Lokaltermin:Hallmann & Klee

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In Berlin wirbt ein Lokal mit perfektem Essen zu jeder Tageszeit, ob Frühstück oder Gänge-Menü. Klappt das?

Von Fabienne Hurst

Der Slogan klingt fast zu ehrgeizig: zu jeder Uhrzeit das passende Essen. Also tatsächlich zum Frühstück, zum Mittagessen, zum Kaffee, zum Dinner. Und dann auch noch fast alles hausgemacht. Doch nach allem, was man von Sarah Hallmann hört und liest, ist der 33-jährigen Köchin das zuzutrauen. Sie hat zuvor in Sternerestaurants gekocht und ihre Chef-Patissière Nike Roessler, 28, war zuletzt im Gourmetlokal des Hotel Adlon für Süßes verantwortlich. Im Hallmann & Klee in Neukölln bewirten die beiden von morgens bis nachts ihre Gäste. Ein ziemlich großes Versprechen.

Der Empfang ist unaufdringlich freundlich, fast familiär. Der fröhliche wie professionelle Service führt Gäste vom breiten Sichtbetontresen zu einem der zehn Holztische, die luftig im Raum stehen; trotz der minimalistischen Einrichtung atmet alles hier heimelige Gemütlichkeit, einige Details wirken improvisiert. Das kaputte Toilettenschloss wird durch ein handgemaltes "Besetzt"-Schild ersetzt, als Raumtrenner zwischen Speisesaal und Garderobe dient ein Lamettavorhang, am Tresen erinnert ein Stapel Croissants an das tägliche Frühstücksangebot. Klar strukturiert ist die Speisekarte, die das dreigängige Tagesmenü für faire 42 Euro anpreist (Weinbegleitung: 19 Euro). Wer lieber à la carte essen will, kann aus je drei bis sechs Vor- und Hauptspeisen sowie vier Desserts wählen.

Schon vor der Vorspeise ahnt man, wie ernst es die Küche mit ihrem Versprechen meint: Allein das Brot gerät hier fast zum eigenen Gang. Es kommt frisch aus dem Ofen, kross und würzig, dazu gibt es luftig aufgeschlagene Rahmbutter, wunderbar. Das fein geschnittene Rindertatar kommt mit einer zimmerwarmen Creme aus gegartem Eigelb, dazu hausgemachte Mayonnaise, krosse Steinpilz-Chips und mild eingelegte rote Zwiebeln; jede Zutat idealtypisch veredelt. Für eine herbe Note sorgen angeröstete schwarze Senfkörner und Wildkräuter. Bei der Topinambur-Suppe ergibt das oft nur zu Showzwecken inszenierte Am-Tisch-Eingießen wirklich Sinn, denn so behalten die knusprigen Sellerie-Chips und die frischen Zitrusfruchtfilets länger ihre Konsistenz. Funktionieren können diese Gänge aber nur, weil Küche und Service Hand in Hand arbeiten: Hier wartet kein Teller minutenlang auf seine Abholung, weshalb alle Gerichte genau so beim Gast ankommen, wie sie erdacht sind. Angerichtet wird ansprechend, aber nie überziseliert.

Die engagierte Kellnerin lässt mehrere Weine verkosten, von denen der Kalmit-Riesling am meisten überzeugt, ein Naturwein vom Weingut Leiner aus der Pfalz, wenig Frucht, stark mineralisch und dadurch hervorragend zum in Nussbutter konfierten Saibling. Im separaten Schälchen wird der gleiche Fisch warm geräuchert mit Kaviar und Malzchips gereicht, ein spannender Gegenpart zu den zarten Aromen des buttrigen Hauptgangs. Nur der schlichte blanchierte Spinat und die gebackenen Kartoffeln wirken daneben etwas uninspiriert. Filigraner ist das Dreierlei vom Sellerie, der gebacken, als Püree und als Chip den perfekt gegarten Rehrücken in dunkel würziger Rehjus begleitet. Sympathisch wirkt das Selleriepüree im Nachschlagschälchen.

Es sind sinnliche, ehrliche, großzügige Gerichte, feines Soulfood mit kleinen Extravaganzen, handwerklich tadellos umgesetzt und in angenehmer Atmosphäre serviert. Beim Dessert entpuppt sich die trendig schlichte Beschreibung "Rahm, schwarze Johannisbeere, Anis" als echtes Understatement. In einem Keramikschälchen trifft eiskaltes, fruchtiges Beerensorbet auf zimmerwarmen Schmand, kleine Tupfen Dulce de leche, geeiste Beeren und heißes, karamellisiertes Popcorn, im Ganzen, als Chip und als Puder. Durch die kluge Kombination von Temperaturen und Texturen wird hier viel Spannung erzeugt. Weniger innovativ, dafür technisch perfekt ist die Crème brûlée mit Tonkabohne und Vanille.

Auch die Käseplatte am Nachbartisch - bestückt von der Berliner Feinkost-Institution "Maître Philippe et Filles" - sieht so großzügig und vielseitig aus, dass wir am nächsten Morgen wiederkommen. Dann hat sich der gediegene Speisesaal in ein geschäftiges Großstadtwohnzimmer verwandelt, belagert von schmusenden Kleinfamilien und Freundinnen beim Kaffeeklatsch. Es duftet nach Zimt, frischem Gebäck, nach warmem Ahornsirup und geröstetem Hafer. Nike Roessler löffelt in der offenen Küche makellos pochierte Bio-Eier aus einem Topf und stapelt gebratenen Bacon auf geröstetes Sauerteigbrot. Und weil man sich nur ungern zwischen Beerenpfannkuchen und Avocado-Spinat-Brot entscheiden mag, bestellt man einfach beides und sagt alle Termine für den Rest des Wochenendes ab. Schließlich hat man den perfekten Ort der Stadt gefunden. Mit dem passenden Essen zu jeder Uhrzeit. Sie haben ihr großes Versprechen wirklich gehalten.

© SZ vom 02.03.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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