Lokaltermin:Die Gute Botschaft

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Hamburgs "Küchenbulle" Tim Mälzer hat schon wieder ein neues Lokal. "Die Gute Botschaft" am vornehmen Alsterufer verbindet japanischen und hanseatischen Stil. Doch warum so trendverliebt?, fragt Fabienne Hurst.

Tim Mälzer ist ein ehrgeiziger Mann. Er will nicht nur gerne der beste Koch sein, sondern auch der mit der, nun ja, dicksten Hose und dem meisten "Bumms" im Essen. Das jedenfalls sagt er gerne im Fernsehen. Die Hamburger Prolligkeit, auch die gibt es, hat der Pinneberger "Küchenbulle" zu seinem Markenzeichen gemacht, so steht etwa auf den Karten seiner Szene-Restaurants in fetten Lettern: "Das Große Fressen" oder "KFC in geil." Seine Abneigung gegen Schnickschnack mündete gar in einer TV-Sendung, in der er Sterneköche bloßstellt, weil er Erbsensuppe besser hinkriegt als sie. Und dann eröffnet er plötzlich einen Laden, in dem es nach eigenen Angaben "puristisch" und "reduziert" zugehen soll - noch dazu im gediegen langweiligen Hamburger Stadtteil Rotherbaum an der Außenalster. Wie passt das zusammen?

Außen empfängt einen noch die gewohnte Mälzersche Direktheit: "Komm rein Hungerlöschen" steht da auf einer Schiefertafel geschrieben, die den Mittagstisch bewirbt. Ursprünglich war sein neues Lokal "Die Gute Botschaft" als Mensa für die Angestellten umliegender Bürogebäude geplant, seit Juli gibt es von Mittwoch bis Samstag auch eine ambitionierte Abendkarte. Auf den Namen kam Mälzer wegen des US-Konsulats, das hier an der Alster seinen Sitz hat.

Kaum nähert man sich der Glastür, schwebt einem ein grinsender Kellner entgegen: "Na, traust du dich etwa nicht rein?" Eine Aufmerksamkeit, die sich im Laufe des Abends noch steigern wird. Er führt die Gäste in den halbrunden, hohen Raum mit Säulen aus Sichtbeton, an den Wänden flaschengrüne Fliesen, dazu schlichte Holzmöbel und elektronische Tanzmusik aus Lautsprechern. Die Raummitte dominiert ein billardtischgroßer Altar mit Spüle und Cerankochfeld, dahinter eine offene Küche, in der junge Köche mit Carhartt-Schürze und Undercut werkeln. Das Interieur ist von einem Düsseldorfer Innenarchitekten durchdesignt bis ins Detail. Mit einer Ausnahme: Die fünf Flachbildschirme über der Küchenzeile hat sicher kein Profi verbrochen. In blinkenden Neonfarben bewerben sie das Lunchangebot; "Spektakulär!" flackert da, oder "Jung!" und "Wild!" Der mittlere Monitor zeigt das GIF einer Katze, die sich in Dauerschleife die Krallen feilt. Man muss sich Mühe geben, nicht ständig hinzuzusehen.

15 Gerichte stehen auf der Karte, zwischen Vor- und Hauptspeisen wird nicht unterschieden, man solle sich einfach drei Gerichte (elf bis 32 Euro) aussuchen und den Ablauf dem Chef überlassen. Oder man bestellt das Überraschungsmenü (fünf Gänge für 59 Euro, sieben für 75 Euro). Das Konzept vereint "Hamburger Understatement mit japanischer Kulinarik", so steht es auf der Karte. Japan, das hat auch Mälzer verstanden, ist in der Gastronomie gerade ein Riesentrend. Zudem experimentierten sie hier gern, heißt es weiter, das sei "manchmal sicher übertrieben, aber immer gut gemeint". Gut gemeint? Ist das noch Understatement oder schon vorauseilende Rechtfertigung für missglückte Kombinationen?

Für das Snack-Dreierlei, das als Auftakt kommt, muss sich jedenfalls niemand entschuldigen: erstens kross ausgebackener Grünkohl mit Sonnenblumenkerncreme, Feta und Preiselbeeren, zweitens Shiitakepilze mit frischem Pfirsich, drittens rohe Blättchen vom Rosenkohl mit Gurkengel und Lardo. Süß, sauer, leicht bitter, salzig, Umami - alle Geschmackszonen werden aktiviert, und man mag gar nicht mehr aufhören. Auf ähnlich unterhaltsame Weise funktioniert die gebackene Aubergine, aromatisiert durch drei verschiedene Misopasten - frische, gereifte und eine leicht süße mit Sesam. Dann kommen mit Parmesancreme gefüllte Ravioli auf einem Ragout aus Enteninnereien. Die Nudeln auf den Punkt al dente, die Fleischsauce würzig-süßlich, das ist nicht nur ein wunderbar ausgewogener Pastateller, sondern mal einer mit Tiefgang. Handwerklich einwandfrei ist auch der folgende Gang - selbst wenn er in diesem Menü wenig Sinn ergibt. Denn auf die Ravioli folgen japanische Gyoza - mit Fleisch von der Entenkeule gefüllt. Zwar bringen Rotkohlsauce, Estragon und Orangenschale neue Noten, aber gleich zweimal Teigtaschen mit Ente? Bei einem Menü, das sich vielseitig und originell nennt? Für die Spannungskurve ist das jedenfalls nichts.

Ein wenig altbacken, aber erfrischend ist das Zitronengrassorbet mit Rapsöl als Zwischengang, bevor, nach 50 Minuten Wartezeit, ein sous-vide gegarter - (noch so ein Trend, der nicht immer Vorteile hat) - Schweinebauch mit rohen Kohlrabischeibchen und Pflaumenchutney eher fad daherkommt. In Mälzers Worten: Hier bräuchte es dringend mehr "Bumms".

Definitiv "übertrieben, aber immer gut gemeint" ist der Service. Ständig wird man von der Seite angekumpelt, einer der Kellner geht zur Weinempfehlung auf die Knie - womöglich um mit dem Gast auf Augenhöhe zu sein - und man bekommt richtig Angst, dass er sich gleich dazusetzt. Als er beim Abräumen ein zurückgelassenes Stück Schweinebauch auf dem Teller erspäht, erkundigt er sich mit Sorgenfalte auf der Stirn: "Was ist da denn los gewesen?"

Als letzter Gang kommt Reis, leicht angebacken, mit gedünstetem Lachs, Forellenkaviar und ein paar getrockneten Algenstreifen, aufgegossen mit einer leichten Dashi-Brühe (aus Bonitoflocken). Angeblich ein wahrhaft authentisches Gericht, das man in Japan nach dem Hauptgang isst, europäisch sozialisierte Gaumen als Abschluss eines Menüs aber eher verwirrt.

Ratlos sitzt man am Ende vor dem Nachtisch (dem einzigen auf der Karte). Eine Kuppel aus Zartbitterschokolade im Stil der 80er-Jahre wird durch Übergießen mit heißer Beerensauce am Tisch aufwendig zerstört und vermischt sich schließlich mit Baiserflocken, Vanilleschaum und ganzen Himbeeren zur wuchtigen Pampe. Nur ein Stück Schwarzwälder Kirsch wäre nach diesem Menü noch unpassender. Schade.

Ein Menü, das so vielversprechend und unterhaltsam gestartet war, ist zuletzt arg vom Weg abgekommen. Die jahrtausendealte japanische Küchentradition ist für "Experimente" dann eben doch zu komplex.

© SZ vom 02.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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