Mode:Pariser Eigensinn

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Im Revoltenjahr 1968 hat die Designerin Sonia Rykiel alte Zwänge überwunden. Zum Jubiläum zeigt sich die Marke so lebendig wie lange nicht mehr.

Von Anne Goebel

Paris, 1. Dezember 2009, das Grand Palais erzittert unter der Wucht einer Modeparty. Mädchen fahren in Unterwäsche auf Zirkuswagen durch das Publikum. Ein künstlicher Eiffelturm bescheint Champagner-Bars, auf dem Laufsteg eine Rennrad-Equipe aus kreischenden Mannequins und eine Schar echter Gänse. Der übliche Wahnsinn.

Abseits des Tohuwabohus steht, schmal und ernst, eine Frau mit flammend roten Haaren und betrachtet ihr Werk wie eine zufriedene Mutter, die ihren Kindern gerade das tollste Puppenhaus der Welt geschenkt hat. Und alle wollen mitspielen.

Die französische Designerin Sonia Rykiel - Markenzeichen: der Kupferschopf - ist zu diesem Zeitpunkt 79 Jahre alt. Sie trägt Schwarz, wie immer; eine Ikone der Mode von zerbrechlicher, irgendwie unwirklicher Eleganz. An den Fäden ihrer Firma "Sonia Rykiel", einer maison de légende, wie Franzosen die großen Couturehäuser nennen, zieht sie weiter mit. Und die Palais-Sause an diesem Abend - man feiert die Zusammenarbeit mit H&M - soll vorführen, mit welcher Rezeptur Sonia Saison um Saison zu bestricken weiß: Seht her, diese Mode ist überschwänglich und sexy wie die hopsenden Models. Dabei so ausgefallen bohèmehaft wie Madame selbst und in den Fußgängerzonen eine Weile klassenübergreifend zu haben. Kurz gesagt: Freiheit. Schönheit. Verfügbarkeit.

Sie wäre gerne Malerin geworden oder Poetin: "Mein Idol? Bin ich selbst."

Das ach so ungezwungene Pariser Lebensgefühl also als DNA: Damit behauptet sich die Marke Sonia Rykiel seit Jahrzehnten erfolgreich auf dem Markt. Gerade wurde zum fünfzigsten Geburtstag eine 1968er-Gedenkkollektion lanciert, mit der Chefdesignerin Julie de Libran das alte Thema schön ausgelüftet durchspielt - von Hotpants à la Brigitte Bardot bis zum knappen Wollpulli im Garçon-Look. Man kann es erstaunlich finden, dass mit so viel Kolorit auch im grenzenlosen 21. Jahrhundert noch gute Geschäfte zu machen sind. Andererseits steht das Label damit ja nicht allein. So ziemlich jedes Modeunternehmen an der Seine von Alaïa bis Vuitton beansprucht den wolkigen Begriff vom "french chic" seit jeher für sich. Zahllose Lifestyle-Bücher zum selben Schlagwort sind Bestseller. Aber nirgends wird der Bezug zu Paris so offensiv vorgeführt wie in den Kollektionen voller Baskenmützen (lange vor der Neuauflage bei Dior!) und Ringelmuster auf den Runways von Sonia Rykiel.

Dass Paris einfach ein Ort ist, dagegen hätte die Gründerin mit der ewigen Ponyfrisur protestiert. Rykiel, die 2016 im Alter von 86 Jahren starb und auf dem Künstlerhügel Montparnasse begraben wurde, hielt ihre Heimatstadt mindestens für eine Sensation. Und sich selbst für ein ganz außergewöhnliches Gewächs. "Mein Idol? Bin ich selbst", sagte die Tochter aus rumänisch-russischer Familie einmal. Sie wäre auch gern Malerin geworden oder Poetin, Hauptsache berühmt.

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(Foto: Sergio Gaudenti/Sygma via Getty Images)

Grande Dame: Sonia Rykiel, hier 1981, war lange eine der wenigen Frauen im Pariser Modezirkus.

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(Foto: Gamma-Rapho/Getty)

Ein Entwurf von Rykiel aus dem Jahr 1991.

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(Foto: Julie de Libran)

Entwürfe aus der Jubiläumskollektion.

Weil es in der Mode von Leuten wimmelt, die herausposaunte Selbstüberschätzung für normal halten, fiel der Satz nicht weiter auf. Sonia Rykiel hatte aber eine wichtige Bemerkung angefügt: Sie sei ihr eigenes Idol, "weil ich es so entschieden habe." Ihre Karriere von der Amateurin zur anerkannten Designerin begriff sie auch als Geschichte einer Emanzipation. Und erzählte sie in jedem Interview, weil sie halt jedes Mal danach gefragt wurde. Ehegattin, gelangweilt von handelsüblicher Schwangerschaftskleidung, schneidert sich zu Hause empörend enge Strick-Modelle und zieht damit nach der Scheidung ihre erste Boutique im Intellektuellenviertel Saint-Germain-des-Prés auf.

Das ist, ob wahr oder leicht auffrisiert, die perfekte Geschichte für ein Start-up im Revoltenjahr '68. Die Geschäfte laufen in der Rue de Grenelle. Von ihren Kundinnen wird Rykiel geradezu verehrt, als Befreierin, die Frauen ohne BH in gerippte Pullis schlüpfen lässt, in hohe Schuhe zu Flatterhosen. Die Modemagazine küren sie zur "Queen of knits", Königin des Strick, was auf Deutsch etwas bieder klingt, aber den Kern ihrer Entwürfe trifft: alltagstauglich, antielitär, doch mit allure, ein unübersetzbares französisches Wort für Klasse. Allein die Idee, Teile aus Wollgarn auf einem Laufsteg zu zeigen, konnte damals den Männerclub der Couturiers in Aufruhr versetzen. Später nannte Rykiel ihren Look "démode", Antimode, ohne Schulterwattierung, mit sichtbaren Säumen. Bei den Verkaufspreisen hat sich diese Nonchalance nicht bemerkbar gemacht. Sonia Rykiel war immer Luxus.

Jetzt also das groß angelegte Jubiläumsjahr, und Julie de Librans Geburtstagskollektion soll nur der erste Streich sein. "Chapter one", verkündet das Lookbook voller rot-weiß-blauer Streifenshirts, schwingender Wollcapes mit "1968"-Aufdruck. Weitere Aktionen wie eine Kunstinstallation sollen folgen. Offenbar setzt die Marke, seit einigen Jahren mehrheitlich im Besitz einer chinesischen Holding, auf gesteigertes Kaufinteresse - der Aufwand muss sich schließlich lohnen. Wer mit Julie de Libran plaudert, die seit 2014 nach Stationen bei Prada und Louis Vuitton die Rykiel-Entwürfe verantwortet, dem weht im Gespräch auch gleich frühlingshafter Optimismus entgegen. Mais oui, Saint-Germain, der Lebensstil des linken Seine-Ufers, das sei der ewig junge Markenkern und sozusagen ein zeitloser Garant für das Fortbestehen des Labels samt der ikonischen Streifen-Looks. Libran ist selbst Französin, spricht aber mit solcher Begeisterung über das spezifisch Pariserische wie eine Außenstehende. Wie Sarah Jessica Parker zum Beispiel, die stellvertretend für alle Amerikanerinnen beim Anblick eines geringelten Rykiel-Teils bloß seufzt, oh my God, "so french".

Die Gründerin der Marke wusste, dass man manchmal auch Nein sagen muss

Aber reicht das, um als Marke zu überleben? Ganz so einfach ist es natürlich nicht, und es gab ja auch im Haus von Sonia (Betonung auf dem a) kritische Phasen. Nach dem schrittweisen Rückzug der Hausherrin übernahm zunächst ihre Tochter Nathalie das kreative Geschäft, nach Meinung von Fachleuten nicht zum Besten für die Maison. Es folgten rasch wechselnde Designer, Umsatzrückgänge, Personalabbau. Als Julie de Libran einstieg, branchenintern als "Geheimwaffe" Louis Vuittons tituliert, waren die Erwartungen groß. Tatsächlich hat die 45-Jährige die Kollektionen wieder frischer gemacht. Sie verschlankte die Silhouette, baut Vintage-Denim ein und macht aus den Streifen auch mal Karos.

Julie de Libran, 45, ist Chefdesignerin bei Sonia Rykiel. (Foto: Dominique Charriau/Getty)

Dabei kommt De Libran auch der verhältnismäßig große Freiraum zugute, der dem Designteam in einem kleineren Unternehmen gewährt wird - bei LV gelten andere Regeln. "Viele haben mich gefragt, warum ich von Louis Vuitton in ein kleineres Haus gewechselt bin", sagt sie. "Aber ich finde hier die Maßstäbe enorm angenehm. Die Größe des Teams. In der Stamm-Boutique hat man direkten Kontakt zu den Kundinnen. Alles ist irgendwie humaner." Natürlich müssen auch in dieser Firma am Ende die Geschäfte stimmen. Ihre kreative Freiheit heroisch zu verteidigen, dazu habe Sonia Rykiel sie jedenfalls schon mal vorsorglich ermuntert. "Es war faszinierend, diese ikonische Frau kennenzulernen. Wie sie zu Hause in ihrem schwarzen Sessel saß, das rote Haar, die eleganten Gesten. Sie hat zu mir gesagt: ,Du musst lernen, auch Nein zu sagen'".

Das ist in der Mode mit dem bizarren wie geschmacklich zweifelhaften Trenddiktat der Instagramer und Influencer kein schlechter Rat. Und was die politische Dimension betrifft, in Zeiten grapschender Machtmänner, so wird De Libran bei ihren gedanklichen Reisen ins Gründungsjahr manchma l nachdenklich. Natürlich liebe sie es, sich die Entwürfe von damals anzusehen und festzustellen, wie gut sie immer noch in unsere Zeit passen - die Slogan-Shirts zum Beispiel, gerade schwer en vogue, bei Sonia Rykiel schon vor Jahrzehnten auf dem Laufsteg. Anno Achtundsechzig so schön wie 2018. "Aber es ist auch bestürzend, wie wenig sich geändert hat", sagt Julie de Libran. "Und dass wir Frauen zur Verteidigung unserer Rechte heute immer noch auf die Straße gehen müssen."

© SZ vom 10.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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