Lokaltermin:Trattoria Masuelli S. Marco

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Das Lokal gehört zu den traditionsreichsten in Mailand und ist überaus stilvoll eingerichtet. Das Essen hingegen überzeugte Katharina Seiser nicht vollends. Und der Service: very slow.

Kaum ein Restaurant in Mailand atmet so viel Tradition wie die berühmte Trattoria Masuelli S. Marco. Außerdem ist das Lokal mit einem schönen Mythos verbunden: An seinen Tischen soll die Idee zur Gründung der Slow-Food-Bewegung entstanden sein. Schade nur, dass hier vor allem eines slow ist, fand unsere Autorin Katharina Seiser: der Service

In Mailand dreht sich seit Monaten alles ums Essen. Auf der Weltausstellung geht es weniger um die großen Konzepte zur Welternährung als um die (mitunter erstaunlich laute) Inszenierung des Gastgebers als kulinarischer Garten Eden, als Land der regionalen Produzenten und guten Produkte. Da liegt es nahe, zum Mittagessen in der Trattoria Masuelli San Marco Station zu machen. Ein Hort der Beruhigung nach all dem Expo-Remmidemmi. Das Lokal gibt es seit 1921. Und seit 30 Jahren wird es nun von der Aura alles Wahren und Guten umweht, das auf einem Teller Platz hat. Grund dafür war das konspirative Treffen einiger Herren hier, unter ihnen ein gewisser Carlo Petrini, das 1986 zur Gründung der Slow-Food-Bewegung geführt haben soll. Bei deren Mitgliedern lösen solche Geschichten Sehnsuchtsseufzer aus.

Das Lokal ist am späten Mittag voll und laut, wie es sich gehört. Und ein echter Retro-Traum. Man kann sich an den aufs sorgfältigste polierten Holzvertäfelungen und den gestärkten Vorhängen nicht sattsehen - aber man wird es irgendwann müssen, weil sich der Mittag wegen des schleppenden Services in die Länge zieht wie ein Strudelteig. Die Speisekarte bietet einen wohlformulierten Ausflug ins bürgerliche Mailand und wirkt wie der Versuch, das Abendland vor dem kulinarischen Untergang zu retten: Salumi, Pasta, Mailänder Risotto, Kalbszunge, Innereien, paniertes Kalbskotelett, Sardinen und ein Gericht, das vor dem Vergessen bewahrt werden soll: kleine Schnitzelchen auf Safranrisotto, serviert auf einem handbemalten Teller. Hier werden Traditionen gepflegt, Moden haben Lokalverbot. Das ist gut so, wenn es schmeckt. Bis es dazu kommt, dauert es eben etwas länger.

An den Nachbartischen beträgt der Altersdurchschnitt gute 75 Jahre. Ein feiner alter Herr scheint auf jemanden zu warten. Den tadellosen Zweireiher von der Farbe seiner Haare befreit er energisch von Brotbröseln, als er aufsteht und zum wiederholten Mal durch den weißen Stickerei-Vorhang (sehr elegant zum dunklen Holz der Fensterstöcke) auf die Viale Umbria lugt. Doch es wird niemand kommen. Die Szene, die wie melancholische Routine wirkt, ist berührend.

(Foto: N/A)

Nach einem Gedeck aus Weißbrot, Grissini und ein paar confierten Tomaten kommen - eine Dreiviertelstunde nach der Bestellung - die Antipasti: feine luftgetrocknete Coppa mit Melonengelee (13 Euro), eine an diesem Ort fast unerhört mutige Version des Klassikers Prosciutto mit Melone. Das Gelee ist aromatisch, aber sehr süß. Die fünf Sardellen aus Kantabrien (14 Euro) liegen neben einem kleinen Würfel Butter auf dem Teller. Natürlich schmecken sie (das müssen sie zu dem Preis ja auch), aber: Warum wartet man auf in allen Bestandteilen fertige Gerichte 45 Minuten lang? Coppa aufschneiden, Gelee stürzen, Sardellen abtupfen, auflegen, Butter abschneiden, dazulegen - all das wäre doch in der Küche binnen fünf Minuten erledigt.

Nach weiteren 45 Minuten kommt die Pasta: Hausgemachte Makrelenravioli (13 Euro) mit einer cremigen, thymianduftenden klassischen Fischsauce und Tagliatelle mit Gemüse der Saison (11 Euro); Pasta, die viel zu weich gegart als armseliges Häufchen um die Gnade des schnellen Aufessens fleht. Die Sauce besteht aus einigen reifen Tomaten, das schon, aber Sommergemüse, nur aus Erbsen und Karottenwürfeln, zu einer Jahreszeit, die alles bietet? In einem Lokal mit Slow-Food-Gründer-Heiligenschein? Die aromatischen Kräuter, die noch in der Karte standen, sind der vorbildlich sauberen und aufgeräumten Küche wohl abhanden gekommen.

An den Nebentischen, die genauso lange warten müssen, wird in der Zwischenzeit ausgiebig dem tadellosen Wein zugesprochen. Nachdem man schon die Anzahl der Löcher der Lochstickerei im Vorhang kennt, muss das Gespräch eben anderweitig begleitet werden. Endlose 30 Minuten nach der Pasta steht die Kalbszunge mit Bagnet verd (17 Euro) auf dem Tisch. Sie besteht aus neun dünnen Scheibchen, der Querschnitt sieht aus wie das Pentagon - als hätte eine ordentlich abgezogene Zunge keine schöne Form. Dazu ein Häufchen geschredderter Salat und eine ausgezeichnete Petersiliensauce. Auf die Nachfrage, ob diese Sauce mit Sardellen und Kapern gemacht werde, antwortet der Kellner so staatstragend, wie es offenbar von ihm verlangt wird, dass dem selbstverständlich nicht so sei. Aber warum hat sie dann dieses köstliche Sardellen-Aroma? Doch, Sardellen seien schon drin, räumt er da ein, aber Kapern, nein, nein (wo kämen wir denn da hin?). Etwas eigenartig, wie man hier auf interessiertes Lob reagiert.

Das Goldbrassenfilet (17 Euro) ist dann zu lang gebraten, gebettet auf Zucchini- und Karottenstreifen und mit sehr süßer zitrusduftender Sauce umkränzt. Letztere soll wohl die Wartezeit aufs Dessert verkürzen. Der Bonet (8 Euro) - ein piemontesischer Schokoladenpudding, in der Kastenform gegart, der wieder eine halbe Stunde später kommt -, schmeckt dann hervorragend. So gut, dass man Lust bekommt, eine zweite Portion zu bestellen. Doch angesichts des sehr weit fortgeschrittenen Nachmittags ist das Risiko zu hoch, gemeinsam mit dem zweiten Bonet bereits die ersten Scheibchen Coppa fürs Abendessen serviert zu bekommen.

Die Schere zwischen Erwartetem und Erlebten war so schon groß genug, um zwischendurch eine kleine Online-Suche zu starten: Was, wenn man im falschen Masuelli gelandet wäre? Leider nein, es gibt nur eine Trattoria Masuelli in Mailand. Und definitiv bessere Orte, um in der Stadt sauber und fair zu essen. Zum Beispiel bei "Ratanà", "Taglio" oder "Un posto a Milano".

© SZ vom 17.10.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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