Mode:Wiener Moderne

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Arthur Arbesser gehört zu den gefragtesten jungen Designern. Der Österreicher hat bei Armani gelernt und eine eigene Linie kreiert. Jetzt frischt er die italienische Marke Fay auf.

Von Silke Wichert

Arthur Arbesser wartete nervös auf das Urteil einer Jury, als Marc Jacobs laut rief: „I love your hair!“ (Foto: Stefano Galuzzi)

Marc Jacobs war sofort hingerissen. Da stand dieser junge österreichische Designer vor ihm, einer von acht, die es mit ihren Entwürfen in die Endrunde des renommierten LVMH-Preises geschafft hatten, total nervös ob des Urteils einer Jury, zu der auch Karl Lagerfeld und Raf Simons gehörten. Und dann macht Jacobs den Mund auf und ruft: "I love your hair!"

Arthur Arbesser muss immer noch lachen, wenn er an diesen Moment vor drei Jahren in Paris zurückdenkt, und fährt sich gleich mal durch eben jenes Haar. Nicht unbedingt das Kompliment, das man in so einer Situation hören will. Glücklicherweise sprang Phoebe Philo, die damalige Céline-Designerin, ihm zur Seite, lobte seine durchdachten Entwürfe und seinen mutigen Auftritt. Gewonnen hat Arbesser am Ende nicht, seine damaligen Mitstreiter namens Virgil Abloh und Vetements - heute längst Stars der Szene - übrigens auch nicht. Sein Name jedoch wurde schlagartig bekannt und in die Kategorie "Nachwuchs, den man auf dem Zettel haben sollte" katapultiert. Kurz darauf bekam er die ersten Angebote von großen Häusern. Erst ging er zur Strickdynastie Iceberg, vor einem Jahr wechselte er zur italienischen Luxusmarke Fay.

Das Wort „cool“ fällt einem nicht gleich ein, wenn man an die Marke Fay denkt. Doch Arthur Arbesser hat für die italienische Firma eine trendige Kollektion für den Winter 2019 kreiert. (Foto: FAY)

Wenn man Arthur Arbesser jetzt in seinem Modeatelier in einem herrschaftlichen Mailänder Wohnhaus gegenübersitzt, muss man Marc Jacobs zugutehalten: Diese Haare sind wirklich etwas. Leicht gelockt, deutlich widerspenstig und deshalb ständig in Bewegung. Arbesser befördert sie von einer Seite zur anderen, fährt beim Sprechen hindurch, greift hinein, wenn er überlegt. "Zerstrubbeltes Haar" findet sich in Texten über ihn ungefähr so zuverlässig wie das Attribut "volle Lippen" bei Jean-Paul Belmondo.

Bemerkenswert in der Modewelt ist dieser 36-Jährige aber natürlich noch wegen ein paar anderer Sachen. Er liefert in Mailand regelmäßig bemerkenswerte Kollektionen ab, was keineswegs mehr eine Selbstverständlichkeit in der italienischen Metropole ist. Seine Mischung aus geometrischen Prints, leuchtenden Farben und innovativem Materialmix gewinnt immer mehr Anhänger. Manchmal seien seine Entwürfe noch etwas zu "verkopft" oder "unterkühlt", heißt es gelegentlich von der Kritik. Nicht jede Frau kann einen Pullover tragen, der über und über mit Händen im expressionistischen Stil bedruckt ist. Sie braucht den entsprechenden Kopf und die Haltung dazu. Arbesser selbst empfindet seine Entwürfe im Gegenteil als "total tragbar", gibt aber zu, dass er den Anspruch habe, mit seiner Arbeit mehr rüberzubringen als nur ein Stück Stoff zum Überziehen. Häufig taucht er in Leben und Werk zumeist österreichischer Künstler ein, zuletzt Koloman Moser von den Wiener Werkstätten, um es zu dekonstruieren und in einer modernen, aber nie kurzfristig trendigen Garderobe zu verweben. "Es gibt so viel Produkte da draußen", sagt Arbesser. "Wenn wir mit der Mode nichts mehr erzählen, wozu dann das alles?"

Arbesser ist in Wien geboren, die Mutter ist Pharmazeutin, der Vater Jurist. Kulturelle Bildung sei in seiner Erziehung essenziell gewesen. "Ich kann mich nicht erinnern, dass ich in meinen Sommerferien jemals an einem Pool gelegen habe", erzählt der Designer. Urlaube bestanden vor allem darin, Dinge zu besichtigen, die dann im Auto diskutiert wurden. "Ich habe es gehasst", erinnert sich Arbesser lachend. Heute renne er bei jeder Gelegenheit freiwillig in das nächste Museum. Schon als Fünfjährigen nahm der Vater ihn mit in die Oper, als Jugendlicher sei er geradezu ein "Opern-Nerd" gewesen.

Arthur Arbessers Kollektion für den Winter 2019. (Foto: FAY)

"Arthur weiß alles", heißt es bei Freunden von ihm in Mailand. Arthur sammelt auch alles, sagt sein übervolles Arbeitszimmer. An der Wand hängen Familienbilder mit einem Post-it-Gruß seiner Mutter neben Ausrissen aus Magazinen, über einer Schürze baumelt ein Lebkuchenherz vom Prater, zwischen Kunst- und Fotobänden liegt eine Schallplatte mit dem Soundtrack von Schwarzeneggers Film "Conan der Barbar". Arbesser selbst trägt ein T-Shirt mit einem Elefanten darauf, offenes Hemd darüber, Jeans und Birkenstocks. Angst vor Eklektizismus hat er grundsätzlich keine.

Der Traum seiner Eltern wäre eine Karriere als Rechtsanwalt gewesen. Es kam bekanntlich anders. Immerhin ergatterte der Junge nach dem Schulabschluss gleich ein Stipendium am prestigeträchtigen Central Saint Martins College in London und wurde danach von dem Designer engagiert, dessen Namen auch in den gehobenen Wiener Kreisen jeder kannte: Giorgio Armani. Schnittführung und Gespür für Materialien lassen sich wohl nirgendwo besser lernen, am Ende blieb Arbesser mehr als sieben Jahre im Designteam für Women's Wear. "Ich habe die Zeit sehr genossen", sagt er. Auch bei Armani ließ man den Österreicher nur ungern ziehen, aber eine eigene Kollektion unter eigenem Namen entwerfen - "nichts erfüllt so sehr", sagt Arbesser.

Bei der Mailänder Modewoche waren sie damals noch in der Pre-Alessandro-Michele-bei-Gucci-Ära. Der Showkalender litt an Überalterung, neue Talente wurden dringend gesucht. "Dieser neue Österreicher" sprach sich schnell rum. Als Arbesser 2014 seine erste Show budgetbedingt in der Wohnung eines Freundes zeigte, standen da plötzlich auch die bekannte Modekritikerin Suzy Menkes mitsamt ein paar Chefredakteuren vor der Tür. Menkes beschrieb seine Entwürfe damals als "verblüffend".

Noch ein Grund, warum so viele in der Modewelt beim Namen Arthur Arbesser zuverlässig verzückt reagieren: Wiener Charme gepaart mit dem Understatement eines Vielrumgekommenen. Arbesser hätte auch Diplomat werden können. Er ist so teamorientiert wie unkompliziert - keine Selbstverständlichkeit in der Branche. Deshalb konnte er mit dem großen Giorgio und kann jetzt mit dem großen Diego.

Diego Della Valle ist der Besitzer der Luxusmarken Tod's, Hogan, Roger Vivier, Schiaparelli und Fay. Letztere sind vor allem für Jacken und Mäntel bekannt. Die Ikone ist die "4 Ganci", eine Jacke mit vier Haken, die denen der amerikanischen Feuerwehrleute nachempfunden wurde. Das bisherige Design-Duo versuchte in der Vergangenheit, sich maximal von diesem Erbe zu entfernen und für trendige Hingucker zu sorgen - um in die Läden doch wieder vor allem dunkelblaue Jacken zu hängen. Über Arbessers erste Präsentation für diesen Herbst urteilte Vogue.com: "Drei Worte, die man nie erwartet hätte, jemals zu schreiben: ,Fay's pretty cool'."

In seiner eigenen Linie tritt Arthur Arbesser gewagter auf. (Foto: Driu & Tiago)

Da war man im Headquarter zunächst zwar leicht verschnupft, unter dem Strich aber natürlich hochzufrieden. Häufig müssen sich neue Designer ja erst einmal in die fremde Markenwelt einarbeiten, einen Ton finden, der mit dem eigenen Stil und den Vorstellungen des Hauses korrespondiert. Arbesser legte einfach direkt los. Der Fokus liegt auf Jacken und Mänteln, sogar mit den klassischen "Ganci", aber mit modernem Materialfinish. Kleinkarierter Tweed wurde mit einer Vinylschicht überzogen, Wachsjacken kombinierte der Neue mit Blousons in Metallicfarben, ein Hahnentritt-Mantel wird zum Hingucker, weil der Kragen etwas heller gehalten ist. Vor allem die Herrensachen, die Arbesser für sein eigenes Label ja gar nicht entwirft, dürften bei den Kunden gut ankommen: klassische Trenchcoats, perfekt geschnittene Kaschmirmäntel, Outdoorjacken in Knallfarben, sogar modernisierter Loden findet sich in der Kollektion. Nächsten Sommer wird es erstmals Jeansjacken geben, mit Haken und einem ausgeblichenen Streifen in der Mitte.

Zwei Tage verbringt der Österreicher jetzt jede Woche am Hauptsitz von Fay in der italienischen Region Marken, südöstlich von Mailand. Weitere zwei Tage ist er in Venedig, wo er an der Universität Modedesign unterrichtet. Er findet "den Austausch mit 21-Jährigen unglaublich bereichernd". Es gäbe noch so viel zu lernen, so viel zu entdecken, er sei noch lange nicht fertig. "Der Welpenschutz hält höchstens zwei, drei Saisons", sagt er. "Die Modebranche ist immer auf der Suche nach Neuem. Wenn du nach einer Weile nicht wirklich überzeugst, verlieren die Leute schnell wieder das Interesse."

Übernächste Woche beginnen die Frühjahrsschauen in Mailand. Die erste Show im Kalender muss es schaffen, dass möglichst viele wichtige Leute gleich am ersten Tag anreisen. Der Name der diesmal ganz vorne steht: Arthur Arbesser.

© SZ vom 08.09.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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