Oldtimer und Architektur:Rasender Stillstand

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Auto trifft Haus: In einschlägigen Magazinen und Designforen wird diese Kombination bildmächtig zelebriert. Besonders beliebt bei Immobilienfirmen ist Werbung mit formschönen Oldtimern.

Von Gerhard Matzig

Da kannst du mal sehen, was passiert, wenn man den Porsche gegen ein E-Bike eintauscht." Wolf D. Prix, Chef des Wiener Architekturbüros Coop Himmelb(l)au und einer der bekanntesten Architekten der Gegenwart, begrüßt den Reporter, indem er ihn mit der Krücke wie mit einer Waffe fixiert. Das ist jetzt ein paar Tage her. Man traf sich in Linz, wo Prix sein neuestes Werk, ein Museum von skulptural-suggestiver Schönheit, vorstellte. Der 74-Jährige lacht also dieses sehr prixhafte und sehr charmant wienerische Mirdochsowurschtlachen, dann sagt er: "Man soll halt nicht Fahrrad fahren. Zu gefährlich."

Um diesen Witz in seiner ganzen Boshaftigkeit zu begreifen, ist es ganz gut, wenn einen Prix ein paar Monate zuvor in seinem Wrooooaaar-Porsche durch halb Wien - chauffiert? - eher wohl geschossen hat. Sehr grün im Gesicht stieg man seinerzeit aus, umarmte weinend die Straßenlaterne und schwor sich, nie wieder zu Prix ins Auto zu steigen. Zu gefährlich.

Es gibt viele Baukünstler wie Prix, die ihr Auto lieben. Der Berliner Architekt Arno Brandlhuber, 53, fährt beispielsweise ein sehr spezielles Fiat-Coupé, das aus den Achtzigern stammt und noch von Chris Bangle gestaltet wurde. Am Markt war das Auto ein totaler Flop. Gerade das gefällt Brandlhuber, den man sich als eine Art Florence Nightingale der Dingwelt vorstellen kann. Er mag das Verletzte, Versehrte, Kaputte, Gefloppte.

In Krampnitz hat er aus einer alten Unterhosenfabrik der DDR, als Fabrik ein Flop, die wohl bizarrste Immobilie Deutschlands gemacht. Haus Brandlhuber ist die "Anti-Villa", wie er sagt. Davor stellt er sein Auto an diesem Tag so ab, dass sich Ex-Unterhosenvilla und Retro-Bangle zu einem grandiosen Bild einer eigenartigen Synästhesie verbinden.

Architektur und Automobil: Das ist eine einerseits merkwürdige und andererseits irgendwie völlig logisch erscheinende Liebe. Als Experten der Immobilität (denn die Häuser, die Architekten entwerfen, haben normalerweise keine Räder, kein Gaspedal und kein Lenkrad) sehnen sich die Planer womöglich grundsätzlich nach den Ikonen des Unterwegsseins, der Mobilität und der schieren Möglichkeit, planlos auf und davon zu brausen. Das Fahren und Beweglichsein ist ein Antidot zu ihrem beruflichen Auftrag, Häuser im Sinne Vitruvs "standfest" und "dauerhaft" zu errichten. Unverrückbar. Felsenhaft. Immobil.

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(Foto: Mercedes-Benz Classics)

Ein ikonisches Bild, 1928: Der Mercedes-Benz 8/38 PS Roadster in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung, die stolze Fahrerin wirkt dabei so modern wie das Ambiente.

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(Foto: Martin Gardner für Strom Architects)

Ein Oldtimer soll dem neuen Anwesen The Quest im englischen Swanage Glamour verleihen.

Komplett abgestimmt: Ein roter Ford Mustang glänzt vor transparenter Einfahrt in einem geziegelten Loft in Melbourne.

Ein Jaguar E-Type Coupé vor der niederländischen Villa SG 21 der Architekten Fillié Verhoeven.

Frank Lloyd Wright übrigens, der große amerikanische Architekt vom Anfang der Moderne, schraubte gern Auto-Rückspiegel ab, "weil ich nicht wissen will, woher ich komme, sondern wohin ich fahre".

Der französische Philosoph Roland Barthes schrieb vor einem halben Jahrhundert, dass unsere Autos der Gegenwart eigentlich so etwas seien wie die Kathedralen der Gotik: Sakrale Formen der Baukunst, die man anbeten und verehren könne. Na ja. Sagen wir so: Das neue Mercedes GLE Coupé, das aussieht wie ein Froschlurch, der an schwerer Adipositas leidet, ist damit nicht gemeint.

Im Netz in den einschlägigen Designforen und in den üblichen Schöner-Wohnen-Gazetten fällt jedenfalls ein Trend auf: Da stehen vor den Villen immer öfter die Autos der Vergangenheit. Es ist eine besonders auffällige Form von "Home-Staging". Dieser Begriff kommt aus der Immobilienwirtschaft und umschreibt eine Marketingstrategie zum besseren Verkauf von Häusern und Wohnungen. Offensichtlich lassen sich besonders smarte Architekturen gut ins rechte Licht rücken, indem man das richtige Vehikel dazu- oder davorstellt. Das Auto verleiht dem Haus keine Flügel. Aber Räder.

So steht beispielsweise der grün schimmernde Aston Martin Vantage, dessen Baujahr man auf die frühen Siebzigerjahre schätzen kann, in all seiner Dynamik und Wassertropfenherrlichkeit vor der 2016 nach einem Entwurf von Magnus Ström und Emma Ward-Lambert an der Südküste von England erbauten Villa. Man weiß nicht genau, ob die schöne Bruchsteinmauer, die das Haus "The Quest" fast schweben lässt, dem Carport unter dem Bungalow dient - oder einfach der perfekte Hintergrund für ein sensationell schönes Auto ist. Oder umgekehrt: Ob das Auto der perfekte Vordergrund für die Rasanz der Architektur ist. Beides steigert sich jedenfalls wechselseitig zu einer Art stillstehender Raserei. Schön ist das.

Der silbern schimmernde Jaguar E-Type passt mit seiner amourös aufgeladenen Metrosexualität, die aus der phallisch extravaganten Form einerseits und aus Chrombrüsten und Blechhüften andererseits besteht, vorzüglich zur strengen, ganz in Schwarz gehaltenen Holzfassade eines Einfamilienhauses. Und im "Garage House", einer in Lissabon zum Wohntraum umgebauten Ex-Garage, steht der Fiat 500 direkt neben dem Bett. Aufwachen und Abfahren: Das ist das Glück.

Eines der berühmtesten Fotos der Architekturgeschichte ist die Referenz dieser aktuellen Haus-trifft-Auto-Bewegung: Es handelt sich um das Doppelwohnhaus, das Le Corbusier 1927 für die Stuttgarter Weißenhofsiedlung erbaute. Das Bild, das einen Mercedes-Benz, Typ 8/38 PS Roadster, davor zeigt, samt junger, selbstbewusster Frau in der Pose der "Damenfahrerin" (wie das damals hieß), ging um die Welt. Es war ein Werbebild des schwäbischen Autobauers, der sich die strahlende Moderne der Architektur zu eigen machte, um seine Autos in den Kontext eines dynamischen und futuristischen Lebensstils zu stellen.

Schon deshalb ist zu fragen, warum das heute umgekehrt läuft: Nicht die Autos werben mit den modernen Häusern - sondern die Häuser werben mit dem Retrolook nicht mehr ganz so moderner Autos, die allesamt das "H"-Kennzeichen verdienen. Eine Antwort wäre erstens die Annahme, dass die Autos heute leider nicht mehr so schön sind wie früher. Der fettsüchtige Froschlurch legt diese Vermutung wirklich nahe. Und zweitens könnte es auch so sein, dass die modernen Häuser heute nicht mehr so elegant sind wie die Moderne-Ikonen von einst. Das Auto, das davor steht, dient dann sozusagen als Fluchtwagen. Nichts wie weg hier. Zurück in eine Zeit, da die Zukunft noch ein Versprechen auf eine andere Ästhetik war.

© SZ vom 04.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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