Lokaltermin:Boca

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Ein Lokal in Hannover setzt auf Jugend. Der Küchenchef ist fast so jung wie die Lehrlinge, der Team-Geist groß und das Ergebnis erstaunlich.

Von Stevan Paul

Wenn heute kaum noch jemand in der Gastronomie arbeiten will, dann liegt das auch am knüppelharten Image der Branche: Schichten von bis zu 14 Stunden, Stress und Hektik bei Raumtemperaturen von durchschnittlich 35 Grad. Dazu kommt die schlechte Bezahlung während einer Ausbildung, die diesen Namen leider nicht immer verdient, weil sie sich häufig nur noch aufs angeleitete Verrühren von Tütensoßen beschränkt. Als Nachschlag wird man womöglich noch angebrüllt. Ein Handwerk in der Krise also, die Zahl der Lehrverträge hat sich seit 2008 fast halbiert, im Schnitt bleibt etwa jede fünfte Lehrstelle hierzulande unbesetzt, jeder zweite Kochnovize bricht die Lehre ab. Und die andere Hälfte? Möchte am liebsten ohne Umweg ab ins Fernsehen und der neue Tim Mälzer werden.

Wie kann man unter diesen Bedingungen daran erinnern, was Koch für ein herrlicher Beruf ist (der Autor weiß, wovon er spricht, denn er ist selbst einer)? Vielleicht reicht es ja, Anfängern schon dadurch Perspektiven zu schaffen, dass man ihnen mehr Entfaltungsmöglichkeiten bietet; mehr Freiräume zum selbstbestimmten Arbeiten. Wie etwa im Boca, einer sogenannten Gastrobar im Hannoveraner Stadtteil List, wo man ganz offensichtlich bemüht ist, einiges ein bisschen anders zu machen. Welche kulinarische Energie das freisetzen kann, ist erstaunlich. Eine Energie übrigens, die man im mit interessanten Restaurantadressen nicht eben gesegneten Hannover gerade begierig aufsaugt.

(Foto: N/A)

Der Schlüssel zum Erfolg klingt zunächst banal: Gastronom Christoph Elbert setzt fast nur auf Jugend. Küchenchef Lukas Heimsoth ist gerade einmal 21 und damit kaum älter als seine zwei Azubis, die den Abend über in konzentrierter Versenkung hinter dem Tresen werkeln. Die Küche erinnert mit der Dunstabzugshaube und dem maurischen Kachelwerk an eine größere Imbiss-Theke. Wir gehen bis nach hinten durch und nehmen Platz im Halbdunkel des kleinen Gastraums mit seinen grau gewischten Wänden. Ein Lampenarrangement mit umgestülpten Weingläsern beleuchtet nur schemenhaft die Speisekarte, in deren Zentrum ein komplett vegetarisches Menü steht: Drei Gänge kosten freundliche 19,90 Euro. Fisch und Fleisch werden als "Beilagen" geführt und können auf Wunsch und gegen Aufpreis dazu bestellt werden - großartig! Zuerst aber gibt es als Aperitif einen "Flight" von dreierlei gewürzten Gin Tonics (11 €) aus einer Gin-Auswahl, auf die man stolz sein kann; knapp 80 Destillate verzeichnet die Karte. The Duke aus München wird mit Grapefruit serviert, London Beefeater, der Lieblings-Gin von Queen Mum selig, kommt mit Salbei und Orange, der Tanqueray mit Thymian und Gurke. Sehr passend perlt dazu britischer Ska und jamaikanischer Rocksteady aus den Musikboxen. Ein beschwingter Auftakt, zu dem wir iberischen Belota-Schinken und luftgetrockneten Txogitxu-Schinken (18 €) genießen.

Von der Karte mit den Boca-Klassikern probieren wir "Ceasar Salad vs. Burrata-Mozzarella" mit süßen Tomaten und Pesto (13 €). Das ist zunächst einmal schlichte Produktküche, die durch Qualität überzeugt. Die Kreativität Heimsoths, der aus der Ole Deele, dem einzigen Sternerestaurant (mit dem einst jüngsten deutschen Sternekoch) der Region ins Boca wechselte, zeigt sich im Menü: Topinamburwurzel genial kombiniert mit Aprikose, einem Hauch Kaffee und Misocreme, kunstvoll-filigran auf den Teller gebracht. Tiefwürzig der kühle Sud der Roten Bete mit Ziegenkäse, süßer Feige und Granatapfel. Eher an einen Bauernsalat erinnern dann die Gurkenvariationen mit Wildkräutern und Kartoffeldressing, eine Riesenportion. Das perfekt gebratene Flank-Steak mit pikanter, argentinischer Chimichurri-Sauce (15 €), das wir Fleischfans als Hauptgang geordert hatten, hätte es gar nicht gebraucht, denn die Ofenkartoffeln mit BBQ-Linsen, Sour Creme und Sous vide gegarten Ochsenherztomaten überzeugen nicht nur im Zusammenspiel, sie sättigen auch. Gegen den landläufigen Trend zur ätherisch-veganen Gemüseküche mit Essenzen und luftigen Schäumchen arbeitet Lukas Heimsoth gerne mit reichen Soßen, mit Crème fraîche, Butter und Rahm. Zum herrlich knapp gegarten Blumenkohl mit Curry und Birne etwa gibt es eine cremige Blauschimmelsoße. Bei der darauffolgenden Käseauswahl mit Dörrobst-Chutney herrscht erst einmal Klärungsbedarf: Drei Sorten identifiziert der freundliche Service auf Nachfrage, dann wird ein vorbeihuschender Lehrling hinzugezogen, der mit fester Stimme und dem Selbstbewusstsein der Jugend einen der Käse als "Black Terror" identifiziert. Wohlmeinend suchen wir noch nach einer möglichen Schicht schwarzer Asche, die wir eventuell übersehen haben, einigen uns dann am Tisch aber lachend auf einen gereiften "Blanc de Brebis", dessen "Terroir", also das genaue Herkunftsgebiet, an diesem Abend nicht mehr ermittelt werden kann. Ganz offensichtlich wird hier noch gelernt, und das ist gut so und sympathisch.

Beim Dessert zeigt sich noch einmal das ganze Können der Küche. Das hausgemachte, erfrischend säuerliche Tandoori-Buttermilch-Eis mit süßer peruanischer Mango, Limette und Kokos ist Meisterklasse! Beim letzten Glas vom 2012er Manz Spätburgunder aus Rheinhessen (Flasche 21€) diskutieren wir, ob vielleicht unprätentiöse Konzepte wie das des Boca am besten geeignet sind, jungen Leuten wieder Lust zu machen auf den schönen Beruf des Kochs: mit kreativer Küche und einem Team, in dem man wirklich noch lernen darf und Wertschätzung erfährt. Nicht zuletzt vom zufriedenen Gast.

© SZ vom 12.09.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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