Lokaltermin:Landwert-Hof

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Mecklenburg-Vorpommern ist mit guter Gastronomie nicht eben gesegnet. Der ökologisch geführte Landwert-Hof Stahlbrode nahe der Rügen-Fähre ist da eine Insel der Qualität. Mit guter Küche. Doch wo sind bloß die Gäste?

Mecklenburg-Vorpommern ist mit guter Gastronomie nicht eben gesegnet. Und mancherorts boomt dort die Massentierhaltung. Der ökologisch geführte Landwert-Hof Stahlbrode nahe der Rügen-Fähre ist da eine Insel der Qualität. Mit eigener Schlachtung und guter Fleischküche. Doch wo, so fragt unsere Autorin Harriet Köhler, sind bloß die Gäste?

Wer im Frühling von Berlin aus die Landstraße in Richtung Ostsee nimmt, dem kommt doch allen Ernstes der Altkanzler in den Sinn. Blühende Landschaften - aber wirklich! Man kann kaum aus dem Fenster spucken, ohne irgendeinen Nationalpark zu treffen, ein Biosphärenreservat, ein Naturschutzgebiet. Glitzernde Seen! Buchenwälder! Pittoreske Dörfer! Pastorale Baumgruppen im Sonnenlicht! Jedoch: Wie es sich für eine echte Idylle gehört, trügt sie. Denn was hier nach der Wende wirklich erblühte, ist die kaum sichtbare "landlose Tierproduktion": die Megaställe der Fleischindustrie.

"Mega", das ist ausnahmsweise nicht übertrieben. Denn auch, wenn es anderswo größere Nutztierbestände gibt (das "Schweineland" Niedersachsen bleibt in Sachen Viehzucht führend), sind die Anlagen nirgends so riesig wie hier. Drei Beispiele: Im Spreewald gibt es einen Schweinemastbetrieb mit gut 60 000 Plätzen. Bei Anklam steht eine Rindermast mit knapp 20 000 Tieren. Und das mecklenburgische Örtchen Bassin hat eine Hähnchenmastanlage für fast eine Million Vögel. Der Konzentrationsprozess, der diesen Zahlen zugrunde liegt, betrifft natürlich längst nicht nur die neuen Bundesländer: Nur, wer in Größe investiert, überlebt. Doch im Osten wurde die Entwicklung besonders beschleunigt, weil die Politik Investoren für Intensivtierhaltung mit Fördergeld lockte - in der Hoffnung, reichlich Vieh würde reichlich Arbeitsplätze bringen. Das kam Produzenten aus den Niederlanden, aber auch aus Niedersachsen gelegen, die ohnehin neue Standorte suchten , nachdem in ihren Heimatregionen die Umweltauflagen verschärft worden waren. Und auch ihre neuerbauten, gigantischen Schlachtfabriken hatten noch reichlich Kapazitäten.

(Foto: N/A)

Arbeitsplätze? Wurden kaum geschaffen - eine moderne Geflügelmast braucht, überspitzt gesagt, gerade mal noch jemanden, der den An-und Ausschalter drückt. Von den Bedingungen, unter denen die Tiere in den Großställen leben, wollen wir hier gar nicht reden, zumal "leben" ohnehin das falsche Wort für jenes Siechtum auf Spaltböden und im Kastenstand ist.

Wenn also zwischen Stralsund und Greifswald mit dem "Landwert-Hof Stahlbrode" eine ökologische Erzeugergemeinschaft mit eigener Gastronomie entsteht, dann lohnt es sich nicht nur, einen Abstecher zu machen. Man ist gewissermaßen fast dazu verpflichtet. Weiderinder und Freilandschweine stehen hier auf 650 Hektar Fläche im Ostseewind, es gibt Ponys, Esel, Schafe, Hühner. Zugefüttert wird Biofutter von der Insel Rügen, geschlachtet direkt vor Ort bei größtmöglicher Schonung der Tiere. Noch schlachtwarm wird das Fleisch verarbeitet, weshalb Citrate und Phosphate überflüssig sind. Zum Hof gehört ein Erdgewölbe, in dem in aller Ruhe erstklassige Produkte reifen, die sogar in Berlin und Hamburg zu haben sind: herbe Rinderrauchsalami, würziger Seeluftschinken, zart geräucherter Küsten-Coppa, ein Heer aus luftgetrockneten Würsten, sogar Pastrami.

Man könnte meinen, die Gastronomie so eines Vorzeigehofs müsse brummen wie blöd - das bayerische Pendant, die Herrmannsdorfer Landwerkstätten, kann sich vor Kundschaft ja auch kaum retten, außerdem schippert die Fähre aus Rügen im Zwanzigminutentakt Touristen herbei und der Hof ist als "Schulbauernhof" voll auf Kinder ausgerichtet. Und doch: ist an diesem Sonntagmittag niemand hier. Kein einziger der rund sechzig Plätze in dem lichtdurchfluteten Raum mit Blick auf Weiden und Bodden ist belegt. Niemand da, der das würzige, gut abgehangene Rindermett probiert, das zart wie dunkelroter Samt auf dem vielleicht etwas zu ökigen, aber immerhin hausgebackenen Vollkornbrot (3,60 Euro) liegt. Niemand, der das Kesselgulasch vom Rind kostet, das auf den ersten Blick schlicht wirken mag, das aber dann schon aufgrund seiner hervorragenden Fleischqualität brilliert (7,50 Euro). Niemand, der die doppelte Rinderkraftbrühe mit den Brot-Käse-Bällchen löffelt, bei der es einen fast wundert, dass so viel Geschmack in Wasser löslich ist (6,50 Euro). Und auch niemand, der die schmackhaft-fleischige Bockwurst killt, die so saftig im Mund platzt wie eine reife Traube (3,30 Euro).

Wirklich niemand? Kann so eine einfache, aber gute Hausfrauenküche mit herausragenden Produkten nicht punkten in einer Gegend, in der jedes zweite Lokal mit Nackensteak und Jägerschnitzel wirbt? Müsste die Karte vielfältiger sein? Der Service engagierter? Im Sommer ist hier doch sicher die Hölle los, fragt man die Kellnerin, doch die schüttelt den Kopf. Nein, sagt sie. Es kommt einfach niemand. Zwei, drei Stammgäste vielleicht, und die Schulklassen natürlich, die den Bauernhof besichtigen.

Ist das die Situation in Mecklenburg-Vorpommern? Es scheint fast so zu sein. Ein Ende der Massentierhaltung ist hier nicht in Sicht. Wer Bauernhof will, pilgert zu einem der aus dem Boden schießenden "Karl's Erlebnishöfe", inklusive Riesenrutsche, Bällebad und Meerschweinchengehege. Wer also dachte, dass Öko eine sichere Boombranche ist und nördlich von Berlin nur noch Biolandschaften blühen, der trifft zumindest in Stahlbrode auf eine andere Realität.

© SZ vom 09.04.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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