Es gibt darauf eine kleine und eine große Antwort. Die kleine Antwort geht so: Ausgerechnet der italienische Schuhspezialist Tod's hat den Sneakertrend verpasst, und das hat sich in den Umsätzen zuletzt sehr unschön niedergeschlagen. Man braucht jetzt dringend einen Kassenknüller, am besten eine Nummer sicher vom meistvermissten Meisterdesigner der Gegenwart. Und Elbaz hatte im Moment eben nichts Besseres vor. Die große Antwort besagt, dass sich in den Jahren, in denen er seine Wunden leckte, die Mode verändert hat. Es ist nicht mehr zwangsläufig meisterhaftes Design, das Geld verdient.

Worauf die Millennials vor ihren Instagram-Accounts gerade anspringen, ist der sich selbst feiernde Hype. Ein neues, noch unverbrauchtes Gesicht, das ein extremes und sofort kenntliches Produkt im Angebot hat - backsteingroße Sneaker, mit Strass verkrustete Klamotten, ultrarockige Streetwear, die ganze Klaviatur von Weirdness eben. Und Alber Elbaz sowie seine kleine Kollektion für Tod's sind all dies exakt nicht. Sie wollen nicht cool sein, sondern fröhlich, sie wollen nicht schockieren, sondern gefallen. Ob das funktionieren wird? Schwer zu sagen.

Schon während seiner Zeit bei Lanvin hat Elbaz beklagt, Kleider müssten heute schreien, um gesehen zu werden. Er hat das immer schneller rotierende Produktkarussell gegeißelt - sieben, acht, neun Kollektionen im Jahr, wie solle das seriös zu schaffen sein? Man fragt ihn, wie er jetzt auf das Geschäft blickt, mit dem Abstand von vier Jahren. Er sagt: "Ich glaube nicht mehr an dieses System." Wirklich, inwiefern? "In der Mode gehen wir nicht mit der Evolution, sondern mit der Revolution. Und es ist die Revolution, an die ich nicht glaube. Ich glaube an Recherche."

Er ist bei diesem Thema, das sieht man, in seinem Element. "Wissen Sie, ich fühle mich ein wenig wie der Daniel Day-Lewis der Mode: Ich muss mich wirklich sehr in eine Kollektion hineinvertiefen, um es richtig hinzubekommen. Doch man findet keinen Raum mehr dafür. Und es ist schon schwierig genug, Raum für mich zu finden - weil ich übergewichtig bin."

Nach seinem Rausschmiss bei Lanvin musste er das Leben eines Nicht-Workaholics erst wieder erlernen. Das habe Jahre gedauert, sagt er. Er habe auch lernen müssen, Langeweile zu ertragen. "Heute weiß ich, dass sie mich nicht umbringt." Er reiste, begegnete Menschen, unterrichtete Modeschüler, ging spazieren. Ihm fiel auf, dass er in den Jahren der Totalbeschleunigung die Details übersehen hatte. Zum ersten Mal seit langer Zeit betrachtete Elbaz die Leute auf der Straße. "Und ich war völlig überrascht. Wer braucht all diese Kleider? Tausende und Abertausende Kleider! Und gleichzeitig reden alle von Nachhaltigkeit, da stimmt doch etwas nicht."

Gut möglich, er träumt insgeheim immer noch von seinem nächsten großen Designjob. Mindestens genauso gut möglich aber auch, dass er meint, was er sagt: "Meine Freiheit aufgeben und wieder zurück in dieses System? Das wäre, als würde man jemanden heiraten, den man nicht liebt. Und es ist ja Liebe, die ich suche."

© SZ vom 03.08.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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