Ladies & Gentlemen:Wieder da: der Pullunder

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Völlig neue Möglichkeiten. (Foto: Getty Images)

Sie trägt ihn neuerdings sehr lässig und weit, er muss sich noch entscheiden, ob er als Physiknerd rausgehen will.

Von Julia Werner und Max Scharnigg

Manche Kleidungsstücke bleiben, und manche kommen und gehen alle paar Jahre wieder, weil sie sich nicht durchsetzen können. Zu letzteren gehört der Pullunder. Das ungeliebte Teil steht seit jeher unter Spießigkeitsverdacht und wird mit Frauen in Verbindung gebracht, deren Brillenketten über riesigen Busen baumeln, Fachverkäuferinnen also oder Sekretärinnen. Damit können moderne Sales Agents und Assistants natürlich nichts anfangen.

Diese Einstellung sollten sie im kommenden Winter aber lieber überdenken, denn viele Designer entdecken den Pullunder gerade wieder - allerdings in neuer, nämlich locker sitzender Form, so wie hier auf dem Laufsteg der Londoner Designerin Rejina Pyo. Der offensichtliche Grund für die neu entdeckte Liebe ist natürlich, dass der Pullunder der Frau mit vollem Kleiderschrank ja völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Endlich kann sie ihre in den letzten Jahren liebevoll angesammelte Oversized-Blusenkollektion auch im Winter herzeigen.

Das ist aber nicht der einzige Vorteil zwitterartiger Kleidungsstücke, die in den nächsten Jahren garantiert einen kometenhaften Aufstieg vor sich haben: Nichts ist schlimmer, als in dicken Pullis zu schwitzen oder sich in einem dünnen Hemd zu Tode zu frieren, nur weil man die Folgen des Klimawandels morgens mal wieder nicht einzuschätzen wusste. Oder die Folgen von Klimaanlagen in Läden, Vorzimmern, Großraumbüros. Der Pullunder ist die moderne Interpretation der Redensart, die besagt, dass wir uns in Zukunft warm anziehen müssen.

Julia Werner

Der Pullunder steht in der Liste der leicht lächerlichen Herrenkleidungsstücke knapp hinter kurzärmeligen bunten Hemden, Heulender-Wolf-T-Shirts und Cargo-Pants. Deshalb war es nur eine Frage der Zeit, bis die hohe Mode sich ermutigt fühlte, ihn wieder für die Laufstege zu nominieren, weil dort nun mal seit Längerem das Diktat des Albernen, pardon, des Mutigen herrscht. So zeigte das Label Alexander McQueen diesen und andere Oversized Pullunder, und eine ganze Reihe Männer dürfte sich bei dem Anblick an das eigene Spiegelbild erinnert fühlen - Hemd irgendwie rauslabbernd, Pullunder müde über der hängenden Schulter, insgesamt leicht derangierter Gesamteindruck.

Immerhin muss man sagen, dass ein zu großer und gemusterter Pullunder noch deutlich besser ist als ein zu kleiner unifarbener. Der ist nämlich das Abzeichen der Physiknerds und ewigen Junggesellen. Zu groß und auffällig geht er, wie in diesem Fall, immerhin in Richtung schottischer Sommerkaftan und ist ein bisschen lässiger. Einen unbestreitbaren Vorteil hat die Bauform des Pullunders, sie lässt Luft dorthin, wo sich sonst gerne Staunässe bildet. Aber er trennt die Arme auch optisch vom Rumpf, so dass Pullunderträger bisweilen unfertig und hampelmännisch wirken.

Es ist wie bei den meisten dieser neuen Ugly-Trends: Funktioniert nur an einer kleinen Elite, bei allen anderen ist der Kontrast einfach nicht groß genug. Dann besteht die Gefahr, dass es nicht als modische Pointe wahrgenommen wird, sondern als banale Verlegenheitslösung.

Max Scharnigg

© SZ vom 18.08.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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