Lokaltermin:Tianfuzius

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Die Chinesen haben - allen Fleischklischees zum Trotz - eine der vielfältigsten und ältesten vegetarischen Küchen der Welt. Im Berliner Lokal "Tianfuzius" kann der Gast das schmecken. Hier käme keiner auf die Idee, das Fleisch zu vermissen.

Von Harriet Köhler

Der Chinese ist hierzulande als Fleischfresser verschrien. Das war schon in den Siebzigerjahren so, als der Deutsche nur skeptisch in Position 327 der Speisekarte herumstocherte - wer konnte schließlich sicher sein, dass einem der Wirt nicht den Nachbarshund, Omas Katze oder Schlimmeres in die Süßsauersoße rührte? Inzwischen hat sich dieses Image ins Positive gedreht und der weltgewandte Foodie grast die authentischsten Sichuan-, Yunnan- oder Shanghai-Restaurants ab, beziehungsweise grast er eben nicht, sondern kaut - Quallensalat und Hühnerfüße, Schweinedarm, Entenzungen, Pansen.

Dass China zugleich Heimat einer der ältesten und darüber hinaus raffiniertesten vegetarischen Küchen der Welt ist, weiß man bei uns auch heute noch weniger - wirklich überraschend ist es aber natürlich nicht, immerhin leben mehr als 100 Millionen Buddhisten in dem Land, das der Welt obendrein den Tofu bescherte. Seit 2015 kann man das vegetarische China im Schöneberger "Tianfuzius" erleben, einem Ableger aus der "Tian Fu"-Familie, die seit gut zwei Jahrzehnten eine sehr gute, klassische Szechuan-Küche in bescheidenem Ambiente serviert - die Dim Sum gehören mit zu den besten, die man in Berlin findet. Die chinesischen Teigtaschen gibt es auch hier - bloß in modern, heißt: vegan, glutamatfrei und unter industrieschicken Kohlefadenlampen.

Und es fehlt ihnen wirklich an nichts! Man muss nur einmal die Zähne in eines der zäh-fluffig gedämpften "Xiao Long Bao" graben, die mit feingehacktem, noch leicht bissfestem Gemüse gefüllt sind und ein fast filigranes, zimtiges Aroma freigeben. Ein schönes Beispiel ist auch die "Glasnudelsuppe mit Bambus, Morcheln und Karotten", ein unscheinbares Schälchen mit einem geschmacklichen Tiefgang, angesichts dessen man kaum glauben kann, dass sie ganz ohne Knochenkraft entstanden ist. Und dann der geräucherte Tofu aus Wuxiang! Kleingeschnibbelt als Salat mit salzigem Wildgemüse und zarter Sesamnote, löst er einen waren Schlingreflex aus - und das bei einem Tofumuffel. Fast genauso gut ist er in schmale Streifen geschnitten, von einer scharfen, cremig-nussigen Sauce umschmeichelt, mit frischem Koriander. Es ist ein vegetabiles Himmelreich, das da auf der Tischplatte entsteht - all die köstlichen Schüsselchen, Tellerchen und Schälchen (Vorspeisen kosten drei bis fünf Euro)!

Doch leider sind wir Schnitzeldeutschen eher auf Hauptgerichte fixiert, und da wird es im Tianfuzius ein wenig schwierig. Nichts gegen die Gemüsegerichte, die größtenteils absolut empfehlenswert sind: Der nur aquarellzart gewürzte, gedünstete Wasserspinat zum Beispiel, oder die cremige Aubergine nach Yüxiang-Art, die strotzt vor Geschmack und Umami. Auch die trocken gebratenen grünen Bohnen mit ganzen Chilischoten, bei denen das klasssischerweise zum Gericht gehörende Hackfleisch durch feingehäckseltes, in Salz eingelegtes Gemüse ersetzt wurde - herrlich.

Doch dann sind da noch die "Alternativen". Lustigerweise ist unter volksrepublikanischen Vegetariern nicht zuvorderst Grünzeug beliebt, sondern ausgerechnet das, was im Westen kulinarisches No-Go ist: Fleischimitationen nämlich. Das geht dort weit über das hier beheimatete Tofufrikadellchen hinaus - es gibt in Peking Restaurants, in denen man aus pflanzlichen Produkten Haifischflosse, Aaleintopf und sogar Schweinebauch nachbaut (die Schwarte aus Tofuhaut, die Fettschicht aus Yamswurzelmehl und das Fleisch aus Pilzen und dem Kuchen, der beim Pressen von Erdnussöl übrigbleibt).

Im Tianfuzius geht man dieses Thema etwas weniger ambitioniert an. Die nette Kellnerin empfiehlt "Vegetarisches Gongbao-Huhn" und "frittierte Calamariringe", die man dann auch eher der einfacheren Seite des kulinarischen Spektrums zuordnen darf: Zwar sind die zäh-seidigen Seitanringe knusprig in einer mit Kumin, Szechuanpfeffer und Salz gewürzten Panade ausgebacken und dem Original von der Konsistenz her so ähnlich, dass wohl kaum jemand einen Unterschied bemerken würden - das Vorbild sind dann aber halt doch nur frittierte Tintenfischringe. Das ebenfalls aus Seitan bestehende Hühnchen erinnert in Farbe und Faserigkeit durchaus an Fleisch, nur eben nicht gerade an Bresse-Geflügel. Es ist ein bisschen gummiartig, ungefähr so, wie wenn Hühnerkeule nicht besonders gut durchgeschmort ist. Darüber hilft auch die süß-salzige Sauce mit Erdnüssen, Paprika, Zucchini und Zwiebeln nicht hinweg, die ein bisschen arg auf der Sojasaucenseite ist (alle Hauptgerichte zehn bis 15 Euro).

Für ihre Desserts werden asiatsche Restaurants selten berühmt, und auch hier sind sie - nun ja. Der Chiapudding ist zwar ganz ordentlich, aber natürlich nicht gerade eine Reminiszenz ans Reich der Mitte (an das von Berlin-Mitte schon eher). Die zähen Klebreisbällchen im Kokosmantel mit schwarzer Sesamfüllung kann mal probieren, wer eine besonders innige Vorliebe für Germknödel hat. Die gebackenen Bananenbällchen aber sind matschig und so trostlos wie eine verdreckte Straßenecke am Neujahrsmorgen - und das nach dem Aromenfeuerwerk am Anfang des Abends.

© SZ vom 05.01.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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