Lokaltermin:Ein Menü für alle

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Im Thai-Restaurant Kin Dee in Berlin kann man nicht nur zwischen zwei Curry-Sorten wählen, sondern isst sich mit Forelle und Wildschwein glücklich.

In Deutschland thailändisch essen zu gehen, bedeutete lange, dass der Gast vor Grinsebuddha-Deko zwischen rotem und grünem Curry wählen durfte. Doch die Zeiten ändern sich. Im Berliner Restaurant Kin Dee gibt es weder Tom Ka Gai noch Speisekarte, sondern ein Menü für alle. Bei marinierter Fjordforelle oder im Wok gerührtem Wildschwein mit frittierten Flower Sprouts isst man sich hier glücklich, sagt Harriet Köhler. Leider ist der Andrang nach ersten Lobeshymnen der Gastrokritik bereits enorm.

In den Räumen war vorher das "Edd's" untergebracht, 33 Jahre lang der beste Thailänder der Stadt, doch daran erinnern jetzt nur noch die Reste des alten Schriftzugs an der Fassade. Drinnen im Lokal ist jetzt vieles anders: Thai-Küche gibt es zwar immer noch, aber ohne Grinsebuddha-Deko, ohne folkloristische Holzschnitzereien, ohne Blumentöpfe mit Orchideen. Dafür: moderne Kunst an weißen Wänden, eine neue, hübsche Bar, eine Vintage-Leuchte im Schaufenster, internationales Stimmengewirr. Wo einem einst schroffe Kellner das Tsingtao hinknallten, serviert jetzt ein reizender Service Craft Beer, Naturwein und restsüße "Schärfekiller", und die Gäste wählen nicht mehr aus Tom Yam Gung, Tom Ka Gung und Tom Ka Gai, sondern essen, was auf den Tisch kommt: Es gibt ein Menü, ob man will oder nicht (sechs Gänge: 48 Euro).

Doch man wäre dumm, nicht zu wollen. "Kin Dee" ist der thailändische Ausdruck für "gut essen", und das kann man hier schwelgerisch. Schon die Vorspeisen zum Teilen sind köstlich: Zum Beispiel das "Duo Pla": in Limettensaft und Chili marinierte Blöcke von der Fjordforelle - wie peruanisches Ceviche, nur gehörig angespitzt. Daneben: zwei Stücke zart angeflämmte Jakobsmuschel, die eine frische, scharfe Kräutervinaigrette zum Fliegen bringt. Die "Mushroom Summer Roll" ist hier nicht gewickelt, sondern kommt in einer Schale, in die sich ein klebriges Reispapierblatt schmiegt, darauf liegen gebratene Austernpilze, Shiitake und Champignons, die reichlich Austernsauce in herbstliche Tiefen führt. Den Sommerrollenknack geben eingelegte Radieschen, für Zartheit sorgt etwas Blattsalat. Und auch "Spring (Un-)Rolled" ist ein dekonstruierter Klassiker: eine in der Schüssel servierte Frühlingsrolle, bei der ein mit allerlei Gewürzen zum Zerfallen geschmortes Rinderragout von ein paar Gurkenscheiben und einem knusprigen Segel aus Frühlingsrollenteig gekrönt wird - das ist so aromatisch, dass man hinterher das Besteck abschleckt.

Über die Küchenchefin im "Kin Dee" wurde in Berlin schon geraunt, als das Restaurant noch gar nicht eröffnet war: Dalad Kambhu ist ein aus Thailand stammendes Exmodel, das das Kochen in Bangkok von ihrer Mutter lernte, sich zehn Jahre lang in New York durchschlug und nun als Autodidaktin versucht, die Geschmäcker ihrer Kindheit auf den Tisch zu bringen. Für dieses Projekt hat Kambhu die beste Unterstützung, denn das Lokal gehört zur "Grill Royal"-Gruppe von Stephan Landwehr und Boris Radczun, die mit sicherem Gespür für das, was die Stadt als Nächstes wollen könnte, ein erfolgreiches Projekt nach dem anderen realisiert. Auch mit dem "Kin Dee" beweisen sie ihr glückliches Händchen, weil Kambhu nicht nur Glamour hat, sondern auch genug Genie, ihre eigene Version thailändischer Küche zu erfinden. Eine Version, die Traditionen bewahrt, statt in die Fusion-Falle zu tappen, und der es doch gelingt, Aromen aus der Ferne ins Berliner Hier und Jetzt zu transportieren.

Hier und Jetzt, das heißt auch: Es gibt - wo es sinnvoll ist - Zutaten aus Brandenburg statt eingeflogener Exoten, etwa beim Zwischengang "Lhon Tofu", einem säuerlich-scharfen Kokoscurry aus zartem und doch bissfestem Tofu (von der Kreuzberger Manufaktur "Tofu Tussis"), säuerlichen Apfelscheibchen, etwas Chili, Feldsalat und Chicoree - das lässt das übliche Obst nicht vermissen (nur mehr Sauce hätte es bei der Menge an rotem Reis sein dürfen). Zum Neutralisieren kommt eine "Gang Jeud"-Gemüsebrühe mit weich gekochter Mairübe auf den Tisch, die es mit der Neutralität etwas übertreibt, den Flammentanz auf der Zunge aber tatsächlich lindert.

Der Hauptgang wird aus drei Gerichten gewählt. Wir probieren "Kin Dee Sweet Green Beef Curry": in nicht zu dicker Kokossauce superzart geschmortes Rind, dazu fast fluffig gebratene Auberginen und Zucchinistücke, die Biss haben und doch nicht zu roh sind. À part gibt es gebratenen Fenchel in Austernsauce - der schmeckt, ist aber nicht unbedingt zwingend. Beim "Pad Ped" kommt im Wok gerührtes, feinfaseriges Wildschwein mit einer Kokos-Currysauce, gebratenen Rosenkohlhälften und ganzen Rispen von krachendem, grünem Pfeffer auf den Tisch - angenehm salzig gekrönt von knisternd frittierten Flower Sprouts. Das ist Wohlfühlküche, die bei aller Feinheit etwas Rustikales hat, die dem Gaumen schmeichelt, ohne sich ranzuschmeißen, und die, obwohl jeder Gang Thailand im Herzen trägt, nicht folkloristisch ist.

Den "Grill Royal"-Machern gelingt etwas, das nur wenige Gastronomen hinkriegen. Sie vereinen Geschmack, Lässigkeit und Professionalität. Das tut einer Stadt gut, in der viele Restaurants das eine, aber nicht das andere haben, in der viele zu wenig wollen und andere sich zu sehr bemühen.

Was Berlin womöglich nicht so guttut, sind die neuen Ambitionen des Guide Michelin, sich Trends und modernen Kochstilen nicht länger zu verschließen. Dass das "Kin Dee" im Februar mit einem Stern ausgezeichnet wurde, gönnt man dem Team von Herzen; nur weckt so ein Stern unweigerlich Erwartungen, die das Restaurant vom Konzept her vielleicht gar nicht erfüllen will (und ohne Stern auch nicht müsste). Die Buchungsflut, die mit so einer Auszeichnung einhergeht, mag positiv für den Umsatz sein - gut fürs Ambiente sind lange Tische voller lärmender amerikanischer Touristen leider nicht. Trotzdem: Das "Kin Dee" ist eine Bereicherung für Berlin und das längst nicht nur in Sachen Thai-Gastronomie.

© SZ vom 20.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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