Lokaltermin:The Gunton Arms

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In diesem Pub in Norfolk zeigt ein Kunsthändler Teile seiner Sammlung; entstanden ist ein Museum, in dem wie zufällig auch gute Steaks serviert werden.

Von Marten Rolff

Seit gut zehn Jahren sorgen sich die Briten nun über das Pub-Sterben, und noch immer ist kein Ende abzusehen. Mehr als 12 000 Kneipen haben seit der Jahrtausendwende dichtgemacht, derzeit schließen etwa 30 pro Woche. Bessere Country Pubs sind dem Gästeschwund schon früh mit der Aufwertung ihrer Küche (und Zimmer) begegnet und verschönern nun die kurzen Wochenenden der gestressten City-Klientel mit tröstender Retro-Seligkeit im Shabby Look. Ihr Spiel mit der Tradition wird immer professioneller. Doch wer wirklich wissen wolle, wie man ein Pub pimpt, so seufzen englische Stil- und Kulinarikkompendien, der müsse nach Thorpe Market in Norfolk fahren. Dort hat Ivor Braka, Kunsthändler aus Chelsea, ein Landgasthaus geschaffen, das zugleich Sehnsuchtsort ist, eine Art Tagtraum für die Maschine Mensch in den öden Meetings zwischen Tower- und Albert Bridge. "The Gunton Arms" ist ein Prototyp-Pub, neben dem selbst die kuscheligste Design-Oase wie Anfänger-Gastronomie wirkt.

Norfolk liegt zwei bis drei Autostunden nordöstlich von London, die Queen unterhält hier ihren Landsitz Sandringham, die Grafschaft gilt als so beschaulich wie bescheiden, doch ein Geheimtipp ist sie längst nicht mehr. Die weiten Himmel hier haben immer schon Landschaftsmaler angelockt, die breiten Strände dienen bisweilen Hollywood als Kulisse, und wer mit dem Auto unterwegs ist, sollte auf Fasane und Rebhühner achten, die hier häufig die heckengesäumten Straßen kreuzen. So zuckelt man also durch das grüne, hügelige Hinterland zwischen den Nordseebädern Wells und Cromer, und gerade als sich das Gefühl einstellt, idyllischer kann es nun kaum noch werden, kommt der Park des Landsitzes Gunton Hall. 400 Hektar wie von Jane Austen erdacht, mit monumentalen Eichengruppen, dekorativ vorbeidefilierendem Rotwild und Sichtachsen, wohin man blickt.

Ihre surreale Perfektion verdankt die Anlage vor allem der Investitionslust von Ivor Braka, einem bedeutenden Sammler von Gemälden von Francis Bacon und Lucian Freud. Braka hat den einst verwahrlosten Landschaftspark über zwanzig Jahre in seine ursprüngliche Form aus dem 18. Jahrhundert zurückführen lassen (Spaziergänge sind nicht erlaubt, der Chef wohnt zeitweise auf dem Gelände, und es wird gejagt). Schließlich heuerte er noch zwei der bekanntesten Innenausstatter des Landes an, um das frühere Farmhaus von Gunton Hall in ein Pub zu verwandeln. Mit solchem Detailfanatismus, dass man als Gast stets versucht ist, die Nachbildungen als mustergültig authentisch zu begreifen, ob bei den dekorativ gealterten Sandsteinfliesen, den schweren Kaminen oder der Patina der gerade einmal vier Jahre alten Stuckleisten. Braka hat aus aller Welt zusammentragen lassen, was ihm gefiel, vieles davon ist wirklich alt, nur eben oft nicht von hier. Für die Küche holte er sich Rat beim kunstsinnigen Londoner Szenekoch Mark Hix ("ein Freund", natürlich), der sogleich seinen früheren Küchenchef Stuart Tattersall nach Norfolk entsandte. Zuletzt stopfte Braka sein Gastropub dann so voll mit Stücken aus seiner privaten Sammlung, dass der Wert der Wandbehänge den des Gebäudes weit übersteigen dürfte.

(Foto: N/A)

Das ist das Spannende am Gunton Arms: Dass da jemand in Zeiten von Pub-Sterben, Konzeptgastronomie, Hipsterköchen und miesem Retro-Chic maximal systematisch an eine Restaurantgründung herangeht - um doch etwas komplett Eigenes, Unnachahmbares zu schaffen. Ein Traditionslokal als Museum für moderne Kunst. Hier ist das Fake das Original. Warum das funktioniert? Das könnte daran liegen, so möchte man den vielen Konzeptgastronomen zurufen, dass Brakas Projekt etwas hat, das in der Restaurantwelt aus der Mode zu kommen scheint: Seele. Wenn auch zugegebenermaßen eine mit teuflisch viel Geld im Kreuz.

Der Gründer selbst lässt sich für Homestorys gern mit professoral verwuscheltem Haar und Gene-Simmons-Make-up ablichten. Über sein Projekt sagt er in Interviews nur, er habe eben einen Ort "für alle" schaffen wollen, für Briefträger und Förster ebenso wie für den Norfolker Landadel oder das Goldknopfpublikum des Londoner Bankendistrikts. Ein Lokal, das man mit eingesauten Gummistiefeln oder mit Stilettos betreten kann.

Dementsprechend gemischt ist das Publikum, ob an der holzvertäfelten Bar, wo sich ein paar Locals zum Southwold Bitter versammelt haben, oder am Snookertisch. Wer die vergleichsweise bescheidene Tür einmal passiert hat, merkt schnell, dass das Essen, so wichtig man es im Gunton Arms auch nehmen mag, hier Schwierigkeiten hat, die Hauptrolle zu spielen. Weshalb auch dieser Text mehr Museumsführung als Restaurantkritik sein muss.

Das beginnt schon im Speisesaal, dem "Elk Room", der anmutet wie eine kanadische Hunting Lodge und seinen Namen einem gut drei Meter breiten Elchgeweih über dem nicht minder riesigen Kamin verdankt. Das Geweih erweist sich als 10 000 Jahre altes Fossil aus Irland. Direkt darunter widmet sich Tattersalls Crew liebevoll den Ribeye- und Sirloin-Steaks, und wenn der Rauch des Holzfeuers nicht nur das Fleisch aromatisiert, sondern auch das sündteure Geweih, dann nimmt man das hier gelassen. Wie es sich für ein gehobenes Gastropub gehört, ist die Karte Edelfleisch-lastig und regional. Die Steaks - (ein Stück aus der Hochrippe für zwei Personen zu etwa 80 Euro, inklusive Beilagen, die Portion reicht für drei) - sind perfekt, außen kross mit schönen Röstaromen, innen schmelzig. Und viele Details verraten, dass die Küche ihr Handwerk ernst nimmt- jedes Gemüse hat Biss, die Röstkartoffeln sind in Gänseschmalz gebraten, die butterweichen Ofenkartoffeln: natürlich Rote King Edwards.

Und doch zieht es Gäste immer wieder weg vom Tisch, hin zu weiteren Rundgängen durchs Haus. Schon die Teller über der Bar zieren Aktzeichnungen der britischen Turner-Preis-Trägerin Tracey Emin, von der auch die Neon-Schriftzüge über den Türen stammen. An den Wänden hängen Bondage-Fantasien des japanischen Starfotografen Nobuyoshi Araki neben einer Serie der Portugiesin Paula Rego, die Frauen Rotwein in Kloschüsseln erbrechen lässt. Die poppigen Landschaften des New Yorker New Gothic-Artisten Alexis Rockman (hier mit kopulierenden Dinosauriern) sind ebenso zu bewundern wie Bilder von René Magritte oder Collagen des britischen Porträtmalers Jonathan Yeo, dem Tony Blair, David Cameron oder Prinz Philip Modell standen. Auf dem Flur trifft man auf Werke von Gilbert& George, und wer die netten Kellner hier fragt, was es zu bedeuten habe, dass für Damien Hirst-Originale nur auf der Damentoilette Platz war, stößt auf gespielte Entrüstung: "Das Klo ist doch der beste Platz, denn da kommt jeder irgendwann vorbei."

An diesem Punkt ist die feine Spargelsuppe fast in Vergessenheit geraten, ebenso wie die eingelegten Beten im Blütensalatbeet mit Walnuss und Blauschimmelkäse; was bei der Konkurrenz an den Wänden kein Vorwurf sein kann. Denn das Essen ist ja gut, das Fleisch der Cromer Crab, eine Spezialität der Region, ist süßlich butterig zu schöner Zitronenmayonnaise und das Lammkarree eines der zartesten, an das man sich erinnert. Nur der Honig-Käsekuchen mit Ingwer-Eis und das Pistazien-Parfait wirken seltsam lahm und verkünstelt. Und auf der Dessertkarte fehlt ein fetter englischer Pudding!

Am Ende hat man ganz wunderbar, reichhaltig und mit etwa 75 Euro pro Person (drei Gänge, Getränke inklusive) für den Standard bezahlbar gegessen. Wenn auch das Gefühl bleibt, in der besten Museumskantine des Landes gewesen zu sein - für einen Koch ein eher zweischneidiges Kompliment.

Einfach vorbeischauen kann man in der Kantine übrigens nicht. In der Saison sollte man nicht vergessen, zwei bis vier Wochen im Voraus zu reservieren.

© SZ vom 20.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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