Mode:Nichts wie weg hier

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Chanel zündet bei seiner Show eine Rakete, Dior malt Kometen auf Kleider, und Buzz Aldrin arbeitet neuerdings als Model. Hinter "Cosmic Fashion" steckt vor allem eines: reiner Eskapismus.

Von Silke Wichert

Nur der zweite Mann auf dem Mond, jetzt immerhin der erste Astronaut auf einem Catwalk: Buzz Aldrin, der 1969 zusammen mit Neil Armstrong in Apollo 11 Geschichte schrieb, lief bei den Männerschauen vergangenen Januar in New York überraschend als Model über den Laufsteg, gekleidet in einen silbernen Nasa-Blouson. Der amerikanische Designer Nick Graham hatte eine "Life on Mars"-Kollektion entworfen, da war der 87-jährige Raumfahrer natürlich die perfekte Wahl. Mars, Mond - egal, Hauptsache Weltall.

Für die Menschheit zugegeben ein eher kleiner Schritt, für Modemenschen hingegen ein weiteres Signal, wo die Reise dieses Jahr hingehen wird: zu den Sternen nämlich. Nur eine Woche zuvor hatte Maria Grazia Chiuri für ihre erste Dior-Couture-Kollektion einen goldenen Kometen von Hand auf ein Abendkleid malen lassen. In den Wochen darauf zeigten Designer von Gucci über Christopher Kane bis Dorothee Schumacher Ufo-Prints in ihren Kollektionen. Dior legte nach und verzierte für nächsten Herbst eine ganze Reihe dunkelblauer Kleider über und über mit Sternenstaub, Milchstraßen und Monden. Bis schließlich Karl Lagerfeld bei der Chanel-Show in Paris eine riesige Rakete samt Rampenlaufsteg in das Grand Palais bauen ließ - und am Ende sogar zündete. Die Triebwerke sprühten Funken, Rauch stieg auf. Zwar zischte das Ding nicht wirklich durch die Glaskuppel. Im Rennen um die spektakulärste Fashion-Show aller Zeiten waren dies aber trotzdem, um im Bild zu bleiben, völlig neue Dimensionen.

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(Foto: WireImage/Getty Images)

Chanel wollte bei seiner letzten Show wahrlich hoch hinaus, aber die Rakete stieg nur knapp zehn Meter hoch. Mehr gab das Pariser Grand Palais nicht her.

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(Foto: Getty Images Entertainment/Getty)

Ein paar Wochen zuvor lief Buzz Aldrin, der zweite Mann auf dem Mond, für Nick Graham über den Laufsteg.

Für seine Sommerkollektion entwarf Jeremy Scott ein "Space Age"-Kleid.

Das Chanel-Geschoss samt einer futuristisch angehauchten Kollektion mit Space-Capes, glitzernden Haarreifen, Planetentaschen und silbernen Stiefeln im Stil der Sechzigerjahre war eine hübsche Parabel auf das Wettrüsten der Supermächte zu eben jener Zeit. Die Mode wiederum erlebt aktuell das Wettrüsten der Supermarken. Louis Vuitton buchte für seine Schau dieses Jahr kein geringeres Museum als den Louvre, Gucci ließ einen transparenten Tunnel mit Pyramide in sein neues Hauptquartier bauen, Fendi präsentierte seine Jubiläumskollektion vergangenes Jahr auf dem Trevi-Brunnen. Zu Land und zu Wasser ist allmählich alles abgegrast, wie geht es also weiter? Klar, dass einem da die neue, alte Grenze Weltraum wieder einfällt.

Aber ab und an liefert die Mode ja doch den Gradmesser, den man sich von ihr erhofft, und womöglich offenbart der Griff der Designer nach den Sternen auch eine tiefere Sehnsucht, die die Menschen gerade umtreibt. Trump, Brexit, Syrien, Nordkorea, Klimakatastrophen, Fake News, soziale Ungerechtigkeit - Gründe, Reißaus zu nehmen, gibt es genug. "Im Moment ist hier unten nicht viel zu holen", sagte Karl Lagerfeld zu seiner Inspiration in einem Interview, "also gehen wir lieber woanders hin." Das Magazin The New Yorker berichtete kürzlich über die Apokalypse-Vorkehrungen der Reichen im Silicon Valley und in New York, die sich vor einem möglichen Atomschlag, Bürgerkrieg oder diversen Naturkatastrophen fürchten. Vom Inselkauf über strategische Vorratshaltung bis zum unterirdischen Luxusbunker inklusive Gemüsegarten und Krankenstation ist inzwischen schon alles möglich. Hätte Richard Branson mit Virgin Galactic doch bloß seine lang angekündigten touristischen Raumfahrtpläne auf die Reihe bekommen und würde zum Ticket noch eine Unterkunft auf einer klimatisierten Raumstation anbieten, also quasi Pauschalurlaub auf dem Mond! Die Nachfrage wäre genau jetzt da.

"Die Mode reagiert nicht zum ersten Mal mit Eskapismus", sagt die Modehistorikerin Patricia Mears vom Fashion Institute of Technology in New York. Für die meisten Menschen seien die Bedrohungen nicht größer als während der Finanzkrise, aber die gefühlte Unsicherheit sei momentan besonders groß: "Das beeinflusst Designer." Die Space-Faszination von heute erinnert an die Sechzigerjahre, als Pierre Cardin und Paco Rabanne ihre futuristischen Kollektionen entwarfen. Letzterer stattete auch das legendär durchgeknallte Weltraumabenteuer "Barbarella" aus. "Die Zeiten damals waren ähnlich paradox: Einerseits hatten wir die Jugendbewegung, den Aufbruch der Wissenschaft - und dann wurde 1968 plötzlich ein Konservativer wie Nixon gewählt", sagt Mears.

Trotzdem sehen die Laufstege nicht apokalyptisch aus, ganz im Gegenteil etwa zu dem halben Dutzend düsteren Science-Fiction-Filmen, die dieses Jahr anlaufen. Darunter "Alien-Covenant" von Ridley Scott mit Michael Fassbender und James Franco, "Life" mit Jake Gyllenhaal sowie die lang erwartete "Blade Runner"-Fortsetzung, ebenfalls von Ridley Scott. Der Eskapismus der Mode dagegen kommt eher romantisch und verträumt daher, in "Sonne, Mond und Sterne"-Manier bei Dior, wo Chiuri die viktorianische Ära zitiert. "Eine sehr spirituelle Zeit", wie Mears bemerkt, "mit vielen astronomischen Motiven." Bei Manish Arora sieht die Realitätsflucht knallbunt-folkloristisch aus, wobei diesem Maximalisten sowieso nichts die Laune verderben kann.

Gucci wiederum ist nicht auf den ersten Blick klassische "Cosmic Fashion", abgesehen von den Ufo-Prints, die in einer Kollektion von 120 Looks auf dem Laufsteg nur kurz aufflackernde Sternschnuppen waren. Doch der Ganzkörperglitzerstrumpf, den die Models bis über die Köpfe trugen und der gerade von Rihanna beim Coachella Festival übergestülpt wurde? "Alienhaft" war die allgemeine Reaktion im Publikum. So mondän stellt man sich offensichtlich die Außerirdischen der Neuzeit vor. Den Subtext dazu lieferten Slogans auf den Gucci-T-Shirts von der jungen spanischen Künstlerin und Fotografin Coco Capitán, etwa: "What are we going to do with all this future?" Tja, offensichtlich erst mal was Strahlendes überziehen, und dann sehen wir weiter.

Vielleicht ist die ewige "Last Frontier" ja gar nicht mehr so weit entfernt, wie wir zuletzt dachten. Dieses Jahr sind eine ganze Reihe von öffentlichen wie privaten Mondlandungen geplant, darunter auch vom deutschen Unternehmen PT Scientists aus Berlin. Google hat den mit 30 Millionen Dollar dotierten "Lunar XPrize" ausgerufen, Slogan: "Welcome to the New Space Race". Wer bis Dezember als Erster auf dem Erdtrabanten landet, ein Fahrzeug 500 Meter fahren lässt und Video- sowie Bildmaterial sendet, gewinnt. Das beschleunigt die Sache womöglich erheblich. Mitte Februar, kurz vor der Chanel-Show, meldete die Nasa zudem die Entdeckung von sieben neuen erdähnlichen Planeten. Einige dieser sogenannten Exoplaneten liegen in der "habitablen Zone", könnten also womöglich sogar über flüssiges Wasser verfügen. Seitdem grassiert das Weltraumfieber erst recht. Manchmal ist die Mode ihrer Zeit tatsächlich ein Stück voraus.

Nur Cher war noch früher dran. Das quasi-spirituelle Medium von Hollywood hatte bereits im Juni 2015, nach der Nominierung von Trump, getwittert, falls der Republikaner gewinne, werde sie auf den Jupiter auswandern. Ewige Trendsetterin. Ihr größter Filmerfolg hieß nicht umsonst: "Mondsüchtig".

© SZ vom 29.04.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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