Lokaltermin:Heimatjuwel

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Der Name ist bei diesem Lokal Programm: Das Restaurant in Hamburg bezieht alle Zutaten aus dem Umkreis. Das Ergebnis ist alles andere als provinziell.

Von Stevan Paul

In Zeiten, in denen auch die exotischste Zutat nur einen Mausklick entfernt ist und der Zeitgeist im Monatswechsel eine neue Sau durch die Weltenküche jagt, vom vietnamesischen Báhn Mì-Sandwich bis zur peruanischen Ceviche, entdeckt eine neue Generation junger Köche die wahre Sensation auf der nächsten Ackerscholle, im eigenen Garten, im Wald und auf der Wiese.

Regional und saisonal geprägtes Fine-Dining ist längst mehr als ein Trend, farm to table keine Mode, sondern gelebte und inzwischen mit Sternen dekorierte Küchenphilosophie. Das Produkt steht wieder im Mittelpunkt, seine Herkunft und Qualität. In Japan gibt es den schönen Sinnspruch: "Kochen ist schneiden." Die Arbeit am Teller für den Gast beginnt nicht erst im Topf. Die Anfänge dieser neuen Art, über Genuss nachzudenken, führen zur New Nordic Cuisine und ihrem prominentesten Vertreter, dem dänischen Starkoch René Redzepi. Pioniere in Deutschland sind unter anderem Gastronom Billy Wagner und Koch Micha Schäfer vom Berliner "Nobelhart & Schmutzig", deren radikale Umsetzung der neuen regionalen Küche es unter dem Motto "brutal lokal" zu einiger Berühmtheit brachte.

Nun ist alles Radikale nicht des Hanseaten Sache. Regional gekocht wurde hier oben ohnehin schon immer, Krabben von der Küste, Grünkohl aus Dithmarschen, Kartoffeln von der heimischen Scholle. Die Reihe ließe sich fortsetzen, daraus aber gleich eine brutale Regionalnummer zu machen, fiele den zurückhaltenden Hamburgern nicht ein, sie sind leise Genießer.

Einer, der das verstanden hat, ist Marcel Görke, der Anfang des Jahres sein Restaurant Heimatjuwel eröffnete. Seit 20 Jahren steht er am Herd, war unter anderem Küchenchef im Restaurant Seven Seas und damit Teil jenes Teams, das am Hamburger Süllberg zwei Michelin-Sterne erkochte. Im Heimatjuwel mit seinen 30 Sitzplätzen scheint Görke nun angekommen zu sein.

(Foto: a)

Der Name ist Programm, alle verwendeten Produkte kommen aus Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, stammen aus der Nord- und Ostsee. Görke nennt auf der Karte die Lieferanten der Hauptprodukte eines Ganges, das war es dann aber auch, es geht um Kreation, nicht Pose.

Der Abend beginnt mit Sekt von Raumland, geröstetem Bauernbrot und Griebenschmalz mit Kräutern. Wir widerstehen dem Reflex, alles restlos aufzuessen, wählen ein Menü (drei Gänge für 37 € bis sechs Gänge für 67 €) und lassen uns offene Weine empfehlen. Der confierte und geflämmte Lachs von der Müritz Fischerei wird von einem sehr knackigen Petersilienwurzel-Salat mit Forellenkaviar, Radieschen und Koriander begleitet - ein frisches Vergnügen, auch zusammen mit dem Brennfleck Silvaner Alte Reben von 2015. Der feinmundige 2015er Weißburgunder & Chardonnay "S" von Spiess begleitet im nächsten Gang trefflich das Zwiebelsüppchen mit Zwiebeln aus dem Hamburger Bauerngarten, einem Tatar vom Rind und einem geräuchertem Wachtelei. Grandios zur duftig-würzigen Brühe ist das Rauchroma des Eis und das Tatar, das in der Suppe zerfällt und leicht gar zieht. "Vom Einfachen das Gute", schreibt Görke auf der Homepage des Restaurants und ja, so ist es.

Die im Salzteig gegarte Rote Bete mit Gänseleber und Maronen-Ragout ist weniger gefällig, die erdige Bete deutlich salzig, die Leber dazu herb-animalisch, die Portion etwas zu groß für ein Menü und den Aromen-Wumms des Gangs. Der Fischgang ist wieder ein filigranes Meisterstück an Aromatik und nach der Zwiebelsuppe ein Höhepunkt des Menüs: "Barsch aus dem Krakower See" wird auf nussigen Linsen serviert mit Rosenkohl und intensivem Püree, getragen von einem vollen Krustentier-Dashi-Fond japanischer Tradition. Die Weltläufigkeit bekommt dem regionalen Ansatz ausgesprochen gut.

Den geerdeten Rahmen setzt das Interieur. In dem schlicht gehaltenen Restaurant kommt feine Keramik auf die Holztische, handgefertigte Kunstwerke, in Eierschalen- und Pastelltönen, elegantem Aschgrau, schlichte Stoffe runden das Bild edel ab. Umso auffälliger die schwierige Lichtführung im Restaurant, zwei Dreipunkt-Deckenstrahler schenken kalt-müdes Licht in dem ansonsten warmen Wohlfühl-Ambiente.

Zum saftigen 2013 Steinbuckel Pinot Noir von Philipp Kuhn aus der Pfalz gibt es Entenbrust vom Geflügelhof Mohr, rosa gebraten thront ein großes Stück mit knuspriger Haut auf würziger Entenconfit mit Quittenkompott, Steckrübe, Hagebuttenmark, Wirsingblättern und einer Sauce, die geeignet wäre, sie zur Kostbarkeit im Heimatjuwel zu erklären. Das erste Dessert der Wahl ist rustikaler Dinkelgrießbrei mit Kronsbeeren, Quark und Cassis. Spannend ist die cremig-nussige Wärme des Breis im Wechselspiel mit der Säure von Quark, herben Preiselbeeren und süß-saurer Cassis-Frucht. Optisch ansprechender und kleinteilig filigran angerichtet ist das Dessert mit luftigen Schokoladen-Schwämmen, feinem Apfelkompott, saftigen Rosinen und gerösteten, kandierten Haselnüssen, getoppt mit säuerlichem Berliner-Weiße-Sorbet. Am Ende des Abends stoßen wir auf die Erkenntnis an, dass die neue regionale Küche, auch fernab jeder Radikalität, genau an diesem Ort eine Entdeckung und ein echtes Vergnügen ist.

© SZ vom 17.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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