Lokaltermin:Nonna Nina

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Futtern wie bei Großmuttern - aus dieser Sehnsuchtsformel haben italienische Gastronomen ein so bewundernswertes wie köstliches Geschäftsmodell gemacht.

Südöstlich von Genua ragt der Monte Portofino empor. 600 Meter hoch und dicht bewaldet, fällt er an der Küste dramatisch steil zum Meer ab. Eingerahmt wird er auf der einen Seite von dem Hafenort, der ihm seinen Namen gab, dem pittoresken Portofino - im Sommer hoffnungslos überlaufen, da hier der internationale Jetset vor Anker geht und promibeseelte Touristen anzieht, die gern sehnsüchtig auf die blickdichten Fenster der Luxusyachten starren. Auf der anderen Seite des Berges liegt Camogli, die wahre Schönheit am Golfo Paradiso, wenn auch längst keine stille Schönheit mehr.

Wer sich dem Julitrubel am Strand entziehen möchte, geht bergauf, ins Dorf San Rocco. Dort hat man vom Vorplatz der barocken Kirche aus einen spektakulären Blick aufs Meer. Die Aussicht, die kühle Brise, der Duft der Pinien und die Ruhe hier sind eine großartige Belohnung für den Aufstieg. Steigern lässt sich das nur durch einen Besuch bei "Nonna Nina" ("Oma Nina"), seit der Apotheose regionaler Küche eine Pilgerstätte für Kulinariker, die an der ligurischen Küste unterwegs sind und weg wollen vom Spaghetti-al-Pesto-Einerlei. Was das Feiern der Regionalküche betrifft, so hat Italien als Nucleus der Slow-Food-Bewegung und mit all seinen "Wie-bei-Mama-und-Oma"-Lokalen einen echten Standortvorteil. Und der wird angemessen vermarktet. Sogar Restaurants mit dem Namen "Nonna Nina" gibt es auf der ganzen Welt, ob in Palermo, ob als Deli im englischen Peterborough oder als Bahnhofstraßen-Pizzeria in Obersulm-Eschenau. Die in den einschlägigen Gastroführern gelobte "Nonna Nina" von San Rocco ist aber ein etwas anderes Kaliber.

Selbstredend ist auch hier der Name Programm. Tradition und die Botschaft "Oma ist die Beste" werden bis ins Detail durchdekliniert. Auf der Karte (im ligurischen Dialekt verfasst!) steht Hausmannskost nach Großmutters Rezepten. Das Lokal ist in einem Wohnhaus untergebracht, mit Esszimmer, Wintergarten und Terrasse. Alles vermittelt die Atmosphäre einer Einladung mit Familienanschluss. Gemüse und Kräuter kommen aus dem eigenen, üppigen Garten, es wird nur bestes Olivenöl aus der Region verwendet, der Fisch ist fangfrisch, Focaccia und Pasta sind hausgemacht, und der Wein kommt vom lokalen Winzer. Naturalmente.

Wir freuen uns auf einen eiskalten Weißen (18 Euro die Flasche) aus den Cinque Terre (gehören quasi noch zur Region). Leider lässt die Signora, deren raubeiniger Charme gewöhnungsbedürftig sein mag, aber gut zum rustikalen Konzept passt, ihn lauwarm servieren. Doch das kann entspannte Urlauber, die den Blick auf Camogli genießen, nicht erschüttern. Zumal die Focaccia hier tatsächlich ein Vergnügen ist.

Auch die kalte Vorspeise nach Art des Hauses (Antipasto di Mare zu 14 Euro) löst alle Versprechen ein. Neben den hauchzarten Sardellen in Zitronenmarinade gibt es feine, gelierte Fischpastete, saure Rotbarbe, süß-sauren Thunfisch mit eingelegten Weintrauben und würzige Kalmarringe mit im Tomatensud eingekochten Oliven - so abwechslungsreich wie ungewöhnlich also. Nur das Antipasto alla Nonna (12 Euro) enttäuscht ein wenig. Aufgetragen wird ein hübsch anzuschauendes Potpourri aus Gemüsetorte und windbeutelgroßen, dreieckigen warmen Teigtaschen, die mit Stracchino und Gorgonzola gefüllt sind. Die Teigtaschen pappen trotz flüssiger Käsefüllung im Mund; Grünkohl, Frühlingzwiebel und Zucchini verlieren sich geschmacklich im Ei-gebundenen Auflauf.

(Foto: N/A)

Der gefüllte Kalmar als Hauptgang (18 Euro) macht das aber wieder wett. Knackig klar in der Konsistenz, wie nur ein Frischfang sein kann, ist der in Sud gegarte Pulpo - und er umhüllt eine schmackhafte Kombination aus gehackten Tintenfischärmchen, Artischocken und Kartoffeln, abgerundet durch einen Hauch Estragon. Gekochter Tintenfisch mag nicht jedermanns Sache sein, Nonna Nina aber zeigt: Er ist eine echte Alternative zur frittierten Variante.

Das Interessante an der ligurischen Traditionsküche ist, dass sie gleichermaßen auf Fisch und Fleisch setzt. Ob das hier servierte Kaninchen zu Lebzeiten über den Monte Portofino hoppelte und von der Signora persönlich erlegt wurde, mag man zu Recht bezweifeln. Das deftige Gericht spricht dennoch Jägersprache: Nur leicht angebraten, in Weißwein geschmort und mit kräftigem Rosmarinaroma versehen, verbreitet es einen herrlichen Duft. Kleine, würzige Oliven, die für Ligurien so typisch sind, verstärken die Intensität. Die Pinienkerne gehen da naturgemäß etwas unter. Dazu gibt es - für die Gegend durchaus charakteristisch - Kartoffeln. Klar, dass man daraus Quetschkartoffeln mit Sauce machen muss, köstlich. Allein, das Fleisch kann da nicht ganz mithalten. Hobbyköche wissen, wie leicht Kaninchen trocken gerät. So auch hier. Schade. Hungrig ist da aber schon lange keiner mehr. Doch ein Stück Kuchen als Nachspeise geht immer. Pfirsich mit Limonencreme auf Mürbeteig (6 Euro) ist zusammen mit dem Espresso ein ordentlicher Abschluss.

Dann ist es Zeit für den Heimweg. Schon als wir nach Camogli hinabsteigen, in die nächste wunderbar laue Sommernacht, beschließen wir wiederzukommen. Schon der Heimeligkeit und des Ausblicks wegen. Und der Qualität aller Zutaten. Doch würde man der Signora wünschen, dass sie sich nicht zu sehr auf dem Erreichten ausruhen möge. Die Konkurrenz ist längst aufgewacht. Auch unten, in Camogli, gibt es jetzt mancherorts Teigtaschen mit Stracchino. Und wenn man sich nicht getäuscht hat, dann waren die sogar einen Tick besser als die der Nonna.

© SZ vom 08.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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