Das Patientenhemd spielt eine nicht unwesentliche Rolle in amerikanischen Filmen. Jack Nicholson beispielsweise stolpert in "Was das Herz begehrt" mit offener Rückenfront über den Klinikflur, mit nacktem Hinterteil wackelnd, Diane Keaton im Arm. Sehr lustig, wenn man sich auf dem Sofa die Komödie von 2003 ansieht.
Nicht ganz so filmreif gerät der eigene Auftritt auf dem Krankenhausflur. Schon einmal mit wehendem Flügelhemd über die Station gelaufen? Den mitleidigen Blick der Besucher quittiert? Genau.
Die Parsons School of Design in New York hat sich dieser Baustelle im Klinikalltag angenommen. "Wir wollten an einen Ort gehen, der nichts mit Mode zu tun hat", sagt Brendan McCarthy, der das Projekt an der renommierten Designschule leitet. Und er habe sich die Frage gestellt: Warum spielt Mode in so vielen Bereichen des Lebens eine Rolle, in einer Klinik aber nicht?
Überall hebt sie unser Selbstwertgefühl, sagt McCarthy, unterstützt die Persönlichkeit, aber gerade dann, wenn es uns schlecht geht und wir diese Kraft der Mode bräuchten, werden wir in einen hinten offenen Einheitskittel gesteckt.
McCarthy sieht Design als sozialen Auftrag an, für ihn ist es keine Kunst, die sich selbst genügen darf. Bevor seine Studenten über ein neues Design für ein Patientenhemd nachgedacht hätten, seien sie monatelang in Kliniken gewesen, hätten Ärzte, Schwestern und Patienten befragt. Das Ergebnis: Patienten hassen den Johnny, wie das Hemd auch genannt wird. Sie fühlten sich unwohl darin, was begünstige, sagt McCarthy, dass die Kluft zwischen Arzt und Patient noch weiter vergrößert werde.
Man muss dazu sagen, dass Klinikwäsche in den USA ein sehr großes Thema ist. In Amerika wird Patienten in der Regel im Hospital sofort ein solches Textil ausgehändigt, egal, ob sie Intensivpatienten sind, kurz vor einer OP stehen - oder mit einer harmlosen Prellung die Notaufnahme aufsuchen. Jeden Tag sind dort nach einer Branchenstudie 1,4 Millionen Patientenhemden im Einsatz, die fünffache Menge werde für die Kranken bereitgehalten.
Diane von Fürstenberg hat auch ein Klinikhemd entworfen - natürlich in Wickeltechnik
Ein gigantischer Markt, der auch für Designer interessant ist. Cynthia Rowley zum Beispiel designte bereits 1999 ein alternatives Hemd, es erinnert an ein gestreiftes Hippiekleid. Diane von Fürstenberg entwickelte ebenfalls ein Modell - in Wickeltechnik. Nicht abwegig, schließlich ist das Wickelkleid ihr signature dress. Sie entwarf auf Basis ihrer alten Designs aus den Siebzigern einen figurbetonten Wickelkittel, mit geometrischen Mustern in Grün, Blau und Gelb. Viele männliche Patienten hatten Probleme mit der femininen Note, auch lief das Hemd beim Waschen ein.
Für Irene Lu, die an der Parsons School Design studiert und das alternative Patientenhemd mitentworfen hat, waren Studien wie die von Diane von Fürstenberg wichtig. "Es war uns dadurch klar, dass die Anforderungen an Designer besonders sind", sagt sie. Wenn ein Textil die Großwäscherei nicht überlebt, es zu teuer ist, die Farbe zu auffällig und im Notfall nicht jede Stelle des Körpers schnell aufgedeckt werden kann, wird es nie das Flügelhemd ablösen, sagt sie. Es gehe darum, nicht alles anders zu machen, sondern vieles besser.
So entstand ein Kimono in Hellblau mit überlappendem Rückenschlitz und zusätzlichen Schnitten, die mit Bändern oder Klemmen geschlossen werden. Bettlägerige Patienten können den Kittel andersherum anziehen, damit nichts drückt und das Anziehen unkompliziert möglich ist. Das Designhemd hat den Praxistest in einer Auflage von 5000 Stück in einer Klinik absolviert, nun geht der Prototyp in Serie.
Auch wenn in Deutschland das Flügelhemd nicht so oft zum Einsatz kommt wie in den USA, weil Patienten hier länger Privatkleidung tragen dürfen, fühlen Kranke sich darin unwohl. Das heißt aber nicht, dass sich viele Kliniken Gedanken darüber machen. Fanny Fatteicher aus Rostock weiß das, sie ist Krankenschwester, war in Kliniken und im Dialysezentrum. Sie habe sich immer gefragt, ob es sein muss, dass man im Krankenhaus viel mehr von sich preisgibt, als einem lieb ist. "Für mich ist es eine Frage der Würde", sagt sie. Und der Effizienz. Zugänge im Brustbereich ließen sich mit den alten Hemden schwerer legen.
Also entwarf sie eigene Funktionswäsche, aus schmeichelndem Singlejersey, in Petrol und Weiß, die sie über ihre Firma Meditex vertreibt. Ihre patentierten Modelle haben Öffnungen an Brust, Bauch, Leiste, Arm und Bein. Für eine Behandlung muss sich keiner komplett ausziehen oder halb entblößt bei der Blutwäsche liegen, bei der für Notfälle immer Arm und Brust frei bleiben müssen. Die Uni Rostock hat ihre Modelle getestet, das Kreiskrankenhaus Karlsberg auch, an beiden Orten seien Patienten und Personal begeistert, sagt Fatteicher. Nun wartet sie auf den Großauftrag, bislang bestellen Privatkunden bei ihr.
"Es ist doch verrückt", sagt Fanny Fatteicher. "In Kliniken haben Zimmer längst Fernsehen und schönere Möbel, der Stand der Medizin ist ultramodern - aber über den Flur laufen Patienten noch mit dem alten Flügelhemd."