Lokaltermin:Johanns

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Im Modehaus Garhammer im niederbayerischen Waldkirchen gibt es jetzt ein Gourmetrestaurant. Wer hätte je gedacht, dass eine Kaufhauskantine in der Provinz eine Reise wert ist!

Von Marten Rolff

Waldkirchen ist anders als andere Städtchen im Einzugsgebiet des Bayerischen Waldes. Um es zu entdecken, muss man den dunkelhölzernen Charme Niederbayerns hinter sich lassen - die Hügel, die trutzburgigen Häuser - und ins Ortszentrum fahren. Dort dominiert nicht das Rathaus, sondern ein Glaspalast, der den Marktplatz schon am Spätnachmittag überstrahlt wie eine Showbühne. Das Kaufhaus Garhammer, das da so selbstbewusst durch den trüben Winter funkelt, ist vor 120 Jahren als Kolonialwarenhandlung gestartet und heute auf Markenmode, Design und Einrichtung spezialisiert. Auf die glamouröse Außenwirkung ist schon die Wirtin im Hotel stolz: "Um bei uns in Waldkirchen zu shoppen, reisen sogar Leute aus Berlin an!" Kein Wunder also, dass die Eigner-Familie vor gut einem Jahr fand: Warum nicht auf dem Dach all dieser Herrlichkeit ein Gourmet-Lokal eröffnen und mit dem "Johanns" dem Gründer Johann Garhammer ein Denkmal setzen?

Auch Küchenchef Michael Simon Reis stammt aus Waldkirchen. Man könnte also sagen: Junger Lokalpatriot übernimmt die schickste Kaufhauskantine der Provinz, das passt. Doch Flapsigkeit wäre hier ein Fehler. Reis hat auf seinem langen Weg zurück nach Hause Station in einigen der besten Restaurants Europas gemacht; der 32-Jährige kochte im Wiener "Steirereck", im "Tristan" auf Mallorca oder bei den Arzaks in San Sebastián, nebenbei schloss er in Wien ein Pädagogikstudium ab. Wo dieser Koch sich präsentiert, wirkt das alles andere als provinziell, auf dem "Cooktank" bei Dallmayr in München zum Beispiel beeindruckte Reis kürzlich die versammelte kulinarische Spitze der Landeshauptstadt mit seiner Neuinterpretation einer schlichten bayerischen Brotzeit.

Die seltsame Lage des Johanns hat Charme. Vor der Tür blickt man runter in mehrere Etagen mit Edelgarderobe und vor den Fenstern in endlose Schichten fulminantes grün-schwarzes Hügelland. Drinnen dann viel Lounge in Erdtönen, mit Naturmaterialien und diskreter Sicht in die blanke Küche. Das alles mag eine Spur zu comme il faut, zu gewollt metropolenhaft wirken, aber der Stil ist gekonnt harmonisch, passt zum Ort, und selbst die Mittel-Tische sind gemütlich. Auch im Service setzt sich die Symbiose aus Waldkirchen und Schwabing fort, Restaurantleiter ist der gebürtige Niederbayer Klaus Hafner, der zehn Jahre im Münchner Tantris den Service führte. Ihm darf man sich ebenso anvertrauen wie der Weinbegleitung (39 €), die mit einem Aperitif aus Himbeerpüree, Gin und Bründlmayer-Sekt zu überraschen weiß und auch mal mit einem besonderen Apfelsaft zwischen den Gängen Klarheit am Gaumen schafft.

(Foto: SZ)

Reis kocht regional mit erfrischend undogmatischen internationalen Anleihen. Die Beschreibung des Menüs (sechs Gänge zu 79 €, drei Gänge zum Mittag zu 29 €) muss mit einer kleinen Einschränkung beginnen, mit einer Klage auf hohem Niveau, die aber die einzige des Abends bleiben wird. Denn Reis' Verspieltheit (oder Experimentierfreude?) kann einen Dreh zu weit führen, manchmal wirkt eine Idee dann nicht ganz ausgereift, übersteigt die Lust an der Wirkung den Genuss oder würde ein Gericht vom Weglassen einer Komponente profitieren.

Das beginnt mit den Amuse Gueules, die als "Johanns Tapas" hier fast den Umfang einer Vorspeise haben. Denn eine Scheibe wie herrlich auch immer geräucherter Hirschschinken bleibt auch dann eine Scheibe Schinken, wenn er auf einer Puppenwäscheleine hängt. Den Kürbis-Bisquit mit dem Mandarinengelee dazu hätte man sich geschmacklich entschlossener gewünscht; ebenso wie die Maronen-Grissini, deren Unaufgeregtheit keiner bemerkt hätte, würden sie nicht auf einer Winterlandschaft aus Steinen und Zapfen serviert. Das Problem der Tapas (des weiteren: schöner Donauaal, knusprige Taglilien, Kardamom-Nüsse und Bayerwald-Gin-Tonic) ist vielleicht auch nur der Brotkorb. Wer braucht Amuse Gueules, wenn das Blutwurst-Brot mit Dattelbutter süchtig macht?

Zwiespältig ist auch das gesurte Entenhaxerl auf Langer-von-Neapel-Kürbis (ein besonders delikater Moschuskürbis) in Weizen-Vinaigrette. Weil die wunderbare Ente den eingelegten Kürbis nach Belieben dominiert und man sich fragt, ob das Hantieren des Obers mit der Papaya-Pfeffer-Mühle dieser Vorspeise geschmacklich wirklich etwas hinzuzufügen hatte.

Ein echter Höhepunkt dann aber: der zweite Gang. Hat man Donauwaller, diesen oft etwas schlämmelnden Fisch, je runder, eleganter, besser à point (in Gewürzbutter) gegart gegessen? Auch die Textur ist aufregend: knuspriger Amaranth, zarte Lauchherzen, knackige Sprossen und alles in tiefer Freundschaft umarmt von einem geräucherten Erdäpfelfond - großartig.

Beim Zweierlei vom iberischen Eichelschwein ist es dann des Guten schon wieder zu viel. Während das kräftige Backerl in perfekter Symbiose mit Mais, Petersiliencreme und Zitronen-Hollandaise auf der Zunge schmilzt, wird der schüchterne Nackenkern von der Umgebung zuckersüß stranguliert, das Backerl hätte gereicht. Danach kommt noch ein herrliches Stück vom Rib Eye vom Ochsen mit Aubergine, Kichererbsen und marinierter Artischocke - auch mit dem Edelfleisch ist Michael Simon Reis wirklich großzügig.

Nach einem etwas zu süßen Dessert (Bienenwachs, Blütenpollen, Met und Honig) verlässt man rundum glücklich die Modehaus-Kantine. Wenn die Küche hier in Zukunft noch eine Idee weniger modisch agiert, dann wird sie schnell echte Trends setzen.

© SZ vom 09.01.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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