Iris Schieferstein macht Mode aus toten Tieren. Dabei geht es der Berlinerin nicht um gesellschaftlich akzeptierte Lederjacken. Die 46-Jährige entwirft Schuhe aus Kuh- und Pferdehufen genauso wie Hüte aus Fasanen und Tauben.
Abartig, denken viele. Innovativ, finden andere. Schiefersteins Kreationen sind mittlerweile international bekannt, wurden bei Ausstellungen in London, Barcelona und New York gezeigt. Bis 4. November stellt die Designerin ihre Werke noch in Ebersberg bei München aus, im Januar sind sie auf der Fashion Week in Berlin zu sehen.
SZ.de: Frau Schieferstein, mögen Sie Tiere?
Iris Schieferstein: Total gerne.
Ist das der Grund, weshalb Sie sie zu Hüten und Schuhen verarbeiten?
Eigentlich weniger. Ich wollte die Tiere durch den Menschen sprechen lassen. Dafür verwende ich Symbole, die Kulturkreise einen und teilweise auch spalten. Eine Kuh etwa hat in Indien einen ganz anderen Stellenwert als in Deutschland. Wie der Betrachter meine Arbeiten interpretiert, bleibt deshalb ganz ihm selbst überlassen. Außerdem finde ich: Die Mode klaut so oft bei uns Künstlern, da schieße ich ein wenig zurück.
Woher bekommen Sie das Material für Ihre Kreationen?
Grundsätzlich darf ich alles nehmen, was man essen, schießen, züchten und halten darf. Manchmal rufen Leute bei mir an und sagen beispielsweise: "Meine Schlange ist verendet. Wollen Sie die haben?" Auch Katzen und Hunde werden mir oft angeboten. Hin und wieder hole ich mir beim Schlachter Hufe, Häute und alles, was sonst so übrig bleibt.
Sie sollen früher tote Tiere von der Straße aufgesammelt haben.
Genau. Aber leider ist das in Deutschland verboten, weil Igel, Eichhörnchen und Ähnliches unter Artenschutz stehen, ich sie aber in meinen Ausstellungen zur Schau stelle und veräußere. So nennt das der Artenschutz jedenfalls. Deshalb darf ich verendete oder überfahrene Tiere nicht verarbeiten.
Mussten Sie sich für die Verarbeitung Kenntnisse in Biologie und Anatomie aneignen?
Das habe ich mir alles als Autodidakt beigebracht. Ich bin zwar kein Mediziner, interessiert hat mich das aber schon immer. Und was die Präparation angeht: Wenn man kein Vegetarier ist, muss man konsequenterweise damit leben können, ein Tier auseinanderzunehmen.
Erinnern Sie sich an Ihre erste Arbeit mit Tieren?
Das war 1990. Als Symbol für Jesus Christus habe ich aus Fischteilen eine Art biblisches Abendmahl kreiert - also eine Verquickung von Religion und Kunst. Ich habe dafür Augen, Flossen, Kiemen sortiert, entsprechend angerichtet und dann in einer Kirche präsentiert.
Besonders von Tierschützern wurden und werden Sie massiv angefeindet. Können Sie deren Vorbehalte gegen Ihre Kunst verstehen?
Dafür habe ich kein Verständnis. Ich missbrauche doch keine lebenden Tiere! Außerdem denke ich, dass viele meiner Kritiker sehr kurzsichtig denken. Die Leute tragen auch Lederschuhe und die meisten sind keine Vegetarier. Als ich diese Schuhe aus Kuhhufen mit Revolver-Absatz vorgestellt habe, erhielt ich sogar Briefe, in denen man mich als Satanistin bezeichnete.
Sie sind zweifache Mutter. Was halten Ihre Kinder von dem, was die Mama im Atelier macht?
Meine Kinder fanden die Sachen immer toll. Ich hatte auch schon viele Schulklassen in meinen Ausstellungen zu Besuch, die sich das alles sehr interessiert angesehen haben. Meiner Erfahrung nach beginnen gerade Mädchen erst in der Pubertät, sich vor toten Tieren zu ekeln.
Was müsste man beispielsweise für die Pferdehufschuhe hinlegen?
Die kosten 3900 Euro. Für den Arbeitsaufwand, der dahintersteckt, ist das nicht viel. Egal ob Kuh oder Pferd, es ist immer eine Riesenaktion, die Knochen aus den Hufen herauszuholen.
Und wie funktioniert das mit dem Verkauf? Bestellen Kunden bei Ihnen Modelle, die Sie dann nach Maß anfertigen?
Grundsätzlich sind alle meine Entwürfe Prototypen, Unikate, die nach meiner Schuhgröße gefertigt werden. Prinzipiell gibt es aber schon die Möglichkeit, dass ich auf Bestellung arbeite.
Sie haben auch prominente Kundschaft.
Das stimmt. Einmal rief die Stylistin der New Yorker Performance-Künstlerin Marina Abramović an und fragte nach Taubenschuhen für ein Fotoshooting. Ich musste leider ablehnen, weil die gewünschten Exemplare gerade in einer Ausstellung standen. Dass sich meine Arbeit bis zu ihr herumgesprochen hat, macht mich trotzdem sehr stolz.
Auch Lady Gaga soll ja bereits Ihre Schuhe getragen haben ...
Das ist ein Irrtum, der sich seit Jahren hartnäckig in den Medien hält. Die Wahrheit ist: Sie hätte sie gerne getragen.
Wie meinen Sie das?
Sie hat bereits zweimal versucht, Schuhe bei mir zu bestellen. Genau genommen hat ihre Stylistin Kontakt mit mir aufgenommen, nachdem sie 2006 oder 2007 mein erstes Paar Hufschuhe bei einer Kunstaustellung in New York gesehen hatte. Sie wollte unbedingt, dass Lady Gaga bei ihrem nächsten Videodreh meine Pferdehufschuhe trägt. Meine damalige Galeristin verschickte die Schuhe, sie passten jedoch nicht. Beim zweiten Mal rief mich die Agentur von Lady Gaga an, weil sie für die Video Music Awards 2010 zu ihrem Fleischkleid Hufschuhe tragen wollte. Die musste ich dann kurzfristig noch mal ändern: Die Information, dass Lady Gaga Schuhgröße 39 hat, kam ein bisschen spät. Ich habe die Schuhe dann noch rechtzeitig in die USA geschickt, doch dann wollte der Zoll sie nicht freigeben. Angeblich, weil das Leder kontaminiert sei. Am Ende hat Lady Gaga die Schuhe also nie getragen. Leider.
In der Modewelt haben Ihre Schuhkreationen trotzdem Eindruck hinterlassen.
Das stimmt wohl. Alexander McQueen hat noch vor seinem Tod ganz ähnliche Schuhe in Anlehnung an meine Hufschuhe präsentiert. Ich habe auf die Idee ja kein Patent. Prada hat die Idee mit dem Revolver-Absatz im vergangenen Frühjahr aufgegriffen. Das muss man einfach akzeptieren. Für die Fashion Week in Berlin werde ich auf jeden Fall ein neues Paar Schuhe entwerfen.
Eine abschließende Frage noch: Sie haben ein eigenes Pferd. Werden Sie seine Hufe auch zu Schuhen verarbeiten, wenn es einmal stirbt?
Das weiß ich noch nicht genau. Ausschließen würde ich es jedenfalls nicht.