Lokaltermin:Witloof

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Eines der belgischsten Restaurants überhaupt liegt im niederländischen Maastricht. Im Witloof gibt es Muscheln und Fritten zu 261 Biersorten in Flohmarkt-Atmosphäre.

Von Jutta Göricke

Eines der belgischsten Restaurants überhaupt liegt im niederländischen Maastricht. Im Witloof gibt es Muscheln und Fritten zu 261 Biersorten, die Kellnerinnen tragen Schwesternuniform. Ein Klischeeschuppen also? Im Gegenteil, sagt unsere Autorin Jutta Göricke: vielmehr der stimmigste Laden seit Langem!

Das Restaurant Witloof liegt zwar mitten im niederländischen Maastricht, ist aber eine Hommage an Belgien, die Heimat von Chefkoch Ad Fiddeler. Zu essen gibt es Fritten und Muscheln, zu trinken Trappistenbier. Drinnen kommt es zum Wiedersehen mit Tintin (Tim) und der rot-weiß-karierten Rakete, auf einem Podest (!) steht ein güldenes Rennrad, Tour-de-France-Held Eddy Merckx lässt grüßen. Draußen ist man nur einen Steinwurf von Belgisch Limburg entfernt, das gleich hinter der Stadtgrenze von Maastricht liegt. Hier im Dreiländereck ist Belgien ebenso nah wie Deutschland. Und lassen sich nationale Eigenheiten in der "Fremde" nicht besonders gut auf den Punkt bringen? Das soll hier gelungen sein, glaubt man der New York Times, die dem Witloof eines der hundert trendigsten Restaurantkonzepte weltweit bescheinigte.

Zu Recht? Das kleine Lokal, das 2005 eröffnet und einige Designpreise erhalten hat, wirkt schon auf den ersten Blick ungewöhnlich. Drei Räume, deren Gestaltung verschiedener nicht sein könnte: Da gibt es den zünftigen Gastraum mit viel dunklem Holz. Grellrot leuchtendes Neonlicht markiert den Übergang zum nächsten Bereich, der dank weißer Kacheln und Kristalllüster wie eine New Wave-Disco mit Metzgerei-Charme wirkt. Der dritte Raum zitiert dann wallonische Küchen der Gründerzeit mit reich ornamentierten Bodenfliesen, deren Muster - eine hübsche Idee - auf Auslegeware übertragen wurde, mit der Wände und Decke tapeziert sind. Eine Batterie Blumentöpfe mit Bogenhanf - diese 50er-Jahre-Zimmerpflanze, die auch Schwiegermutterzunge genannt wird - wirkt ebenso sympathisch dazu wie das geblümte Sammelgeschirr bei Tisch, eine Reverenz an die Schwäche der Belgier für Krimskrams und Flohmärkte.

Alle Achtung, so stimmig kann Restaurant-Interieur also mit Klischees und Identitäten spielen, das hatte man angesichts der vielen mediokren Konzeptschuppen fast vergessen! Hier wirkt alles angenehm leicht, und wenn man sich sofort wohlfühlt in der postmodernen Urigkeit, dann auch wegen der aufmerksamen Kellnerinnen, die, das muss erwähnt werden, in einer Art Krankenschwesternuniform stecken. Sexismusalarm? Quatsch. Was ist einzuwenden dagegen, als Gast gründlich umsorgt zu werden?

Und kümmern müssen sie sich, bei 261 Biersorten auf der Karte. Uff. Zum ersten Gang wird Saison Dupont empfohlen, ein blondes, ungefiltertes Farmhouse Ale. Jede Biersorte wird im passenden Glas kredenzt (so lässt sich der Begriff "sortenrein" auch auslegen), wie beim Wein kostet man vor. Aber jetzt kommt erst mal kräftiges Brot mit gesalzener Butter aus Aubel auf den Tisch. Vorsicht: Nicht daran satt essen! Denn schon erfreuen zwei durch die Fritteuse gejagte Kroketten mit einer Mousse aus Sauerkraut, Wurst und Schinken aufs Angenehmste. Dazu gibt es sachten grobkörnigen Genter Senf. Die Garnitur ist ein Fest fürs Auge: Gürkchen, Mayo und die belgische Flagge. Diese Präsentation liegt irgendwo zwischen Mitropa und Käseigel, Selbstironie allüberall. Großes Entzücken.

Ad Fiddeler hat sich auf die Fahne geschrieben, traditionelle belgische Rezepte - "Oop wijze van tant Mara" - jung zu interpretieren. Dazu gehören handgeschnitzte Fritten, Fleischbolletjes mit Sauce lapin aus braunem Bier, Lütticher Sirup aus Zwiebeln, Äpfeln, Aprikosen, Datteln und Pflaumen. Und da müssen auch Kroketten sein. Sie schmecken. Und schön, dass man hier mal weiß, was drin ist! Auch Witloof, den wir als Chicorée kennen, gehört zu den Grundzutaten in Belgien. Die köstliche Quiche mit Chicorée, Thymian, Apfel und Ziegenkäse zeigt, warum.

Auch zehn Miesmuschelgerichte stehen natürlich auf der Karte. Die Muscheln werden rustikal im Emailtopf serviert. Dazu gibt es krokante Frietjes mit Mayo und herrlichen Mangocurrydip. Die Variante à la Jaques Brel - mit Bier angemacht - ist leider etwas fad, der Klassiker in Weißweinsud mit Lauch, Staudensellerie und Karotten dafür wunderbar. Die Muscheln sind frisch und bissfest. Man kann nach Herzenslust das Fleisch aus der Schale knipseln - mit einem Schalenpaar, versteht sich -, den Sud löffeln und bei den Fritten ungeniert mit den Fingern zugreifen. Zu den Muscheln steigen wir auf den fruchtigen Hauswein aus Chile um, eine Cuvée aus Sauvignon und Chardonnay. Passt.

Die Gerichte sind preislich nicht einzeln ausgezeichnet. Man bestellt entweder drei (30 Euro) oder zwei Gänge (25 Euro) und wählt dabei frei aus der wechselnden Karte. Die Crème brûlée zum Dessert ist okay, aber nicht weiter erwähnenswert. Die Zitronentarte dagegen ein toller Abschluss: erfrischend zitronige Creme auf bröseldunklem Boden von Bastognebiscuits.

Abrunden kann man den Abend mit einem der zehn hausgemachten Jenever (Wacholderschnaps). Und sich dabei ein letztes Mal an der Einrichtung ergötzen, die immer wieder Gesprächsstoff bietet. Am Bataillon der bonbonfarbenen Manneken-Pis-Figuren, am Regal mit den beeindruckend vielen Bierflaschen. Das Witloof ist ein Gesamtkunstwerk, in dem Essen und Ambiente eine hintergründige Liaison eingehen. Nebenbei eint das Lokal ein notorisch zerstrittenes Land - zumindest einen genussvollen Abend lang, im friedlichen Miteinander von wallonischer und flämischer Hausmannskost.

© SZ vom 30.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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