Lokaltermin:Storstad

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Das puppige Regensburg wird bei Tisch zur Metropole: im Storstad, bei Fjordforelle, Silverhill-Ente und exotischen Gaumentorpedos.

Von Max Scharnigg

Beizeiten muss man auch mal über die Homepages von großen Restaurants nachdenken. Im Falle des Storstad in Regensburg zeigt die Seite zum Beispiel ein raumgreifendes Bild klirrender Innenarchitektur, in der man verschwommene Rentner erahnt, die an sehr kantigen Tischen lose verstreut herumsitzen. Es fröstelt den Betrachter bei der Vorstellung, demnächst Teil dieser dramatisch ausgeleuchteten Interieur-Performance zu werden.

Zum Glück empfängt einen das Storstad (schwedisch für Großstadt) in echt, wenn man also im fünften Stock einer imposanten Patrizier-burg leibhaftig aus dem Aufzug tritt, viel netter: Mit einem warmen, nordisch inspirierten Gastraum, handfest akzentuiert mit Eiche und Beton und einer sagenhaften Altstadt-Terrasse, die im Sommer als Beweggrund für einen Besuch reichen würde. Es sitzen auch gar nicht nur die Senioren vom Foto herum, sondern hübsch gemischtes und nur dezent krawattiertes Publikum, sogar Kinder. Die jungen Kellner wirken mit ihren Jeans und massiven Hosenträgern bauernlümmelig, sind aber sehr freundlich. Der Mann, der sich all das ausgedacht hat, trägt den passenden Namen Anton Schmaus und ist trotz seiner 34 Jahre schon viel unterwegs gewesen, in Skandinavien hat er ebenso gekocht wie in New York, wobei der Norden wohl insgesamt mehr Eindruck in Topf und Tapetengestaltung hinterlassen hat, er ist auch mit einer Schwedin verheiratet. Im Storstad hatte er sich binnen Jahresfrist seinen Stern aus dem "Historischen Eck" wieder erkocht, eine respektable Leistung.

Der durch einen auslaufenden Mietvertrag erzwungene Umzug scheint sich auch sonst zu bewähren, hier oben gibt es neben der Terrasse noch eine hübsche Bar, die eine sehr nette kleine Barfood-Karte mit sich bringt. Die Karte im Restaurant verzeichnet abends ein Fünf-Gänge Menü für 95 Euro ohne Wein, das tönt selbstbewusst. Es beginnt ziemlich pronto mit einer Maispraline und der Erkenntnis, dass die Kellner allesamt so groß sind, dass man als Gast stets hilflos auf Augenhöhe mit ihrer Gürtellinie sitzt. Na, ja. Die drei schnell abgefeuerten Küchengrüße spielen aber ein schön saisonales Lied: Mais, dann ein Paprikasüppchen mit Zitronenschaum, gefolgt von Linsen, Kräutersaitling und Birnen. Wäre das Mode, würde man sagen, gedeckte Töne und erdige Tendenzen sind im Trend. Die Häppchen verraten nicht zu viel, lassen aber das Thema des Abends schon mal anklingen: klassische Harmonien und asiatisch-fruchtige Störung. Der richtige Auftakt zum Menü ist dann gleich der Höhepunkt, ein fragmentiertes Sushi, lose geschichtet. Reis, Fjordforelle, Tranche von Jakobsmuschel und darüber der sehens- und schmeckenswerte wasabigrün gefärbte Kaviar vom Fliegenfisch. Eiweiß und Jod in ihrer schönsten Form! Auch wenn Fliegenfisch und Fjordforelle in keinem Artenlexikon verzeichnet sind - es handelt sich um Fliegenden Fisch und eine Regenbogenforelle, die im Salzwasser aufwachsen durfte -, dieser Teller rechtfertigt jede blumige Beschreibung. Sehr gut balancieren sich die Wasabischärfe an den knackenden Kaviarkügelchen und der rohe Fisch aus, so dass man mitten in der Regensburger Altstadt kurz das Meer sieht.

(Foto: N/A)

Also, ein schöner Schlag! Die Wartezeit bis zum nächsten Gang vertreibt ein unterhaltsamer Brotkranz, der sich gut in die angenehme Tischgestaltung fügt. Die kleinen Brötchen sind unterschiedlich aromatisiert und weisen deutlich in Richtung Nordic Cuisine, das dazu gereichte Blumenkohl-Schmalz schmeckte allerdings genauso, wie das Wort aussieht. Ganz lokal wird der nächste Gang: Zander, Sauerkraut, Händlmaier-Senf, Tribut an Regensburg und die Donau, den Kitzel besorgt in diesem Fall gewürfelte Mango, die dem Sauerkraut so ausgezeichnet seinen Schneid abkauft, dass man bereit ist, diesbezügliche Familientraditionen sofort über Bord zu werfen. Das dicke Zander- Loin selbst, mit seiner krossen Haut ist gut, aber nicht so, dass man das Verlangen hätte, jemanden anzurufen. Das gilt auch für die beiden Fleischgänge in Gestalt von Milchferkel und Silverhill-Ente. Die Fleischqualität ist natürlich jeweils tadellos, aber wenn schon qua Name, Fjordforelle, Milchferkel, Silverhill-Ente, so dezidiert Besonderheit markiert wird, erwartet der Gaumen doch eine Extra-Fanfare. Der Gast ist in diesen Preisklassen eben auch ein bisschen in Zirkuslaune und will laut "Aaaahhh!" machen.

Die Pointen auf den Tellern werden immer ähnlich gesetzt. Was beim Zander die Mango war, sind beim Ferkel Ananaswürfel und bei der Ente ein Allerlei von Quitte, das supersoigniert und herbstlich in der dunkelwarmen Geflügelaura stöbert. Handwerklich ist das alles sehr souverän inszeniert, Anton Schmaus lässt auf seinen Tellern den Hauptrollen ihren Raum und wirft ihnen nur sehr artige Knüppel zwischen die Beine. Er kann sein Fernweh fein dosieren und versetzt den Gast im Laufe der fünf Gänge in eine wohlige Hochstimmung, die nichts vermissen lässt, außer eben vielleicht ein klein bisschen Nervenkitzel, eine Gaumen-Volte, an die man nach einer Woche noch denken muss.

Den Abschluss bildet ein überaus stimmiges Techtelmechtel von Kürbiskuchen und Sanddorn. So deftig hat schon lang kein Dessert geschmeckt, es ist fast wie ein Scherz des Kochs: Obst hatten die anderen Gänge schon genug, beim Dessert wird deswegen absichtlich darauf verzichtet. Der komplexe Kürbishupf ist aber durchaus eine Wohltat, denkt man an die Fruchtspiegel und Schaumschläge, die es sonst so als Endrunde gibt. Es folgt noch eine hippe händische Kaffeefilter-Prozedur bei Tisch, die einen wieder daran erinnert, wie jung Anton Schmaus eigentlich ist. Über den Gerichten hätte man das fast vergessen.

© SZ vom 14.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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