Modetrend Workwear:Arbeitskluft für moderne Goldgräber

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Blaumänner und Arbeitsjacken kaufen mittlerweile auch viele Menschen, die ihre Freizeit nicht mit dem Schlagbohrer verbringen. Doch ist der "Worker Couture" dieselbe Karriere zuzutrauen wie einst der Mutter aller Arbeitshosen?

Von Georg Etscheit

Engelbert Strauss hat den Trend zur Workwear erkannt. (Foto: Engelbert-Strauss)

Das Geschäft mit Berufsbekleidung machten früher kleine Familienunternehmen, die in ihrer Stadt für ansässige Handwerker, aber auch Ärzte, Kellner und Köche alles bereithielten, was im Job so gebraucht wurde. Heute ist das anders. Berufsbekleidung heißt seit Neuestem "Workwear". Sie wird, dank immer mehr modischer Details, nicht nur bei Arbeitern stetig beliebter. Auch Menschen, die sich im Job ihre Hände gar nicht schmutzig machen müssen, kaufen sie mittlerweile liebend gern, weil sie im Privatleben verstärkt auf funktionale Looks setzen.

Als einer der Ersten hat diesen Trend Engelbert Strauss erkannt. Mit dem Slogan "Enjoy Work" hat die Firma an einer Autobahnausfahrt vor den Toren Münchens ihr bislang größtes Geschäft eröffnet. Dank eines stattlichen Marketingetats und zielgruppengenau platzierter Werbung bei Sportveranstaltungen entwickelte sich das Familienunternehmen aus dem hessischen Biebergemünd zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung zum Marktführer für Berufsbekleidung. Zahlen will man zwar nicht herausgeben, doch gefühlt läuft jeder zweite Handwerker oder Hausmeister in Klamotten mit dem weiß-roten Vogel-Strauss-Logo herum.

Der Katalog des rührigen Unternehmens ist ein dickes Buch mit fast tausend Seiten. Und die Innenarchitekten der Münchner Filiale haben sich allerhand einfallen lassen, um das, was einmal schlichte Funktionskleidung war, möglichst modisch zu präsentieren. Es gibt eine "Holzpaletten-Lounge", "Holzspulen-Tische" und "Baulampen-Kronleuchter" sowie eine zur Discokugel umgedeutete Abrissbirne. Überall hängen alte Bohrmaschinen oder Kettensägen, Accessoires liegen dekorativ in Betonmischern. Die Kunden erwartet sogar eine Kinderabteilung, wo der freizeit- oder berufsmäßig werkelnde Papa den Nachwuchs auf den Geschmack bringen kann. Strapazierfähige Klamotten wie an den Knien verstärkte Jeans Marke "e.s. motion" sollen in manchen Kindergärten schon zur Standardausrüstung tobender Kids gehören.

Berufsbekleidung kaufen neuerdings Menschen, die sie eigentlich gar nicht brauchen

Zwischen den Stellagen und Regalreihen shoppen eher jüngere Menschen. Manchen sieht man an, dass sie gerade vom Bau kommen oder zumindest keiner Bürotätigkeit nachgehen. "Unsere Zielgruppe umfasst im wesentlichen Handwerksunternehmen, private Handwerker und Heimwerker", lässt die Firma schriftlich mitteilen. Es gibt aber auch viele Kunden, von denen man annehmen kann, dass sie ihre Freizeit nicht mit dem Schlagbohrer verbringen.

Ein junges Paar steht etwas ratlos vor einem Stapel Latzhosen für Waldarbeiter. Die beiden machen Urlaub in Bayern und wollen sich nach "etwas Robustem" für Garten und Freizeit umsehen. Einfache Outdoor-Sachen hielten ja oft nicht, was sie versprächen. Und schick aussehen solle es auch. Die Fotos an den Wänden mit kernigen Männern und toughen Frauen in lässigen Arbeitsklamotten lassen keinen Zweifel daran, dass man sich mit Engelbert Strauss auf der Höhe des Zeitgeistes befindet.

Die Forstschnitt-Schutzbekleidung mit ausgestellten Hosenbeinen und verspieltem "Woodprint"-Muster in "Schwarz/Warnorange" gibt keinen Verweis darauf, dass Waldarbeiter auch heute noch einer ziemlich anstrengenden und gefährlichen Tätigkeit nachgehen. "Durch den einzigartigen Charakter und sportlich-dynamische Designs faszinieren unsere Produkte zunehmend auch außerhalb der Arbeitswelt und werden als echte Lifestyle-Produkte vielfältig getragen", schreibt die Pressestelle von Engelbert Strauss etwas gewunden. Trotzdem wolle man "dauerhaft eine Arbeitsmarke bleiben". Eine Gratwanderung.

Denn sogar die High-Fashion hat die Workwear mittlerweile für sich entdeckt. So zeigte Karl Lagerfeld für die aktuelle Kollektion von Chanel einen Overall aus so dickem Tweed, dass man sich darin auch locker an die Werkbank in der heimischen Garage setzen könnte. In der Herrenlinie von Dior gibt es gefütterte Nylonwesten, die über schmale Businessanzüge gezogen werden. Von Saint Laurent kommen dagegen dicke Lumberjack-Jacken aus Fleece. In New York tragen Moderedakteurinnen und Stylisten gerade tatsächlich am liebsten einen Blaumann. Und während der vergangenen Modewoche in Berlin veranstalteten die Blogger von Dandy Diary, David Kurt Karl Roth und Jakob Haupt, eine Fashion-Party in einer Autowerkstatt.

Um das Phänomen der "Worker Couture" ideengeschichtlich und soziologisch einzuordnen, hilft ein Blick in die Vergangenheit. Der Prozess der Demokratisierung von Mode und Bekleidung begann nämlich schon mit der Französischen Revolution. Damals erhoben Vertreter der "Sansculotte"-Bewegung, auf Deutsch soviel wie "ohne Kniehosen", die vom einfachen Volk getragenen langen Hosen zum modischen Erkennungsmerkmal: Ein sichtbares Zeichen der Auflehnung gegen den wadenbestrumpft durch die Welt spazierenden Adel.

Auch Jeans waren ursprünglich mal eine Arbeitermontur. Ebenso die jüngst wiederbelebten Latzhosen, Standardkluft von Ökos und friedensbewegten Frauenrechtlerinnen in den Siebzigerjahren. In den Achtzigern und Neunzigern wurden dann die Handwerkerhosen mit verstärkter Kniepartie und der im städtischen Alltag nutzlosen Zollstocktasche der Detroiter Firma Carhartt in Deutschland populär, ebenso die legendären Elwood-Jeans des niederländischen Fashionlabels G-Star. Die unförmigen Schnitte aus grobem Leinen sprechen eigentlich jeder modischen Verfeinerung Hohn. "Je wohlhabender eine Gesellschaft wird, desto mehr kleiden sich die Leute in Sack und Asche", sagt Gerd Mülller-Thomkins, Geschäftsführer des Deutschen Modeinstituts in Köln. Bis die Workwear die Spitze des modischen Systems erreichen würde, war es also nur eine Frage der Zeit.

Die Funktionsmode boomt deshalb, weil sie sich noch emotionalisieren lässt

Dass nun auch Arbeiter und Handwerker ein gesteigertes Interesse an modischem Auftreten am Arbeitsplatz haben, ist eine neue Entwicklung. Die Mode ist sozusagen in der Baugrube angekommen. Oder in der Küche, wo sich die Köche beim Frontcooking gerne in Schwarz statt in Weiß präsentieren und die Kochmütze, mit der sich noch Paul Bocuse stolz präsentierte, einem Bandana gewichen ist. Das gilt auch für den Service - lange Schürzen in Braun oder Weinrot haben dem klassischen Schwarz-Weiß-Kellner-Look den Rang abgelaufen.

Wie Engelbert Strauss lässt auch Bierbaum Proenen, ein Kölner Anbieter für Arbeitsbekleidung, seine Produkte im Internet von kernigen Männermodels präsentieren. Gleich auf der ersten Seite wird man von einem tätowierten Bartträger in grünem T-Shirt fixiert, der wie ein Krankenpfleger aus einer US-Klinikserie rüberkommt. "Unsere Branche ist die letzte auf dem Sektor der Bekleidung, die noch emotionalisiert werden kann", sagt Marketingleiter Harald Goost. Gerade verkauften sich integrierte Reflexstreifen, auffällige Extras wie Schräg- und Schmucknähte oder Cargotaschen am besten.

Die ungebrochene Lust des deutschen Mannes an technischem Schnickschnack

Die Popularität der Funktionsbekleidung hierzulande, seien es Sportklamotten oder eben Workwear, spiegelt auch die ungebrochene Lust des deutschen Mannes an technischem Schnickschnack. Je mehr Schnallen, Klettverschlüsse und atmungsaktive Stofflagen, umso besser. Über die Thermo-Eigenschaften der neuen Hightech-Jacke lässt sich dann trefflich am Stammtisch oder in der Mittagspause fachsimpeln. "Over engineering" nennt Goost dieses Phänomen durchaus selbstkritisch, das einem auch bei elektronischen Geräten aller Art begegnet. Von deren Funktionen wird oft nur ein Bruchteil regelmäßig genutzt. Aber am Ende geht es um die ästhetische Faszination für das markig Robuste, wie in dem dröhnenden Kinowerbespot von Engelbert Strauss, wo die Models in Windstopperhosen vor zugeschneiten Gipfelstationen posieren.

Auch die Jeans von Levi Strauss war übrigens einst als Berufsbekleidung gedacht. Sie wurde für Goldgräber erfunden. Heute trägt sie so gut wie jeder im Büro. Was das angeht, kann man nur hoffen, dass der Nachname beider Firmengründer die einzige Parallele bleibt.

© SZ vom 27.09.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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