Lokaltermin:Ähndl

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Ein hochdekorierter Koch, der statt in die große Welt in ein Wirtshaus zieht und für Niveau im Biergarten sorgt. So geht die Geschichte des Ähndl von Murnau.

Von Max Scharnigg

Nichts weicht für gewöhnlich so schmerzhaft voneinander ab, wie die Idee vom Essen unter freiem Himmel und dem tatsächlichen Vorgang. Ausnahme ist das Ähndl am Murnauer Moos. Einen derart reizenden Flecken für ein paar Holzbänke unter drei Bilderbuchbäumen hat man zuletzt im Heimatfilm gesehen. Aber auch der schönste Wirtsgarten hat Feinde, sie heißen: Platznot, Wespen, Hitzegewitter. Ein letzteres schickte sich zur Ankunft an, nach Gewitterart auszuflippen, deswegen musste man den schönen Freisitz fliehen und hinein, in die kleine Ähndl-Gaststube. Die ist zwar volkstümlich, hat aber deutlich weniger Charme, was auch an den blaustichigen Energiesparlampen und etwas lieblosem Interieur liegt, Stichwort Fensterbrettkakteen. Aber die Kellnerin macht mit ihrer Freundlichkeit das Schnöde fast wieder wett und die Karte bestätigt, was gemunkelt wird: Im Ähndl gastronomiert ein junges Team, das Dinge wie Pastrami-Sandwich oder Knödelterrine kennt oder den passablen Dessert-Wortwitz vom Moor im Hemd. Bestellungen gehen aufs iPhone, Wasser kommt im Einmachglas, Tischdeko und Raumgefühl mit Geweih sind dagegen wirtshausbanal. Grund für diesen Spagat: Küchenchef Thilo Bischoff hatte im Murnauer Alpenhof schon einen Stern erkocht, den er jetzt für das kleine Ähndl wieder aufgegeben hat.

An diesem Abend, an dem im Moor der Fallwind peitscht, wartet man einigermaßen lang auf Tomatenessenz und Kartoffelsüppchen - in Gesellschaft von sehr vielen Stubenfliegen. Die Kellnerin bietet dem Nachbarskind für zehn tote Fliegen ein Eis an, was der Besinnlichkeit in der Wirtsstube fortan nicht eben zuträglich ist.

Nun aber, Essenz und Süppchen - tadellos, kräftige Brühengrundlage, fein abgerundet, winzig gewürfelte Einlagen. Einfache Gerichte mit guten Produkten - dieses Prinzip hat Thilo Bischoff ausgerufen, zu Preisen, die berauschend bodenständig sind. So ist das Fleisch für Schweinsbraten und Schmorbacke tadellos, die Teller selbst sind fesch angerichtet, da ist viel hausgemachte Liebe im Spiel. Zum Glücksjodler fehlt aber jeweils was, das Schwein ist schlicht, der dünne Bratensaft zwar authentisch, der ganze Teller aber auch nie mehr als die Summe der einzelnen Teile - was sich mit dieser Küchenpersonalie kurz wie eine Enttäuschung anfühlt. Die Backe war sauber pariert, hätte aber noch schmoren können. Eigentlich muss sie zerfallen, wenn der Teller vor dem Gast abgesetzt wird und dabei ein Bouquet nach Rotwein und heißem Ochs auslassen. Man will eine Ochsenbacke jedenfalls nie mit dem Messer bearbeiten müssen. Und die Knödelterrine - Fundament Semmel-, erster Stock Kartoffelknödel - war zwar toll anzusehen, eine bayerische Schlaraffenlandmauer, insgesamt aber zu massiv. So schnitt man Knödel und Backe und schwelgte nur leicht überdurchschnittlich. Draußen, unter der Kastanie und mit dem Appetit des Wanderers hätte das Gesamtpaket sicher grandios überwogen - aber unter sterilem Licht isst man eben anders. Der Moor im Hemd schließlich, war zwar üppigst ausgestattet, sonst aber ein (guter!) Schokokuchen im Glas und nicht jener geheimnisvoll lockere Dunkelkuss, zu dem ihn manch österreichischer Koch adeln kann. Sei's drum, das Gewitter ist Richtung Peißenberg weitergezogen und hatte nichts als einen frischen Abendhauch hinterlassen. Und im letzten Licht lag das Ähndl dann endlich wieder so perfekt, wie man es längst ins Herz geschlossen hat.

© SZ vom 14.08.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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