Lokaltermin:Relae

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In der gehobenen Gastronomie wird gerade überall die neue Lässigkeit beschworen. Das Relæ in Kopenhagen hat sie längst umgesetzt und ist Vorbild für eine moderne Spitzenküche.

Von Katharina Seiser

Die global zuletzt etwas aufgeblasene Edelgastronomie krankt an diversen Malaisen. Und es mag erst einmal nicht verwundern, dass ausgerechnet ein Restaurant im bei Gourmets sehr populären Kopenhagen den Schlüssel für viele ihrer Probleme gefunden hat. Es handelt sich bei diesem Restaurant aber nicht um das weltbekannte Noma, sondern um ein kleines Souterrain-Lokal in der Jægersborggade, einer Gasse im westlichen Stadtteil Nørrebro. Sie gilt heute als hip , war aber früher bekannt als Drogenumschlagplatz und schwieriges Pflaster.

Christian Puglisi, in Sizilien geborener Sohn eines Italieners und einer Norwegerin, wählte den Standort vor fünf Jahren nur, weil es der einzig bezahlbare war und ihm keine Bank Geld gab. Sein Relæ ist schlicht eingerichtet: Ziegelmauern, weiße Wände, offene Küche. Auf den Eichenholztischchen stehen Wassergläser, aber keine Teller, kein Besteck, keine Servietten. Es laufen die Stones, und ein junger Koch bringt eine dicke Scheibe frisches, großporiges, dunkel und knusprig gebackenes Sauerteigbrot und Olivenöl. Moment, Olivenöl? Die halten sich hier aber nicht sehr konsequent an die neue nordische Küche, ist der strebsame Gast versucht zu denken. Doch da geht es schon norditalienisch weiter: mit einer Bagna cauda, einer Art Fondue, wie man sie sich im Piemont immer wünschen würde: sämig, cremig und von salziger Sardelligkeit, also perfekt zu den fingerdicken rohen Gurken, die zum Dippen gereicht werden.

(Foto: N/A)

Nun wäre eine Serviette praktisch. Und die steckt in einer Schublade unter der Tischplatte: Die aus Holz gefrästen Vertiefungen bieten millimetergenau kalkulierten Platz für Besteck, Stoffserviette und das Blatt, das die Karte ersetzt. Es gibt zwei Menüs, vier oder sieben Gänge für 450 oder 725 Kronen (60 oder knapp 100 Euro), auf Wunsch vegetarisch. Auf dem Zettel steht noch: Man koche gern aufwendig, richte aber betont einfach an. Gemüse stehe im Zentrum, die Zutaten seien Bio-zertifiziert, und das Wifi-Passwort laute relæ411. Während die Lade heute dazu dient, dass die Tische frei von unnötigem Zinnober bleiben, hatte ihre Erfindung ebenso finanzielle Gründe wie der Standort des Lokals, die Konzentration aufs Gemüse und die wenigen Komponenten auf dem Teller. Wenn sich die Gäste ihr Besteck selbst hervorholen, braucht man weniger Service. Weniger Komponenten erfordern weniger Küchenpersonal. Und wenn man viel mit Gemüse kocht, ist der Wareneinsatz für Fisch und Fleisch in hoher Qualität niedriger. Was bei der Eröffnung clever war, hat sich heute zu einem Konzept verdichtet, welches das Relæ zum Vorbild für eine entspannte, entschlackte und verantwortungsvolle Küche macht. Voilà, da ist sie, die gerade so oft beschworene, aber leider so selten umgesetzte lässige Moderne in der Spitzengastronomie.

Als erster Gang kommt Sellerie als hauchdünne Ravioli, mit Algencreme und schwarzen Oliven. Frisch, klar, sauber, wie das feuchte Tuch in japanischen Restaurants zu Beginn, nur für den Gaumen. Das Essen servieren Koch oder Köchin. Den Wein schenkt der fast betont zurückhaltende Service aus - all natural, ein Dogma (obwohl Puglisi betont, keines zu verfolgen), das hier schon galt, als die meisten Gäste (und Wirte) noch nicht einmal wussten, was das ist.

Die kurz in Essig marinierte, rohe Makrele mit gegarten Blumenkohlbröseln und eingelegter Bergamotte ist ein Relæ-Klassiker der ersten Stunde. Und ein Hinweis auf das, was Puglisi so unverwechselbar macht: seine Biografie und seinen Lebensmittelpunkt auf den Teller zu bringen. Dann folgt ein Berg in hauchfeine Chiffonade (Streifen) geschnittener Salat. Wer Puglisis Buch "A Book of Ideas" kennt: Es ist das Gericht auf dem Cover. Im Relæ wird gern Verstecken gespielt: Unter dem Salat sind fermentierte knackig-saftige, warme Salatherzen mit geräucherter Mandelmilch zu finden. Ein so befriedigender wie überraschender Gemüsegang. Auch der nächste Teller zeigt die Meisterschaft: eine ganze, dehydrierte und in Butteremulsion rehydrierte Zucchini von bis dahin ungefühlter Konsistenz, serviert mit Ampfer und Sauerklee. Ihr Biss ist ledrig-elastisch, wie man ihn vielleicht von Austern- oder Shiitakepilzen kennt, innen ist sie saftig, cremig, gewälzt in einem Pulver aus Kräutern und der Zucchinischale.

Das perfekte Huhn kommt pochiert mit Magen und Leber unter knuspernden Hühnerhautbröseln mit weichen Kohlblättern, die darüber drapiert sind wie edler, schwerer Stoff. Nach einem Gougère mit skandinavisch-süßlichem Käse wird als Dessert Pfifferlingsmousse mit Apfelgranité serviert. Es liegt unter einem wie Erde aussehendem Crumble aus Waldbeeren, auf dem einige Pfifferlinge platziert sind. Grenzen ausloten und sie leichtfüßig zu überschreiten - das scheint Puglisis Motto zu sein.

Mittlerweile gehören nicht nur das Relæ und direkt gegenüber die Weinbar Manfreds, sondern auch die Pizzeria Bæst mit hausgemachter Mozzarella und Charcuterie sowie die Bäckerei Mirabelle zu Puglisis kleinem Reich. Alles Bio-zertifiziert, so als wäre es selbstverständlich, dass bestmögliche Zutaten auf einen treffen, der sie so köstlich und richtungsweisend auf die Teller bringen kann. Und ja: Puglisi war zuvor im El Bulli und Souschef im Noma. Das Relæ hat einen Michelin-Stern und steht auf der Liste der 50 besten Lokale der Welt. Das muss man aber nicht wissen, um hier eine gute Zeit zu haben.

© SZ vom 21.11.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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