Lokaltermin:Golvet

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Hoch über dem Potsdamer Platz gelegen, ist das Golvet einer der neuen Style-Tempel, in denen Berlin sich gekonnt als Metropole inszeniert. Das funktioniert gut, findet Harriet Köhler, denn die Kulisse ist atemberaubend. Leider kann das Menü nicht mithalten.

Von Harriet Köhler

Am Ende wird er den Abend nicht rausreißen können, doch im ersten Moment, da raubt er einem den Atem: Der Blick über den glitzernden Potsdamer Platz, die golden strahlenden Segel der Philharmonie, das knöchern knospende Tempodrom - das nächtliche Berlin. Dazu das clubbige, sichtbar teure Interieur mit den schicken Sesseln und groben Tischen, mit der perfekt in den Raum integrierten offenen Küche und der pumpenden Musik - das hat schon etwas Großstädtisches. Und es macht klar, dass der Michelinstern, mit dem das "Golvet" gleich nach der Eröffnung 2017 ausgezeichnet wurde, von Anfang an angepeilt war und nicht etwa ein sympathischer Zufallstreffer ist.

Michelinsterne haben bekanntlich den für Wirte schönen Effekt, dass Gäste kommen und bereit sind, schon bei der Reservierung ihre Kreditkartendaten zu hinterlegen. Doch schaffen sie auch Erwartungen - denen zu genügen dem Golvet leider nicht gelingt. Ein paar erfreuliche Gänge gibt es: etwa den "Gruß aus der Küche", eine Art Dumpling, bei dem eine Scheibe eingelegter, säuerlicher Steckrübe einen Klacks milden Joghurts umhüllt. Das Ganze liegt auf einem schmeichelnden Steckrübenragout, schmeckt sanft und knackig, erdig und frisch, kitzelt alle Geschmacksknospen wach und ist somit ein perfekter Start für ein Menü. Oder "Bellota", ein zartrosa gebratenes, kerniges Nackensteak vom iberischen Schwein, das so vor würzigem Saft strotzt, dass man schlagartig versteht, warum der Mensch dereinst zum Fleischesser geworden ist. Es wird von einer leichten, aber deftigen Bauchspeckjus umplätschert und von einer Schalotte begleitet, die mit einer Estragonmayonnaise gefüllt und mit Röstzwiebelchen bestreut ist - eine Aromenkombination, die man konventionell nennen kann oder klassisch, die jedoch vor allem sehr gut schmeckt. Und auch das Pré-Dessert, bei dem eine mit Grünkohl, Banane und Limette aufgemixte Mandelmilch mit einem opulent-süßen Kokoseis und etwas frittiertem Grünkohl kombiniert wird, macht Spaß, weil die Kombination aus grasigen und exotischen Aromen überrascht und erfrischt.

Doch die meisten Gerichte können nicht mit der Kulisse vor den Fenstern konkurrieren. "Fake Toro", der von einer Seite angeflämmte und mit Kürbiskernmayonnaise bestrichene Lachsbauch lutscht sich weg, ohne großen Eindruck zu machen, das Grünteegelee dazu will nicht so recht mit seinen Aromen rausrücken, die Rosenkohlblätter sind zu roh, die Rosenkohlmousse ist arg gewöhnlich. Der "Spitzkohl", ein Mille Feuille aus Spitzkohl und Reisblättern, das von einer dünnen Schicht Champignon-Trüffelgelee zusammengehalten und mit Périgord-Trüffeln und geräucherter Crème Fraîche gekrönt wird, profitiert zwar vom hübschen Kontrast aus Knackigkeit und Cremigkeit, verharrt dann aber darin - da ist nichts, was sich im Mund weiter entwickelt, was stört oder schmeichelt oder verblüfft.

Der "Cidre", bei dem eine kurz angebratene Sardine zwischen Bergamottenschaum, Cidresorbet und einer sehr scharfen, frischen Sauce aus Apfel, Gurke, grüner Paprika und Chili viel zu schnell kalt wird, wirkt unaufgeräumt und aromatisch inakkurat. Die "Pizza", ein winziger, mit Vacherin-Käse überbackener Vollkornfladen, belegt mit einem cremigen Wachtelspiegelei, Kartoffelröllchen und Majoran, schmeckt so banal, dass die ironisch gemeinte Takeaway-Schachtel, in der er serviert wird, ganz passend ist. Und bei der "Taube", einer intensiv metallisch, ja, fast nach Leber schmeckenden Bluttaubenbrust in einem Sammelsurium aus Karotten-, Petersilien- und Graupenvariationen, würde man sich wünschen, dass die Aufräumkönigin Marie Kondo mal über den Teller geht und überflüssige Baisertupfen und Emulsionen zur Biotonne bringt. Selbst "Hellmuth's Kohl", das Dessert, verliert sich im geschmacklichen Irgendwo: Die aufgeschäumte Sauce aus Rotkraut, Hibiskus, Himbeere und Zimt ist weder herb noch süß, das PX-Sorbet schmeckt vor allem alkoholisch und schmilzt so schnell, dass man es kaum auf den Löffel kriegt, die mit Purple-Curry-Pulver bestreute Zuckerwatte ist ein schnell verpuffender Gag und auch die widerständige, weiße Schokoganache will sich nicht recht integrieren.

Und dann der Service. Der wirkt wie vom Studentendienst gecastet und ist so chaotisch, dass man fast Mitleid kriegt. Sieben Kellner wuseln im Laufe des Abends um uns herum, keiner fühlt sich wirklich zuständig. Schlecht geschult sind sie obendrein: Oregano wird uns als Sauerampfer verkauft, der Kuhmilchklassiker Vacherin Mont d'Or als Ziegenkäse. Und weil offenbar nur Sommelier Benjamin Becker Prokura hat, Weine zu empfehlen, stockt der Weinnachschub ständig, der arme Mann ist nicht nur für die 80 Plätze des Lokals zuständig, sondern muss obendrein den üppigen Käsewagen bedienen. Bei 115 Euro für fünf Gänge sind das insgesamt ein paar Mängel zu viel - auch Michelin-Tester lassen sich offenbar mal von der Aussicht blenden. In deren Genuss kommt man aber auch billiger: bei einem Drink an der Bar, ganz ohne Reservierung.

© SZ vom 02.02.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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