Mode:Aktuelle Stunde

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Balenciaga kämpft gegen den Hunger in der Welt, Dior zitiert die 68er, fast alle ziehen uns für die Zukunft dick an: Wie die Schauen in Paris für harte und kalte Zeiten rüsten.

Von Silke Wichert

Andere Zeiten, andere Frontrow. Da sitzt also bei den Modenschauen in Paris außer den üblichen Verdächtigen wie Catherine Deneuve und Carla Bruni plötzlich: Rose McGowan alias die Jeanne D'Arc der "Me Too"-Ära. Mit ihrem kurz geschorenen Haar und dem schwarzen Gehrock nicht ganz das, was Modeleute eine Stilikone nennen, aber eine Berühmtheit ist McGowan, seit sie den Weinstein-Skandal ins Rollen brachte, in jedem Fall. Und sie nimmt ja auch nicht bei Chloé oder Chanel in der ersten Reihe Platz, sondern bei der Punklady Vivienne Westwood, der Integrationsbeauftragten für alles Krawallige.

Ob sie sich anschauen wolle, was die Designer zur aktuellen Feminismus-Debatte beizusteuern hätten, will man von McGowan wissen. "Äh, nein, aber ich mag Punk", antwortet sie. In Paris sei sie vor allem, um ihre Dokuserie "Citizen Rose" zu filmen. Außerdem sucht sie eine neue Heimat. "Vielleicht ziehe ich nach Paris. Oder Berlin", sagt sie. "Irgendwohin, wo es künstlerfreundlicher zugeht als in Amerika."

Was sie bei der Westwood-Show zu sehen bekommt, ist dann gleich sehr freigeistig und gewohnt schräg, allerdings nicht sehr repräsentativ für den Rest der Pariser Defilees für nächsten Herbst/Winter. Obwohl sich auch andere Designer tatsächlich ein bisschen mehr mit der gesellschaftlichen Realität beschäftigen als sonst. Sarah Burton bei Alexander McQueen, Demna Gvasalia bei Balenciaga, der Amerikaner Rick Owens - viele sprechen backstage von "diesen seltsamen Zeiten", in denen wir leben, und was das für die Frauen von heute oder die Konsumenten im Allgemeinen bedeutet. Klingt nicht revolutionär? Mais oui! Gesellschaftspolitische Fragen werden bei Modenschauen sonst gern unter den extraflauschigen Teppich gekehrt. Kleider sollen zum Träumen anregen, Ablenkung statt Auseinandersetzung. Aber so richtig Lust, die Gedanken in dicken Volants zu ersticken, haben offensichtlich gerade weder die Designer noch ihre Kundinnen. Es gibt zu viele Themen da draußen: "Me Too", Gleichberechtigung, Flüchtlinge. Was ist die Garderobe für diese Zeiten? Muss sich das auf den Laufstegen vielleicht doch irgendwie widerspiegeln?

Dass es das bei Dior tun würde, war schon vorher klar. Einerseits, weil über Instagram Tage vor der Präsentation Video-Appetithäppchen von den Studentenprotesten der 68er serviert wurden. Die liegen jetzt runde 50 Jahre zurück, weshalb auch Gucci, sicher nicht zur Freude der französischen Konkurrenz, derzeit mit einem 68er-Spot wirbt. Andererseits ist die Kreativdirektorin Maria Grazia Chiuri die erste Frau an der Spitze des Hauses und hat sich mit ihren vorherigen Kollektionen als Feministin vom Dienst etabliert. Der Kubus im Garten des Rodin-Museum ist also über und über mit Zeitschriften aus den späten Sechzigern tapeziert, darauf Parolen wie: "Women's rights are human rights!" Und auch diesmal schickt Chiuri zuerst ein Motto über den Laufsteg: "C'est non, non, non et non!", steht auf dem weißen Strickpullover. Passt zu "Me Too" - ist aber tatsächlich ein Print aus dem Dior-Archiv von 1968. Danach folgen Patchworkkleider, Lammfellmäntel, Parkas, während Kate Bush "Running Up That Hill" singt. Kommerziell sicher wieder erfolgreich, aber bräuchte die aktuelle Protestbewegung nicht doch eine, nun ja, aktuelle Uniform?

Millenials kaufen lieber Design mit Botschaft. Also engagieren sich Modehäuser heute sozial

Vielleicht so ein kariertes Kleid mit weißem BH vorne drauf, wie Jonathan Anderson es bei Loewe präsentiert. Unterwäsche nach außen zu kehren, ist nichts Neues in der Mode, aber die Verschlüsse des Büstenhalters hängen bei Anderson an den Seiten herunter. Statt das Ding - wie in den 68ern - plakativ in den Mülleimer zu werfen, lässt man den BH jetzt lässig offen stehen. Eine hübsche Metapher für die halbbefreite Frau. Auch Stella McCartney zeigt lose Korsetts an Kleidern, überhaupt herrscht viel Dekonstruktion und Trompe-l'Œil, vieles ist nicht so, wie es zunächst aussieht, weil Frauen sich in einer "Metamorphose" befinden, wie Sarah Burton glaubt. Ihre Alexander-McQueen-Kollektion, bei der die typischen Schoßjacken, Ärmel, Rocksäume abzublättern scheinen und Printkleider mit Schlitzen durchzogen sind, liest sich wie ein Häuten des Körpers. Und weil der Prozess sich nicht auf junge weiße Frauen mit Kleidergröße 34 beschränkt, sind die Models hier angenehm durchmischt in Alter, Statur und Hautfarbe.

Viele Labels haben für einseitiges Casting in den letzten Jahren Shitstorms kassiert, da lernt man dazu. Einer Umfrage des Economist zufolge kaufen 79 Prozent der Millennials außerdem lieber bei Unternehmen, die gesellschaftliche Verantwortung übernehmen. Also? Tauchen bei Balenciaga diesmal Motto-Artikel auf, die zur Abwechslung etwas zu sagen haben: "World Food Programme" steht auf T-Shirts, Kappen, Hüftbags, und immerhin zehn Prozent dieser Einnahmen gehen an die humanitäre UN-Organisation, 250 000 Dollar wurden vorab gespendet. "Zum ersten Mal hatte ich das Gefühl, Mode könnte mehr tun, als nur den Körper zu bedecken", sagt Demna Gvasalia. Gucci verkündete vor Kurzem, eine Demonstration für strengere Waffengesetze in den USA finanziell zu unterstützen, Calvin Klein spendete für den "Time's Up"-Fonds.

Der Deutsch-Georgier Gvasalia, der durch sein Label Vetements bekannt wurde, unterhält ohnehin gerade den besten Draht zum Zeitgeist. Witzig ist er obendrein: Auf der Eintrittskarte, die per Mail zum Ausdrucken verschickt wurde, steht: "unsubscribe here", um diese Einladung nicht mehr zu erhalten. Eine Parabel auf die Newsletter-Flut in unseren Mailboxen - und den Hype. Denn die meisten Gäste würden sich eher ein Bein (das gerade vorzugsweise in einem Balenciaga-Strumpfstiletto steckt) ausreißen, statt auf das Ticket zu verzichten. Vollkommen zu Recht: Was Gvasalia vor der Kulisse eines Snowboarder-Funparks zeigt, ist auf den ersten Blick wenig gefällig, auf den zweiten auch nicht, aber auf den dritten unwiderstehlich. Diesmal sind es vor allem die Jacken und Mäntel, die mit jedem Model um eine Schicht zu wachsen scheinen. Am Ende sind bis zu sieben verschiedene, von Leomuster über Jeans bis Daunen, ineinandergenäht. Wer diesen Winter in Deutschland verbracht hat, denkt jetzt womöglich: "Na und? Klassisches Zwiebelprinzip. Das trag ich gefühlt seit November." Mit dem Unterschied, dass die Proportionen hier tatsächlich so kunstvoll aufeinandergeschichtet sind, dass am Ende wieder eine klassisch voluminöse Cristóbal-Balenciaga-Silhouette herauskommt. Wen das nicht überzeugt, sei beruhigt: Von Loewe über Carven und besonders bei Miu Miu - überall gibt es nächsten Herbst Oversized-Mäntel, mit denen man für ziemlich alles gewappnet ist; gesellschaftliches Klima inklusive.

Erfunden hat diese übergroßen Schnitte übrigens der Mann, dem der Palais Galliera gerade eine Ausstellung widmet, Martin Margiela. Die Eröffnung fällt nicht zufällig mitten in die Modewoche. Der öffentlichkeitsscheue Belgier wird in diesen Reihen nach wie vor wie ein Gott verehrt, die Schlange reicht trotz klirrender Kälte regelmäßig durch den Hof bis auf die Straße. Gezeigt werden Entwürfe aus allen seinen Kollektionen, von 1989 bis 2009, und der Aha-Effekt ist größer als bei den meisten aktuellen Schauen. Das Stoßband mit Reißverschluss sichtbar außen anbringen, wie es Alber Elbaz bei Lanvin so häufig machte, die Strümpfe mit Pumps verschmelzen wie bei Balenciaga, ein T-Shirt für Charity-Zwecke - wer hat's erfunden? Margiela!

Fans drängen sich wild vor der Schau von Virgil Abloh, um total aufgeblasenes Zeug zu sehen

Bei anderen Themen blickt die Modewelt nicht ganz so gern zurück. Die Branche hat ja ihren eigenen "Me Too"-Skandal um Starfotografen wie Mario Testino, Bruce Weber und Patrick Demarchelier, die Models über Jahrzehnte sexuell belästigt haben sollen. Weil aber bisher keiner der Beschuldigten ein Fehlverhalten eingeräumt hat, passiert erst einmal: nicht viel. Bereits produzierte Strecken besagter Fotografen werden diskret in den Giftschrank geräumt und eilig neu fotografiert, diskutiert wird das Thema während der Schauen kaum. Models haben offensichtlich immer noch weniger Stimmgewalt als Schauspielerinnen. Was in einer Branche, die von der Zurschaustellung des Körpers lebt, an Körperlichkeit erlaubt ist, scheint nach wie vor nicht ganz geklärt. Protestaktionen sucht man vergeblich.

Und als es vor einer Show doch mal zum Aufstand kommt, geht es um etwas ganz anderes: In einem Saal in der einspurigen Rue Cambon zeigt am Abend das junge Label Off-White von Designer Virgil Abloh. Klingelt nichts? Abloh ist der Kreativdirektor von Kanye West, was seinem Label einen irrwitzigen Hype beschert hat, den man vor der Location hautnah miterleben darf. Ein Mob an Fans drängt gegen die völlig überforderten Empfangsdamen. Die Polizei auf der Straße deeskaliert nicht, sondern stößt die Menge noch enger zusammen, um die Limousinen durchzulassen. Das Ganze schrammt haarscharf an einer Massenpanik vorbei. Gäste, die es schließlich bis in den Saal schaffen, sind wahlweise den Tränen oder einem Wutausbruch nah, und dann haben sich die Strapazen nicht mal gelohnt: Die Kollektion ist so aufgeblasen wie inhaltsleer. Tapisserie-Overalls mit ultraknappen Shorts zu züchtigen weißen Blusen, kastige Krokojacken mit Hoodie darunter. Abloh ist ein begnadeter Veredler, der Marken wie Levi's oder Jimmy Choo einen Schuss Coolness injiziert. Vielleicht kann ihm im Gegenzug ja mal jemand eine Portion Substanz verpassen.

Beim Establishment geht es dagegen gesitteter zu. Da stehen zwar auch viele Verehrer vor der Tür, von Kopf bis Fuß in die Fanartikel des Hauses gekleidet, aber die meisten hier haben eine Einladung. Keine Tumulte, nur verzücktes Lächeln und Handyfotos für die Einkaufsliste: Bei Valentino werden die traumschönen Roben mit Stiefmütterchen sichere Bestseller sein, bei Hermès die Woll-Jumpsuits, bei Saint Laurent die Achtzigerjahre-Glitzerkleidchen mit breiten Schultern, bei Chanel die goldfarbenen Stiefel. Karl Lagerfeld ließ diesmal echte Bäume im Grand Palais aufstellen, die aber ausdrücklich nicht für Chanel sterben mussten. Wald statt Weltraumrakete wie vor einem Jahr, auch das ist in diesen Zeiten angenehm real. Nebenbei liefert es den besten Raumduft der Fashion Week: frisches Laub und Moos statt der Kakophonie teurer Duftwässerchen.

© SZ vom 10.03.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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