Neonleuchten:Wenn die Wand schreit

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Comic-Ausruf für die Wohnzimmerwand (Foto: Hersteller)

Neuerdings leuchten uns Neon-Schriftzüge nicht nur in Straßen den Weg. Sie warten auf uns in heimischen Wohnzimmern.

Von Anne Backhaus

In Berlin strahlt es einen zurzeit von allen Seiten an. Neon-Schriftzüge in Mitte-Cafés, Boutiquen und Galerien blitzen auf den grauen Fassaden. "Fühlen ist Hautsache" wirbt ein Kosmetikladen grün glühend an der unverputzten Wand, "SOY" steht in blauen Buchstaben im vietnamesischen Restaurant. Gleich gegenüber leuchtet aus dem Schaufenster des Teppich-Labels Rug Star der Firmenname den Passanten in roten Lettern ins Gesicht.

Seit ein paar Jahren hält das Neonlicht Einzug in die deutschen Großstädte und längst auch in viele private Wohnungen. Das liegt unter anderem daran, dass zwei junge Männer eine Wohngemeinschaft in Berlin gegründet haben. Nils Lehnert und Anthony Genillard, heute beide 25 Jahre alt, lernten sich beim Wirtschaftsstudium kennen und zogen anschließend gemeinsam in die Hauptstadt.

Das ist jetzt drei Jahre her. Es wäre doch super, dachten sie damals, einen Leitsatz für ihr neues Leben an die Wand zu hängen. Neonschrift fanden sie "irgendwie cool", hatten sie in alten Hollywood-Filmen als Bierwerbung und auf der Art Basel als Kunstwerke gesehen. "25 000 Euro für ein Kunstobjekt konnten wir aber nicht ausgeben, also sind wir ganz naiv zu einem Glaser gefahren", sagt Lehnert. "Der sollte uns einfach einen Schriftzug machen, aber er hat uns weggeschickt und riet nur, einen Experten zu suchen."

Sie fanden einen Neonglasbläser. Wenig später hing an ihrer WG-Wand der Spruch "If these walls could talk". Könnten diese Wände sprechen. Viele ihrer Freunde wollten nun auch einen Schriftzug. Lehnert und Genillard kam die Idee für eine eigene Firma: Sie würden möglichst erschwinglich und unkompliziert Neonlampen anbieten.

Unfassbarer Erfolg

Im Jahr 2014 gründen sie "Sygns" und haben nach kurzer Anlaufphase unfassbaren Erfolg. Barbesitzer, Werbeagenturen und Privatkunden ordern bei ihnen. Es sind so viele, dass sie nach und nach Mitarbeiter einstellen, zwölf sind es inzwischen in Berlin, drei in Schweden, denn dort sitzt auch Mitgründer Max Elverfors. Mit internationalen Architekten, Grafikern und Interieur Designern stellen sie Editionen mit Neon-Objekten und -Schriftzügen her, darunter auch Comic-Ausrufe wie "Boom!" oder "Pow!" mit gezackten Sprechblasen drum herum, etwa 500 Euro das Stück. Außerdem entwickeln die beiden einen "Neon-Konfigurator", über den man einen eigenen Licht-Schriftzug online gestalten und direkt bestellen kann. Je nach Größe ist das günstiger.

In ihrem Büro am Michaelkirchplatz in Berlin teilen sich die Angestellten einen Schreibtisch, der sich über einige Meter an der breiten Fensterfront entlangzieht. Darauf ein Durcheinander aus Kabeln, Design-Magazinen, Laptops und Süßigkeiten. Wer hier arbeitet, trägt Holzfällerhemd oder ganz weiße Turnschuhe, Vollbart und einen unordentlichen Haarknoten oben auf dem Kopf. So berlinmittig eben.

Aufruf an den Bewohner (Foto: Hersteller)

Was optisch wie ein klassisches Start-up daherkommt, ist allerdings keins. "Darauf legen wir Wert", sagt Lehnert, der in ernstem Tonfall spricht und Businesshemd trägt. Mit der Gründer-Szene, sagt er, hätten sie nicht viel am Hut. Sie seien zwar jung, aber würden etwas mit Bestand aufbauen. "Das grenzt uns ab." Genillard sagt: "Ich bin jedenfalls sehr glücklich, nicht die zehntausendste App zu entwickeln, sondern etwas zu verkaufen, das der Kunde dann mit Freude an der Wand hat." Dieser Satz trifft den Kern ihres Erfolges wohl am besten.

Neon steht für Nostalgie

Denn kaum ein Produkt ist derartig handgemacht und noch dazu nostalgisch belegt wie Neon. Die Glasröhren werden aufwendig geformt, jede Biegung wird mit dem Mund geblasen. Die Typografie sieht meist aus wie eine artifizielle Handschrift. Und selbst die Elektroden am Lampenende werden vom Bläser in der Werkstatt angebracht. Das gefällt den Großstadt-Gentrifizierern natürlich. Passt super zu Vintage-Sonnenbrille und der neuen Mid-Century-Einrichtung.

Hippes Handwerk für den modernen Sinnspruch-Lifestyle - und das auch noch individuell gestaltbar. Da kann keine Energiesparlampe mithalten. Vor allem nicht mit dem Licht, das ist nämlich - egal, in welcher Farbe - warm und angenehm. Ungefähr so stark wie eine Glühbirne, zwischen 70 und 90 Watt. Und trotzdem schon von Weitem gut zu sehen.

Nicht ohne Grund wurde das Argon-Gemisch in der bunt beschichteten Glasröhre als Leuchtmittel für die Werbung entwickelt. Im Jahr 1912 glüht die erste Neon-Anzeige an einem Friseursalon in Paris. Fünf Jahre später erstrahlt der Haupteingang der Pariser Oper. Auch in Los Angeles wird bald Neon-Werbeschrift installiert, ihr folgen unzählige Schilder in den USA. In den Fünfzigerjahren lösen neue Werbemedien die Leuchtreklame ab, die bald nur noch in alten Bars oder als Hinweis auf ein billiges Hotel zu finden ist. Erst in den Achtzigern lebt Neon-Design wieder auf, beleuchtet plötzlich Diskotheken und hängt als Installation an Galeriewänden. So einfach für jedermann zu haben wie heute, war Neon aber noch nie.

"Dabei gibt es kaum noch Neonglasbläser", sagt Anthony Genillard. Er sitzt im Auto, auf dem Rücksitz liegt der neueste Entwurf für einen Schriftzug. "Casa" steht da, ausgedruckt auf A 2. Genillard fährt Richtung Bergmannkiez. "Wir haben lange nach fähigen Künstlern gesucht. Zehn der letzten Kunstglasbläser Deutschlands arbeiten nun für uns." Er parkt den Wagen in einem Hinterhof, steigt aus und greift nach dem Entwurf. Hier, im Erdgeschoss eines Backsteinbaus, hat Thomas Wendler seine Werkstatt. Der 58-Jährige produziert täglich mindestens zehn Stunden lang Neonröhren. An sechs Tagen die Woche. Vor zwei Jahren kamen die Sygns-Gründer mit dem Ausdruck einer Neoninstallation der britischen Künstlerin Tracey Emin zu ihm und fragten, ob er ihnen so etwas herstellen könnte. "Klar, das habe ich ja für Tracey gemacht", sagte ihnen Wendler. Seitdem sind sie im Geschäft.

Botschaft am Bett (Foto: Hersteller)

"Was soll das denn heißen?", fragt Wendler jetzt und nimmt Genillard das Papier aus der Hand. "Casa. Auf Deutsch Haus." Wendler zieht eine Augenbraue hoch. "Da hat sich jemand was ganz Besonderes ausgedacht, hm?" Und schon dreht er sich um, geht zurück an seine Werkbank. Keine Zeit zu verlieren. In die blaue Flamme seines Brenners hält er eine Glasröhre, bis sie glüht. Sie darf nicht zu heiß, aber auch nicht zu kalt sein, hellrot legt er sie schnell auf ein paar Holzstücke. Darunter liegt ein gezeichneter Schriftzug.

Wendler bläht die Backen. An der Röhre ist ein schmaler schwarzer Gummischlauch befestigt, an dessen Ende ein Mundstück. Da pustet Wendler rein, gleichzeitig biegt er vorsichtig die heiße Röhre, immer entlang der Zeichnung. Mit dem Luftdruck hält er den Durchmesser des Glases konstant. Sonst wäre da nach dem Biegen einfach ein Knick drin. "Es sieht leicht aus", sagt Wendler. "Nur, bis man das richtige Gefühl hat, braucht es ein paar Jahre." Er habe noch fünf Jahre nach seiner Lehre als Glasapparatebläser geübt, bis er richtig gut gewesen sei. Eigentlich kein Wunder, dass das heute niemand mehr lernen wolle.

Geblasene Kunst

Auf Wendlers Werkstatttisch liegen Bücher wie "Contemporary Neon" und "The New Let There Be Neon", die seinen Handwerks-Job wie Kunst anpreisen. Auch er macht eigene Kunstwerke, besonders gerne in 3-D. Das sind dann nicht nur gerade Schriftzüge, sondern zum Beispiel als Blüten und Blätter geformte Neonröhren, die in alle Richtungen aus einem Topf wachsen und wie eine radioaktive Zimmerpflanze vor sich hin glühen.

Seit acht Jahren ist er selbständig, produzierte früher vor allem für Galerien und Künstler. Über die Kooperation mit Sygns hat er einen völlig neuen Kundenstamm hinzugewonnen. Wendler freut sich, nicht nur aus geschäftlichen Gründen. "Es ist wunderbar, dass die Leute sich Kunst zu Hause aufhängen. Wenn sie dann noch von mir geblasen wird und leuchtet, kann es gar nicht besser sein." Auch dass Genillard nur hin und wieder mit Aufträgen kommt, mag der Neonglasbläser. Er sei gern allein, direkter Kundenkontakt nicht so seins.

Wieder im Auto sagt Genillard: "Viele Bläser denken so. Unser Geschäft ist also für alle ein guter Deal. Wir bekommen beste Handwerksqualität, und die Handwerker müssen sich um nichts und niemand anderen kümmern." Auf der Fahrt ins Büro klingelt ununterbrochen sein Handy. Genillard parkt, ruft Lehnert zurück. "Nils, alles klar mit den Bären?" Er geht ein paar Schritte, lächelt, okay, dann bis gleich. Für den Berlinale-Sponsor Audi haben sie mehrere rot leuchtende und metergroße Bärenbilder gefertigt. Dazu gibt es zwei neue Großkunden, inzwischen auch Aufträge aus Dubai und Hongkong. "Aber wir kommen schon irgendwie hinterher", sagt Genillard. Einen Trend muss man heutzutage nutzen, solange es ihn noch gibt.

© SZ vom 26.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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