Die türkische Gastronomie in Berlin ist - vorsichtig formuliert - konservativ. Nach Restaurants mit feinen oder gar modernen Ansätzen muss man erstaunlich lange suchen, findet Harriet Köhler. Fündig wird man weder in Neukölln noch in Kreuzberg, sondern ausgerechnet in Prenzlauer Berg. Dort kochen Osmans Töchter - zeitgemäß, frisch und manchmal fast schon aufregend.
Es gibt kaum eine Küche, die sich so bockig jeder Modernisierung zu verweigern scheint wie die türkische Küche in Deutschland. Die Burger-Bude ist längst regional und bio, im Asia-Imbiss serviert man statt Frühlingsrollen Happy Rolls und Pheel Good Soups, Sternemenüs werden von tätowierten T-Shirt-Trägern an den Tisch gebracht, und selbst im bayerischen Wirtshaus hat man inzwischen von Vegetariern gehört. Türkisches Essen dagegen wird immer noch vor allem mit Fleischbergen aus dem Tontopf und Köfte vom Grill assoziiert, serviert im Interieur aus opulenter Orientfolklore - oder, gefühlt viel authentischer, auf weißen Plastikstühlen. Leider muss man sagen, dass dieses Klischee oft keines ist - was nicht heißt, dass die klassischen Restaurants per se schlecht sind oder zu Unrecht seit Jahrzehnten erfolgreich. Aber eine verfeinerte moderne türkische Küche ist trotzdem schwer zu finden. Erstaunlich, wenn man sieht, wie populär schon bescheidenste Neuinterpretationen sind: Vor "Mustafas Gemüsekebap" in Kreuzberg etwa steht sich die Kundschaft tags wie nachts die Beine in den Bauch, und das bloß, weil die Döner dort mit Tiefkühlgemüse und frischen Kräutern upgegradet sind.
Dass es anders geht, beweist seit ein paar Jahren ein Lokal, das weder in Kreuzberg noch in Neukölln, sondern nahe dem Helmholtzplatz in Prenzlauer Berg angesiedelt ist, und das nicht auf schweres Schnitzwerk und kitschige Lüster setzt, sondern auf bunte Stühle und Vintage-Deckchen, auf rohe Ziegelwände und blanke Lüftungsrohre - ein Stil, der anderswo vielleicht keinen mehr vom Hocker hauen würde, in der türkischen Restaurantszene jedoch einer Revolution gleichkommt, quasi einem Gastro-Gezi.
Dabei stellt das trubelige "Osmans Töchter" die türkische Küche nicht einmal auf den Kopf, wie schon ein Blick in die offene Küche beweist: Da stehen nämlich ganz normale türkische Hausfrauen aus dem Bekanntenkreis der zwei Gründerinnen neben einem deutschen Jungkoch, der bloß eingestellt wurde, weil sich kein türkischer Koch finden ließ, der nicht wie in den 70er-Jahren zubereitet - und der den traditionellen Meze aus der ägäischeSpitzpaprika mit Tulum, bei der die gebacken, der Istanbuler und der Antalya-Küche unbekümmert einen frischen, zeitgemäßen Twist mitgibt.
Das Hühnchen mit Walnuss etwa, eine Art Rillettes aus zerpflücktem Geflügelfleisch mit Nüssen, das hier jedoch mit einem Hauch Sesam verfeinert wird. Oder auch die kalt servierten Lauch & Möhren, eigentlich simple Hausmannskost, für die Möhren langsam in einem Sud mit Lauch geschmort werden und der hier ein Hauch Orangenschale fruchtige Tiefe gibt. Fast schon Ottolenghische Qualitäten hat die Ofen-nen roten Schoten mit einem salzig-würzigen Nomadenkäse aus Ziegenmilch gefüllt werden: Korinthen verleihen dem Ganzen süße Akzente, Basilikum eine pfeffrige Frische, Pinienkerne einen zarten Biss. Einen ähnlichen Kontrast machen sich auch die süßen karamellisierten Zwiebeln zunutze, die sich in einen cremig-würzigen Ziegenkäse hüllen und mit Mandeln und Oregano verfeinert sind. Eher kein Highlight hingegen sind die mit Lammhack gefüllten Manti, winzige, bunte Nudeltäschlein aus zähem Teig, die klassisch mit Joghurt und Paprikabutter serviert werden und in dem bunten Aromenspektakel der Meze ein bisschen untergehen. Auch der eigentlich sehr saftig gegrillte marinierte Hühnerschenkel kann mit dem begleitenden Salätchen aus roten Zwiebeln nur wenig Kontrast auf den Teller bringen. Den gut gewürzten Bulgurbällchen mit Hackfleisch und Haselnüssen verleiht Bohnenkraut eine gute Eintopfnote, während ein Hauch Schwarzkümmelöl ihnen einen angenehmen Schubs gibt - sie leiden allenfalls darunter, dass sie mit ihrer ledrigen Haut bloß aufgewärmt wirken und nicht frisch frittiert (Meze 4,50 bis 13,90 Euro).
Genial dann die Desserts, die weit über die üblichen Baklava und Künefe hinausgehen - allen voran die frische Joghurtmousse mit Zimt und Haselnüssen, der ein süßfruchtiges Tomatenkompott eine unterhaltsame Note gibt. Auch die süße Milchcreme mit Apfelkompott und Walnüssen macht Spaß, denn sie wird durch eine Kruste aus knusprigem Engelshaar akzentuiert, die dafür sorgt, dass aus dem Pudding kein Kindernachtisch wird (Desserts um fünf Euro).
Die nicht so schlecht sortierte Weinkarte hat ihren Schwerpunkt auf Österreich und Deutschland, und darauf sollte man sich bei der Getränkewahl auch konzentrieren - der Kayra Narince zumindest macht die Weinregion Zentralanatolien auf Dauer vermutlich eher nicht berühmt (0,1 Liter für 3,70 Euro). Ein Besuch bei "Osmans Töchter" jedoch ist eine unbedingte Empfehlung - es gibt sie, die weltoffene, moderne Türkei in Deutschland, bloß halt nicht immer dort, wo man sie suchen würde.